Archiv - Friedlicher Widerstand in Ni'lin - Bil'in
- 2005 |
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2. Eine merkwürdige
Geburtstagsfeier
Uri
Avnery, 10.9.05
Gestern, am
Vorabend zu meinem 82. Geburtstag, hatte ich eine ungewöhnliche
Partie. Die Emotionen gingen hoch, Tränen flossen wie nie zuvor, es
gab eine lange Parade. Die ganze Sache ereignete sich im
Westbankdorf Bil’in.
Die Tränen wurden
allerdings durch Gas verursacht. Die Emotionen kochten hoch, weil
wir brutal von der Grenzpolizei angegriffen wurden. Die Parade war
ein Protest gegen den Trennungszaun, der den größten Teil des
Dorflandes abschneidet, um die weiträumige Siedlung Modiin Illit
erweitern zu können.
Seit Monaten hatten
sich israelische Friedensaktivisten den Dorfbewohnern am Freitag
bei einem Marsch zum Areal des Zaunes angeschlossen und so wurde
Bil’in zu einem Symbol des gewaltfreien Widerstands. Der Zaunbereich
ist schon geebnet und vorbereitet, doch wurde der Zaun bisher hier
noch nicht gebaut. Die Demonstration am vergangenen Freitag wurde
von der Armee mit besonderer Gewalt angegriffen, also entschieden
wir uns, in dieser Woche mit Verstärkung zu kommen.
Wir waren mehr als
200 Protestierer aus dem ganzen Land, die zu verschiedenen
Friedensgruppen gehören. Noch bevor wir losfuhren, hörten wir im
Radio, dass das Dorf schon vor dem Morgengrauen überfallen, dass
eine Ausgangssperre verhängt worden und dass es bereits zu
gewalttätigen Zusammenstößen gekommen sei. Da die normalen Straßen
ins Dorf blockiert waren, kamen wir aus einer unerwarteten Richtung.
Wir ließen unsere
Busse am Rande der Siedlung stehen und begannen unsern Weg durch
eine typisch palästinensische Landschaft: Steile Hügel voll glatter
Felsen in allen Größen, Olivenbäume, dickes trockenes Gebüsch und
Dorniges. Die Temperatur war 30 Grad im Schatten, aber es gab keinen
Schatten. Ich mochte das schon als Soldat nicht, und jetzt nach 57
Jahren noch weniger.
Zwei endlose
Stunden kletterten wir rauf und runter, rutschen immer wieder aus
und halfen einander. Wir waren ein bunter Haufen: junge Leute
beiderlei Geschlechts, Ältere und alle Alterstufen dazwischen.
Als ich fast am
Ende meiner Kräfte war, erreichte ich den Zaun, eine helle, lange
Wunde, die sich wie eine Schlange durch das Tal windet. Rachel, auch
nicht mehr die Jüngste, hatte die unheimliche Erfahrung, dass ihre
Beine ihr nicht mehr gehorchten. Es schien, als könnte sie sich
nicht mehr bewegen. Aber schließlich schaffte sie es dann doch noch.....
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Quelle |
Quelle |
Schämt ihr euch nicht?
(Gedanken zum Holocaust-Gedenktag.)
Uri Avnery
Beit
Likiya liegt einige Kilometer
südlich von Bilin, dem Ort der
großen Demo, von der ich das
letzte Mal berichtete. Die
Umstände sind ähnlich: das Land
von Beit Likiya wird auch vom
Zaun gestohlen. Die Bulldozer
arbeiten von morgens bis abends,
und ihr Geratter, fast wie
unaufhörliches Geknatter von
Feuern aus schweren
Maschinengewehren, wird in allen
benachbarten Dörfern gehört.
Die Dorfbewohner wissen, dass
jenseits des Zaunes auf ihrem
Land - der Existenzgrundlage
vieler Generationen - ein neuer
Ortsteil der nahen Siedlung
gebaut werden wird. Wie die
Dorfbewohner von Bilin
protestieren sie jeden Tag.
Männer, Frauen und Kinder
marschieren mit plärrenden
Lautsprechern auf die
bewaffneten Soldaten zu, legen
sich auf den Boden, ketten sich
an Olivenbäume, und manchmal
wirft die Jugend Steine, die von
Soldaten brutal weggetrieben
wird.
Wenn jüdische Israelis an den
Demonstrationen teilnehmen,
verwenden die Soldaten im
Allgemeinen Tränengas,
Lärmgranaten, gummi-ummantelte
Stahlkugeln und jetzt auch
Salzkugeln. Wenn keine Israelis
dabei sind, verwenden sie auch
scharfe Munition.
Dieses Mal stand eine Gruppe
Soldaten der Steine werfenden
Dorfjugend gegenüber.
Keiner der Soldaten wurde
ernsthaft verletzt. Keiner war
in Lebensgefahr. Aber der
Kommandeur, ein Leutnant, schoss
mit scharfer Munition. Zwei
Jungen wurden getötet.
Einer der beiden Jungen wurde
nur am Oberschenkel verletzt.
Die Wunde war wahrscheinlich
nicht tödlich, aber man ließ den
Jungen verbluten. Die Armee hat
ihn nicht behandelt, wie sie es
getan hätte, wenn es sich um
einen verwundeten israelischen
Soldaten gehandelt hätte. Es
scheint, dass ein Ambulanzwagen
aus dem Dorf nicht gleich näher
herankommen konnte.
Innerhalb weniger Stunden haben
israelische Friedensaktivisten
einen Protest arrangieren
können. Der Aufruf wurde von
Mund zu Mund, durch
Telefonanrufe und e-mails
weitergegeben. Über 250 Männer
und Frauen versammelten sich vor
dem Verteidigungsministerium,
viele junge Leute und nicht
wenige Ältere, unter ihnen
einige der Holocaustgeneration.
Einige Autofahrer, die diese
Hauptverkehrsader durch Tel Aviv
benützen, erhoben ihren Daumen
oder hupten Zustimmung. Andere
drückten ihre Missbilligung aus
wie die schreiende Frau.
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Brief aus Israel
8.9.05
Eine stehende Stigmatisierung der Apartheid
von Peter Harley
In Ha'aretz hat zum
ersten Mal ein Leitartikel die
Aufmerksamkeit auf die
fortdauernden Proteste in Bil'in
gerichtet. |
Quelle |
20.6.2005 Brief aus Israel
- - - -
- - Um etwa 13.30 machten
sich etwa 300 Demonstranten,
BewohnerInnen von Bil'in,
Israelis und Internationale
auf den Weg auf die
Baustelle der
Annektierungsbarriere zu.
Die Demonstranten trugen
Repliken von Grabsteinen mit
der Aufschrift R:I:P [requiescat
in pace = er/sie ruhe in
Frieden] BewohnerInnen von
Beil'in, Todesursache: die
Mauer 2005.
Nach 5
Minuten kamen die
DemonstrantInnen an die
letzten Häuser, wo die Armee
eine eine Bekanntmachung
angeschlagen hatte mit einer
Karte, die Bil'in und drei
umliegende Dörfer zur
geschlossenen Militärzone
von 6 Uhr bis zum nächsten
Tag um 6 erklärte.
Eine
große Truppe Soldaten,
Grenzpolizisten und
Polizisten in Zivil warteten
und hatten einen weißen
Lieferwagen dabei, der die
neue israelische Waffe, "der
Schrei", mit Stacheldraht
bewehrt.
Einige
DemonstrantInnen legten sich
unter ihre Grabsteine auf
die Straße, während andere
anfingen, den Stacheldraht
zu entfernen. Die
israelische Armee schalteten
den "Schrei" ein. Die
DemonstrantInnen blieben
liegen.
Das
Militär warf Tränengas und
Knallbomben in die Menge und
fing an, Menschen fest zu
nehmen.
Ein Palästinenser der auf
dem Boden lag wurde
getroffen und verbrannt sich
an einer Knallbombe. Die
Soldaten weigerten sich, ihn
behandeln zu lassen, obwohl
das Bein blutete. Er wurde
dann fest genommen.
Inzwischen war die Armee in
das Dorf eingedrungen und
palästinensische Jugendliche
fingen an mit Steinen zu
werfen. 15 Demonstranten
wurden verletzt, ein
15jahriger direkt am Kopf
von einem Tränengaskanister
getroffen.
Ein
Israeli und ein
Palästinenser im Rollstuhl
wurden auch getroffen und
brauchten medizinische
Hilfe.
Der israelischen Armee ist
es verboten, Tränengas
direkt auf Menschen zu
schießen, doch wird das
generell bei Demos gemacht.
Ein
israelischer Sprecher sagte
3 Sicherheitsleute seien
durch Steine verletzt.
Sieben
Demonstranten wurden
festgenommen, 3
Palästinenser und 4
Israelis. Ein Israeli und
ein Palästinenser wurden
später entlassen. Die
anderen wurden zur
Polizeistation gebracht und
beschuldigt, mit Steinen
geworfen zu haben (obwohl
keine Steine vor ihrer
Festnahme geworfen wurden).
Ein
Video, das Israelis zur
Polizei gebracht haben,
beweist das weder die
festgenommenen Israelis noch
Palästinenser Steine
geworfen hatten. Aber die
Vernehmer erklärten sich nur
bereit, den Teil des Videos
zu sehen, der die
festgenommenen Israelis
zeigte.
mehr >>>
|
Unter:
www.PetitionOnline.com/Bilin/petition.html
kann man gegen den Mauerbau in Bilin
protestieren.
|
Man
nehme eine Zwiebel oder Zitrone
- Widerstand ja, Gewalt nein -
In Bethlehem befasst sich
eine Konferenz mit den
friedlichen Protestformen der
Palästinenser -
Johannes Zang
Seit Februar schon demonstrieren Freitag für
Freitag Palästinenser, Israelis
und Ausländer friedlich, Seite
an Seite in diesem Dörfchen
westlich von Ramallah. Auch
deshalb, um "aus erster Hand
etwas über gewaltlose Aktionen
in Palästina zu lernen", hat die
"Heilig-Land-Stiftung" in
Bethlehem nun zu einer
dreitägigen Konferenz in die
Geburtsstadt Jesu eingeladen.
Robin Wagar aus Kalifornien sagt
dazu der "Tagespost", dass "gute
Berichterstattung wirklich
wichtig ist". Egal, ob
Kundgebung oder gewaltlose
Demonstration: "wenn darüber
nicht berichtet wird, dann hätte
man die Aktion auch ganz bleiben
lassen können". mehr >>> |
....“Wenn wir
gewaltfrei demonstrieren, dann ist die Welt wenigstens mit uns,” sagte neulich
ein junger palästinensischer Bewohner des Westbankdorfes Bilin zum britischen
Journalisten Graham Usher. „Wenn wir mit Gewalt
Widerstand leisten, ist sie nicht mit uns“.
Usher, ein langjähriger Korrespondent in Jerusalem und
in den besetzten Gebieten, beschrieb eine gewaltfreie
Protestdemo gegen Israels Trennungsmauer, die seit
Februar ununterbrochen in diesem winzigen Dorf, das nur
3 Meilen von der 1967er-Grenze entfernt liegt,
stattfindet. Die palästinensischen Bewohner von Bilin,
palästinensische Aktivisten aus den benachbarten Orten,
israelische Friedensaktivisten und Internationale von
ISM haben eine fast permanente Präsenz in Bilin
gehalten, um gegen die Konfiszierung des größten Teils
des landwirtschaftlich genutzten Landes für den Mauerbau
zu protestieren. Die Demonstranten haben sich selbst der
gewaltfreien Taktik verpflichtet – sie haben sogar das
Steinewerfen verboten. Die israelischen
Sicherheitskräfte reagierten mit Scharfschießen, und dem
Abfeuern von mit Gummiummantelten Kugeln in die Menge,
mit Schlägen und Tränengas. Und mindestens einmal wurde
gefilmt, wie isr. Provokateure als Palästinenser
verkleidet, Steine gegen die Polizei warfen und so einen
Angriff auf die Demonstranten provozierten und die
Verhaftung einiger Palästinenser verursachten. Mehr als
100 Palästinenser, Israelis und Internationale wurden
durch israelische Polizei und Militär verletzt.
Und der Bau der Mauer geht unerbittlich weiter. |
Diese
palästinensische Gewaltlosigkeit ist ein erstaunliches
Schauspiel, eines Gandhi und Martin-Luther-King wert.
Aber man fragt sich, wie die Hoffnung der jungen
Palästinenser jemals erfüllt werden kann. Sie hoffen,
dass die Welt mit ihnen solidarisch ist, wenn sie
gewaltfrei demonstrieren. Wie soll es denn die Welt
erfahren? Woher werden es denn die Israelis und
Amerikaner, geschweige denn alle Welt jemals erfahren,
dass Palästinenser und ihre paar Freunde aus den
israelischen und internationalen Friedensbewegungen für
den Grundsatz ihr Leben riskieren, dass Israels Gewalt
und Aggression gegen Palästinenser auf gewaltfreien,
nicht aggressiven Widerstand stößt?
Wer kümmert sich denn in der Welt darum? Anscheinend
niemand. Auf der Suche nach dem Namen Bilin oder Bil’in
in den Washington Post- und den NY-Times-Archiven ( vgl.
FAZ, FR, Spiegel ua!) fand man nichts in der W.-Post und
nur zweimal in der Times; beides nur kurze Nachgedanken
am Ende eines langen Artikels, jedes Mal über
israelische Kräfte, die seit fünf Monaten mit
Demonstranten „zusammenstoßen“ – obwohl es ein
monatelanger Protest war; auch keine Erwähnung davon,
dass es gewaltfreie Proteste waren. Wenn CNN und das
Fernsehen Bilin überhaupt erwähnen, dann nur minimal.
mehr >>> |
"...Klavierkonzert in Bi'lin
am vergangenen Freitag.."
. Jacob Allegro Wegloop, holländischer Pianist spielte eine
Auswahl von Musik, darunter auch die palästinensische
Nationalhymne und andere Lieder, die die Kinder ihm
vorsangen, so dass das Singen auf der Straße später noch
weiter ging.
Als das Klavier auf einem LKW zur Mauerbaustelle führ, wurde
es von der Armee abgewiesen und alle ins Dorf zurück, wobei
es dann doch noch ein Zusammenstoß mit dem Militär gab, bei
der sieben Menschen durch Gummigeschosse und ein Kind durch
ein Tränengaskanister verletzt wurden und einige Leute wegen
Einatmen von Tränengas behandelt werden mussten.
Ein Internationaler wurde festgenommen. 'Dafür' wurde
Abdullah Abu Rahmeh, der vorigen Freitag bei einem Interview
mit einem ägyptischen Reporter festgenommen wurde, wieder
frei gelassen.
Die Armee hatte sich zunächst damit begnügt, zu versuchen,
alle Auswärtigen daran zu hindern, nach Bi'lin zu kommen.
Die Busfahrer waren natürlich erfinderisch genug um einen
anderen Zugang zu finden,
der Weg von dort führte aber durch eine tiefe Kluft, die
einigen Älteren - darunter auch Dorothy, die zähnknirschend
feststellte, dass ihr Alter allmählich doch etwas ausmacht -
zuviel wurde, so dass sie leider auf das Konzert verzichten
mussten. Ein Teilnehmer berichtet, dass, während der Pianist
schon in der Frühe (statt erst nach dem Mittagsgebet, wenn
die Demos ormalerweise beginnen) anfing, von Kindern
umringt, zu spielen in einem Garten, in den das Klavier
hinausgeschoben wurde, es mehrmals hieß, die Armee komme.
Die 'Invasion' hat sich aber jeweils als Fernsehteams
entpuppt. Die Kameraleute waren früh gekommen und haben im
Dorf gefilmt, da man damit rechnete, dass die Armee das
Konzert an der
Baustelle verhindern würde. So wurde aber das Ereignis sogar
auf dem 1. Programm in Israel ausgestrahlt!
Leider finde ich eine Post nicht wieder, in der berichtet
wurde, dass die Festnahme von Abdullah vom Gericht deutlich
gerügt wurde. Das ist offenbar schon mehrmals der Fall
gewesen, bei Festnahmen imLaufe der gewaltfreien
Demonstrationen. Israelische Richter haben eindeutig
gegenüber der Armee das Recht der PalästinenserInnen auf
friedliche Demonstrationen bestätigt. Leider werden die
Soldaten und das Militär
überhaupt, das offensichtlich nur seiner eigenen
Gesetzgebung unterliegt, dafür nicht zur Rechenschaft
gezogen.
Quelle: Brief aus Israel 20.9.05 |
Schubert in Bil’in – eine neue
Art gewaltfreier Demonstration
Beate
Zilversmidt, Gush Shalom 17.9.05
Als die Sonne am Freitag, 16.9. aufging, war es
ein neuer Tag für Demonstrationen in Bil’in.
Plötzlich wurden Klavierklänge zwischen den
Häusern und Olivenbäumen des Dorfes
vernommen, bevor die übliche „Musik“ von
Tränengas-, Lärmgranaten und Gummigeschossen
zu hören war.
Die Idee eines „Protestkonzertes“ mit dem
holländischen Pianisten Jakob Allegro
Wegloop - einem alten Unterstützer von Gush
Shalom - bei einem der
Freitagsdemonstrationen in Bil’in kam im
August in einem Amsterdamer Cafe: „ Ich
würde gerne nach Israel kommen und für
Frieden und gegen die Besatzung spielen.“
Nun gab es zufällig schon ein Klavier in Bil’in.
Es war gerade von der Familie des
„Anarchisten gegen die Mauer“-Aktivisten
Yonatan Pollak geschenkt worden. Und Zamir
Barlev – ein anderer Aktivist und
Klavierstimmer – war so freundlich, kam
schon am Donnerstag und reparierte ein paar
beschädigte Tasten.
Die Gush Shalom- Delegation mit Uri Avnery, die
den Pianisten früh um drei Uhr am
Flughafen empfang, entschied mit ihm -
trotz seiner Müdigkeit - gleich zum Dorf in
die Westbank zu fahren, bevor die Armee die
Zugangsstraßen sperren würde, wie es an den
Freitagen zuvor geschehen war.
Das untere Stockwerk von Abu Rahmes Haus war mit
Matratzen und einer
Selbstbedienungsküchenecke zu einer Art
Jugendherberge verwandelt worden. Außer den
Internationalen, die schon länger dort zu
Gast waren, beherbergte es jede Woche eine
Gruppe von israelischen Aktivisten, die auch
schon am Donnerstag kommen, um an dem
wöchentlichen Ereignis – der gewaltfreien
Protestdemo - in Bil’in teilzunehmen. Das
Haus war für das Konzert mit Flaggen und
Slogans dekoriert: „Ihr könnt unsern Geist
nicht brechen“ oder „Unsere Träume können
nicht eingesperrt werden“.
„Wie schön, von Klaviermusik geweckt zu werden
und nicht von Militärmegaphonen, die
Ausgangssperre verkünden,“ sagte einer der
Gäste.
Von wo all die Kinder kamen, war nicht klar,
aber sie standen auf einmal rund um das
Wunder herum, um das Klavier, das inzwischen
in den Vorgarten geschoben worden war. Und
als Jakob Allegro die handgeschriebenen
Noten der palästinensischen Nationalhymne
nicht entziffern konnte, die man ihm
gegeben hatte, um sie seinem Repertoire
hinzuzufügen, sangen die Kinder sie ihm
begeistert vor: „Biladi, Biladi“ ( Mein
Land, mein Land) -
Jakob Allegro spielte und spielte wohl klingende
Stücke von Schubert und einige von Chopin,
um das etwas störrige Instrument dahin
zubringen, sich zu öffnen.
„Was ist Ihre Botschaft?“ war eine der Fragen
von Interviewern, die nun erschienen.
„Sympathie für diese Not hier“. „Sie sind
ein Jude, ein Holocaustwaisenkind* ?“ , „Das
macht mich nicht blind für die
Ungerechtigkeit, die andern gegenüber
geschieht.“ „Was sagen sie zu dem Mauerbau
mitten durch unser Land?“ „ Es ist eine
Schande! Eine große Schande!“
Man kann nicht so leicht sagen, wann die
Vorbereitungen zu Ende waren und wann das
Konzert begann. Einige Male rannten die
Menschen aus dem Vorgarten auf die Straße,
es gab Gerüchte, dass Armeepatrouillen
kämen. Aber die Invasion dieses Tages waren
TV-Teams: mehrere palästinensische,
al-Jazeera, Reuters, ägyptisches Fernsehen,
der israelische Kanal 2 u.a. sie waren alle
von Mohamed al- Khatib vom Bil’iner
Volkskomitee für 10 Uhr 30 eingeladen
worden, um einige Aufnahmen zu machen, da
man erwartet hatte, dass die Armee nicht
sehr hilfreich sein wird, wenn ein LKW mit
einem Klavier dorthin kommt, wo der Mauerbau
vorbereitet wird.
Im israelischen Fernsehen erschien die Szene
dann doch nicht im Kanal 2 sondern im
angesehenen 1. Kanal, der Reuters Material
benützte. Es war ein weiterer erstaunlicher
Bericht aus Bil’in von Leuten, die jetzt
schon seit Monaten mit ihrer
phantasievollen, gewaltfreien Art und Weise
des Protestes, unbeeindruckt von der Gewalt
der Armee, in den Schlagzeilen waren. Der
Kampf ist noch nicht am Ende. Eine
Beschwerde ist auf dem Weg zum Obersten
Gerichtshof, der in dieser Woche einen
Präzedenzfall geschaffen hat, der nicht ohne
Hoffnung für die Qalandia-Region ist. Aber
ein Ziel ist schon erreicht und ist den
Gesichtern abzulesen: dieser Kampf und die
vielseitige Unterstützung für diesen stärkt
die Menschen in Bil’in entsprechend dem
Sprichwort: „Was uns nicht tötet, stärkt
uns“.
Die pastorale Idylle dauerte fast bis Mittag,
als eine Gruppe israelischer Aktivisten
ankam, die einige Straßensperren umfahren
mussten. Bei schrecklicher Hitze von 33 Grad
– es herrschte Chamsin, ein Wüstenwind –
schlossen sie sich den Dorfbewohnern beim
Marsch zur Mauer an. Dort wurden sie wie
„üblich“ begrüßt: die Armee griff an,
verwundete und verhaftete Aktivisten ....
*J. Allegro
Wegloop war als Kleinkind von seinen Eltern
bei Freunden versteckt worden, bevor sie
nach Auschwitz verschleppt wurden und dort
umkamen. (dt. Ellen
Rohlfs)
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Eindrucke aus Palaestina II - Tränengas und
Gummigeschosse in Bil´in [Fotos + Bericht]
Am 28.Juli fanden in der besetzten Westbank in
mehreren Städten zeitgleich Proteste gegen den israelischen
Grenzwall statt. Reifen wurden unter anderem in den Städten Budrus,
Saffa, Bil´in, Kharbatha, Deir Qaddis und Ni´lin entzündet, um mit
deren Rauch den Verlauf der sich in Bau befindlichen Mauer
nachzuzeichnen.
In Bil´in verlor der Protest seinen friedlichen Charakter, als
israelische Soldaten den Huegel zu stürmen begannen und Tränengas
auf die ca. 100 TeilnehmerInnen feuerten. Palästinensische
Jugendliche antworteten mit Steinwuerfen auf die sich dem Dorf
nähernden Soldaten, die sich kurz darauf zurückzogen. An anderer
Stelle fuhren Militaerjeeps auf einer Zufahrtstrasse zum Dorf vor.
Dorfbewohner errichteten daraufhin Barrikaden um ein weiteres
Vordringen des Militärs zu verhindern. Bei den folgenden
Konfrontationen setzten israelische Soldaten Tränengas,
Schockgranaten und Gummigeschosse ein. Fünf Palästinenser und ein
israelischer ISM-Aktivist wurden dadurch verletzt.
In Budrus drang die Armee, nach ähnlichem Protest am selben Tag, in
die Stadt ein und verhaftete einen 16 und einen 18-jaehrigen
Jugendlichen. Regelmaessig werden Aktivisten auf Demonstrationen
oder nach gezielten Militäraktionen verhaftet und für unbestimmte
Zeit festgehalten. Dem israelischen Militär ist es erlaubt,
Palästinenser jahrelang ohne Prozess festzuhalten. Dabei bilden
Jugendliche keine Ausnahme, die sich zu hunderten in israelischen
Militaerlagern und Gefängnissen befinden.
Die 1.600 EinwohnerInnen der sich in Sichtweite zur Bautrasse
befindlichen Stadt Bil´in leben in der ständigen Angst, nach der
Fertigstellung der Mauer, noch mehr einer hochgerüsteten
Besatzungsmacht ausgeliefert zu sein, die ihr Leben ohnehin durch
ein System von Checkpoints, Siedlerstraßen und militärischen
Aussenposten kontrolliert und keinen Protest duldet, der ihre
Autorität in Frage stellt.
Einem Organisator in Bil´in zufolge ging es bei der Aktion darum
S.O.S. Zeichen zu senden und die Welt darauf aufmerksam zu machen,
dass in Palästina etwas Gefährliches vor sich ginge, nämlich die
Errichtung einer Apartheidmauer. Das Schwarz der Rauchsignale stehe
dabei für Besatzung, Apartheid und Tod.
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Demo gegen Landraub in Bilin
von w.r. -
06.08.2005 19:49
ISM-Berichts zur Demo vom 31.August in Bil'in. Es beteiligten
sich 200 bis 300 Menschen, darunter ca. 60 bis 70
israelische und internationale AktivistInnen. Bil'in
ist ein Zentrum des kreativen Protests gegen die
Besatzung, jeden Freitag finden dort Demonstrationen
gegen den Bau des israelischen Grenzwalls und den
fortgesetzten Landraub statt:
Palästinenser machen dem Israelischen Militär ein
Siedlerhaus zum Geschenk
Sie erhalten Gummigeschosse und Traenengas als
Antwort
von Ninna and Palle
Die heutige Demonstration in Bil'in sandte eine
Botschaft an die Welt. "Die Siedlungen im
Gazastreifen werden geraeumt, während in der
Westbank neue errichtet werden". Die meterhohe
Apartheidmauer annektiert Land fuer bereits
bestehende Siedlungen und reisst palästinensische
Farmen nieder um neue Siedlungen darauf zu
errichten. Die BewohnerInnen von Bil'in bauten ein
"Siedlerhaus" aus Styropor und machten es der
Israeli Occupation Force (IOF) "zum Geschenk", die
das Bauareal fuer die Mauer außerhalb der Ortschaft
beschützt.
Die DemonstrantInnen forderten auch die Freilassung
von Abdullah Abu-Rahme, ein bekanntes Mitglied im
Komitee gegen die Mauer, ein Komitee das
regelmaessig gewaltfreie Demonstrationen
organisiert. Er wurde vor zwei Wochen bei einer
Demonstration in Bil'in verhaftet und beschuldigt
einen Polizeibeamten angegriffen zu haben, obwohl
eine Videoaufnahme beweist, dass er sich während
der Festnahme völlig gewaltfrei verhielt.
Um ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen, trugen
viele TeilnehmerInnen Schilder mit der Aufschrift "I’m
Abdullah Abu-Rahme". Als sich die Demonstration um
13 Uhr in Richtung Grenzwall in Bewegung setzte,
wurde sie, wie gewöhnlich, gleich außerhalb det
Ortschaft von der IOF gestoppt. DemonstrantInnen
beteiligten sich an einer Sitzblockade vor den
Soldaten, die bald darauf begann Schockgranaten und
Tränengas in die Menge und in das Dorf zu feuern.
Nachdem der Angriff beendet war, bewegten sich die
Leute zurück zur Absperrung.
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Gandhis Wiederkehr
Von Meron Rapaport
Vorigen Freitag gingen Laser und Hassen
zusammen die Hauptstraße von Bilin entlang. Laser Peles (geboren
in Kfar Chabad, verließ seine Religion, outete sich, wurde
Sprecher der schwul-lesbischen Fraktion in Meretz und einer der
treuesten Aktivisten der Anarchisten gegen den Zaun) hat Bilin,
ein kleines palästinensischen Dorf neben der Siedlung Ober
Modi’in, zu seiner zweiten Heimat gemacht. Scheich Hassan Yusuf,
auch aus einem ultraorthodoxen Hintergrund, aber im Gegensatz zu
Laser seiner Religion noch eng verbunden, wurde nach Libanon
deportiert, war sechs Jahre in einem israelischen Gefängnis und
noch sechs Monate in einem palästinensischen und wird heute als
Anführer der Hamas in der Westbank betrachtet.
“Ich bin froh, dass ihr Israelis hier seid”,
sagte der ultraorthodoxe Gläubige aus Ramallah zu dem früheren
Haredi (jüdischer ultra-orthodoxe Gläubige) und die beiden,
gemeinsam mit etwa 500 Palästinenser und 100 weiteren Israelis,
gingen weiter zur wöchentlichen Demo gegen den Trennungszaun in
Bilin.
Peles ist nicht typisch für jene Israelis, die
vorige Wochen in Biulin demonstriert haben - die meisten haben
einen viel solideren Hintergrund als Aktivisten. Yusuf ist nicht
typisch für jene Palästinenser, die hier demonstrierten - die
meisten sind von Fatah und politische Rivalen der Hamas. Dennoch
ist die seltene Verbindung zwischen den beiden ein Indiz für
das, was in den letzen Wochen in Bilin und anderswo an der
gegenwärtigen Trasse des Zaunes geschah. Es gibt fast täglich
Demonstrationen von PalästinenserInnen vermischt mit Israelis
und mit Kameras. In Treffen der palästinensischen
GraswurzelaktivistInnen - nicht Intellektuelle, die aus Europa
Spenden erhalten - reden sie ernsthaft über die Doktrin von
Mahatma Gandhi, über das Modell gewaltfreier Demonstrationen,
das sich von Dorf zu Dorf durch die Westbank verbreiten soll.
Unsinn, gewaltfreien palästinensischen
Widerstand gibt es nicht, sagen die Offiziere der
IDF, deren Soldaten eine Routine der
Konfrontation mit den palästinensischen und israelischen
DemonstrantInnen entwickelt haben und sogar Zuneigung für einige
zeigen. “Wo ist Laser?” fragte einer der Soldaten, als er durch
sein Fernglas von der Kuppe des dominanten Hügels auf die
Demonstration schaute, die sich in Bilin vor zwei Wochen
sammelte. “Ohne ihn ist die Demo nichts wert.”
Eine Woche später erhielt die
IDF den Beweis, dass die
Feldkommandeure wissen, wovon sie sprechen, wenn sie ihren
Soldaten sagen, ein Stein könne töten. Der Soldat Michael
Schwarzman verlor ein Auge durch einen von Palästinensern
geworfenen Stein in Bilin. “Wie kann von einer gewaltfreien
Demonstration gesprochen werden, wenn ein Soldat dabei ein Auge
verliert?” Zu Beginn dieser Woche stellte Yarom Tamim, der
regionale Bataillonkommandeur von Schwarzmanns Einheit, diese
Frage gegenüber dem Radiosender Tel Aviv.
Doch die Wahrheit ist komplex. Es ist
schwierig, genaue Daten über die Anzahl verletzter
PalästinenserInnen bei Demonstrationen gegen den Zaun zu
erhalten, weil viele sofort behandelt und nicht ins Krankenhaus
gebracht werden. Aber allein in Bilin, mit einer Bevölkerung von
wenig über 1500, sind etwa 150 in den letzten drei Monaten
verletzt worden. Nach unvollständigen Zahlen von der
Menschenrechtsorganisation B’tselem wurden im vergangenen Jahr
sieben Palästinenser durch Vorkommnisse am Zaun in der Gegend um
Jerusalem und Modi’in. Etwa 180 weitere wurden verletzt,
mindestens 16 davon durch scharfe Munition. Vor nur einem Monat
haben IDF Soldaten zwei Jugendliche
mehr als einen Kilometer von der Zauntrasse entfernt getötet.
Der Eindruck wird verstärkt, wenn wir die
Tatsache mitbetrachten, dass in den Hunderten von
Demonstrationen seit dem Beginn der Proteste gegen den
Trennungszaun vor zwei Jahren die DemonstrantInnen nie
Schusswaffen gebraucht haben.
Oberstleutnant Tzachi Segev, Kommandant des 25.
Bataillons der Panzereinheiten hat den Oberbefehl über die
Truppe, die die DemonstrantInnen in Bilin zerstreuen soll. Er
liest Haaretz und “versteht die PalästinenserInnen persönlich”
sogar, ihre Wut beim Verlust ihres Landes. Um die Reibungen zu
vermindern, hat er sogar eine Stilllegung der Arbeiten am
Freitag befohlen, um zu verhindern, dass sich die
DemonstrantInnen den Maschinen nähern. So haben die
Demonstrationen an den letzten paar Freitagen nur gegen ein
Symbol stattgefunden.
Segev hat aber keine Zweifel bezüglich seiner
Aufgabe. “Der Staat hat das Recht, sich durch einen Zaun zu
schützen, auch wenn dieses Recht diesen Menschen schadet. Im
Allgemeinen gibt er den Befehl, Aufstandsbekämpfungsmittel
einzusetzen wenn die Palästinenser anfangen, Steine zu werfen.
Seine Definition von Gewalt bei palästinensischen
Demonstrationen - Unruhen, wie er sie nennt - ist recht breit.
Das Schubsen von Soldaten ist auch Gewalt, die den Einsatz von
Knall- oder Gasbomben rechtfertigt. So ist auch ein sich Nähern
des Zaunes oder sogar das Übertreten einer gedachten Linie
Gewalt.
Manchmal kann er eine Kollektivstrafe nicht
vermeiden, auch wenn das ein negatives Ergebnis hat.
Kollektivstrafen sind Ausgehverbot, Absperrung eines Ortes,
Straßensperren und Ähnliches.
Es gibt aber auch jene Fälle, in denen die
Organisatoren einer Demonstration gegen die Steinewerfer kämpfen
und sie vom Demonstrationsort entfernen. Welche Botschaft senden
sie aber den Palästinensern, die das Steinewerfen verhindern?
Dass sie dumm sind? “Es gibt solche Fälle, und da ist die
Kollektivstrafe problematisch. Aber Bestrafung ist nicht etwas
Abstraktes. Es wird damit gesagt: Seht her, wir haben Mittel,
die euch verletzen können.” (ihn korrigierend sagte Oberst Yoni
Gedj, der Brigadekommandant, später: “Absperrung ist keine
Kollektivstrafe, sondern ein operatives Vorgehen”).
Wie alle IDF-Kommandeure
glaubt Segev, dass es einen Schuldigen gibt bei den
Demonstrationen: die Israelis. Die Israelis “bringen die
PalästinenserInnen zu den Demonstrationen und sind die
Antriebsmaschine für sie.” Da sie nahe an die Soldaten heran
gehen, und manchmal ein Palästinenser dabei ist, “sind sie eine
Gefahr”. Sie lenken die Soldaten ab und ermöglichen so das
Steinewerfen.
Die Demonstration vor zwei Wochen war
exemplarisch. Die DemonstrantInnen - etwa 50 bis 60
PalästinenserInnen und 20 Israelis näherten sich dem Zaun bis
auf ein paar hundert Meter und wurden dann von der Armee
angehalten. Sie machten eine merkwürdige Aufführung mit weißen
Roben und Friedensplakaten und gingen dann zurück zum Dorf. Die
Soldaten standen weiter auf der Straße. “Geht zurück, es gibt
nichts mehr für euch zu tun, ihr ladet die Steinewerfer geradezu
ein”, riefen die DemonstrantInnen den Soldaten zu. “Ich will
nicht, dass es aussieht, als wären sie hinter uns her”, sagt
Segev als Erklärung, warum die Soldaten warten. Er gibt dann den
Abzugsbefehl und, obwohl ein paar Soldaten von Steinen getroffen
werden, befiehlt er Zurückhaltung und die Demonstration endet
ohne Zusammenprall. Ein seltenes Ereignis, sagen die Soldaten.
Ein seltenes Ereignis, sagen die PalästinenserInnen.
Die Ruhe war ein Erfolg des Volkskomitees von
Bilin. Vom Berg konnte man die Mitglieder sehen, wie sie den
Jugendlichen hinterherliefen, die sich unter den Olivenbäume
versteckt hatten, und die sie zurück ins Dorf führten. Manchmal
nur unter Einsatz der Fäuste. “Wir sind keine Offiziere und
haben keine Macht über die Leute”, sagt Komiteemitglied Mahmoud
Hatib. “Wir können sie nicht zum Dorf zurückbringen, wie können
sie nur überreden.” Ein paar Tage vorher, als ich das Dorf
besuchte, hatte Hatib die Prinzipien für ihre Demonstrationen
erklärt. Es darf dabei keine Steinwürfe geben, und das wird
normalerweise eingehalten. Aber wenn die Demonstration zu Ende
ist, oder wenn die Armee anfängt, Gas oder Gummi zu schießen,
können die Organisatoren die Steinewerfer nicht mehr
kontrollieren.
Eine Gruppe von 40 oder 50 Israelis ist ständig
mit den DorfbewohnerInnen in Kontakt und bereit, auch mitten in
der Nacht ins Dorf zu fahren, um sich gegen die Soldaten zu
stellen, die ins Dorf einziehen. Eine Gruppe Israelis, die
mitten im Dorf stehen und sich auf hebräisch unterhalten, ist
ein völlig normaler Anblick. “Es gab Auseinandersetzungen wegen
der Kleidung der Israelinnen, weil wir ein gutes moslemisches
Dorf sind”, bemerkt Hatib, “aber jeder sagt, die Israelis sind
gut.”
Sowohl Hatib als auch Abu Rahma bestreiten
vehement, dass die Israelis die Drahtzieher der Demonstrationen
wären, wie IDF dies behauptet. Yonatan
Pollack und Einat Podhorny, zwei junge Israelis, die häufig
zwischen Tel Aviv und Bilin hin und herfahren, sagen ebenfalls,
dass solche Unterstellungen absurd sind. Die Palästinenser sagen
uns, was sie planen und laden uns ein, mitzukommen, aber wir
sind nie die Initiatoren. Aber auch die Palästinenser räumen
ein, das Bewusstsein, dass Israelis mit dabei sind, mache es
leichter für die PalästinenserInnen, die Soldaten zu
konfrontieren, da die Truppen dann weniger Gewalt anwenden.
Die Aktionen des Komitees von Bilin tendieren
zu so etwas wie künstlicher Aufführung. Neben der wöchentlichen
Demonstration am Freitag können sich die Mitglieder des
Volkskomitees selber an die Olivenbäume festbinden oder in
Fässer steigen oder einen Kinderzug veranstalten - diese Woche
gab es eine Demonstration von behinderten Menschen. Vorige Woche
haben sie sogar Flyer auf Hebräisch an die Soldaten verteilt.
“Soldat, warte eine Minute bevor du dein Gewehr
anlegst”, war zu lesen. “Du und deine Freunde, ihr seid auf
unserem Land. Wenn ihr als Gäste gekommen wäret, dann würden wir
euch die Bäume zeigen, welche unsere Großmütter gepflanzt haben.
… Aber ihr seid hierher gesandt worden als Mitglieder einer
Besatzungsarmee und Teil einer Besatzungsmacht. … Aus diesem
Grund demonstrieren wir hier, ohne Waffen, ungeachtet all eurer
Waffen.”
“Das ist eine Revolution” sagt eine
palästinensische Quelle. “In der Vergangenheit hätte kein
Palästinenser gewagt, Soldaten so anzusprechen.
Das Ziel ist, erklärt Hatib, der Welt das
“richtige Bild” zu zeigen: die PalästinenserInnen als Opfer,
Israel als Besatzungsarmee. Deshalb gibt es aus seiner Sicht
keine Notwendigkeit, Steine auf die Soldaten zu werfen, auch
wenn sie Tränengas oder Gummikugeln abfeuern. Hatib ist sehr
glücklich darüber, dass die arabischen und palästinensischen
Medien die BewohnerInnen von Bilin die “neuen Gandhis” nennen.
Das ist in seinen Augen eine große Ehre.
Verdienen sie diesen Titel? Hatib gibt zu, dass
sie noch sehr weit davon entfernt sind, alle jungen Dorfbewohner
davon zu überzeugen, keine Steine zu werfen. Aber er sagt, dass
es Demonstrationen ohne Steine gegeben hat - und im Allgemeinen,
fügt er hinzu, hat die Armee ein Interesse, die Atmosphäre
anzuheizen.
Ein Beispiel für eine absichtliche Eskalation
der Situation, sagt der Palästinenser, ist die Demonstration vom
28. April in Bilin, die Demonstration der “mistarvim”
(Undercover-Einheiten der Armee, die als Araber getarnt
auftreten). Trotz der großen Teilnehmerzahl waren die
Organisatoren in der Lage, die Entscheidung einer gewaltfreien
Demonstration ohne Steinwürfe aufrechtzuerhalten. “Plötzlich sah
ich sechs oder sieben Personen, die ich nicht kannte, Steine
werfen”, erzählt Hatib. “Ich rannte zu ihnen hin und fragte sie,
wer sie seien und warum sie trotz der Entscheidung für eine
gewaltfreie Demonstration Steine werfen. Einer von ihnen
erwiderte in gutem Arabisch, dass er aus Safa sei, und dass sie
gekommen wären uns zu helfen. Ich sagte ihm, er solle gehen und
in Safa Steine werfen, aber nicht hier.”
Erst hinterher, als einer der Steinewerfer eine
Pistole herauszog und in die Luft schoss, wurde Hatib klar, dass
es sich um eine Gruppe von Undercover-Agenten handelte. Für ihn
ist das der Beweis, dass die Armee Unruhe stiften möchte und
dann die Demonstration mit der Begründung “Gewalt” abbrechen
kann.
Obwohl Oberst Gedj zugibt, dass die
Undercover-Agenten mit Steinen geworfen haben, ist er “100
Prozent sicher, dass sie sich Palästinensern angeschlossen
haben, die mit Steinen warfen.” Ein Militärrichter hat
allerdings in seinem Urteil geschrieben “Es gibt kein Zeugnis
von auch nur einem Soldat, dass Steine auf ihn geworfen worden
waren.”
Bilin versucht dem Beispiel von Boudrus zu
folgen. Ursprünglich sollten 1200 Dunam Dorfland auf der
israelischen Seite des Zaunes bleiben. Nach den Demonstrationen,
die im Dezember 2003 begannen, wurde die Route verändert und nun
bleiben nur 100 Dunam auf der anderen Seite des Zaunes (10 Dunam
= 1 ha). Boudrus war der erste Ort, an dem Israelis zu einem
dauerhaften Element der Demonstrationen wurden.
Ahad Murad aus Boudrus, das genau auf der
Grünen Linie liegt, sagt: “Unser Volkskomitee hat beschlossen,
keine Steine einzusetzen, weil wir die Hilfe von Internationalen
Freiwilligen und von Israelis brauchten und wir wussten, dass
wir die nicht bekommen, wenn Steine fliegen.” In Murads Augen
sind Steine noch keine Gewalt. “Wenn das Ziel ist, Soldaten zu
verletzen, nutzt Schießen mehr. Aber wenn die Botschaft ist,
dass man die Besetzung nicht akzeptiert, dann glaube ich nicht,
dass Steine die Botschaft rüberbringen. Wir sind Opfer und
dürfen die Opferrolle nicht verlassen.”
Murad versucht, seine Botschaft auch an andere
Orte zu verbreiten. In den Dörfern in der Nähe des Zaunes
gewinnen gewaltfreie Demonstrationen an Unterstützung, in den
großen Städten ist es viel schwieriger. Auch die
palästinensische Autorität kooperiert nicht. Dennoch empfindet
er wachsende Unterstützung für seine Ideen, sowohl bei den
örtlichen Führern als auch im Gefängnis. Dort haben ihm Führer
aller Faktionen versichert, dass “die Methode von Boudrus gut
ist”, und dass sie ihre Methoden neu überdenken müssten.
Mohammed Elias, Koordinator der Volkskomitees
in der Westbank, gibt zu, dass es noch ein langer Weg ist, bis
der Mainstream den gewaltfreien Kampf akzeptiert. “Dies ist ein
neuer Weg, und die Tatsache, dass es bei dieser Form des Kampfes
keine Bilder von Märtyrern an den Mauern gibt, schwächt die
Unterstützung. Wir sind ein sentimentales Volk und die
machtvollen Sprüche von Blut und Feuer bewegen das Herz mehr.”
Gerade, wenn die Ausrichtung jene von Gandhi ist, kann sie nur
allmählich erreicht werden. “Wenn du siehst, dass die Soldaten
Tränengas einsetzen, ist es schwierig junge Leute dazu zu
bringen, auf dem Boden zu sitzen und zu singen und nicht zu
reagieren.”
Dennoch ist Elias überzeugt, dass dies die
Richtung ist, welche die PalästinenserInnen anstreben werden. Er
selber war vom bewaffneten Kampf überzeugt und verbrachte dafür
viele Jahre im Gefängnis, aber jetzt hat er seine Überzeugung
verändert und glaubt, dass die PalästinenserInnen diesem
Beispiel nachfolgen werden.
“Früher hat jeder den bewaffneten Kampf
unterstützt, aber jetzt gibt es eine große Müdigkeit.” Die
Präsenz der Israelis bei den Demonstrationen hat einen großen
Einfluss. “Es gibt einen arabischen Spruch: Du kannst die
Menschen vergessen, mit denen du gelacht hast, aber nicht die,
mit denen du geweint hast”, sagt er. Die Menschen werden die
Israelis nicht vergessen, die mit ihnen bei den Demonstrationen
verletzt wurden.
Auch das ist nicht einfach. Während einer
Demonstration wurde eine Andacht gehalten und der Geistliche,
der sie geleitet hat, hat eine Predigt gegen die Juden gehalten.
“Ich ging zu ihm hin und fragte, ‘Wie kannst du so reden? Hast
du nicht gesehen, dass die Hälfte der Menschen hier Israelis
sind?’. Er antwortete: ‘Ich meinte die anderen Israelis.’”
Früher kannten die Leute Israelis nur als
Soldaten. “Jetzt rufen nicht einmal die Kinder Sprüche gegen die
Juden, nur gegen die Besatzung.” Eine israelische Demonstrantin
erzählte, dass sie gehört hat wie ein Palästinenser stolz sagte,
dass “die Israelis” - gemeint waren die DemonstrantInnen - sie
gegen “die Juden” - die Soldaten - geschützt hätten.
Die Palästinenser behaupten, dass die bloße
Gegenwart der Israelis bei den Demonstrationen das beste Mittel
gegen Selbstmordangriffe in der Zukunft ist, dass ihre Gegenwart
den Hass mindert. “Das gibt einem zu denken”, sagt Oberst Gedj
von IDF, “aber ich bin ein Mann der
Armee und meine Aufgabe ist es dafür zu sorgen, dass meine
Mission durchgeführt wird, und meine Mission ist, den Bau des
Zaunes zu ermöglichen.”
Quelle:
www.Brief-aus-Israel.de vom 10.06.2005. Übersetzt und gekürzt von Anka Schneider,
ergänzend übersetzt und bearbeitet von Michael Schmid.
Orginalartikel:
Gandhi Redux
Quelle
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