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Das zweite Kommen
Uri Avnery
June 25, 2016
PLÖTZLICH erschien ein bekanntes, fast schon vergessenes Gesicht,
auf dem Fernseh-Bildschirm. Nun gut, nicht ganz bekannt, weil es
jetzt einen prominenten schwarzen Bart trägt. (Wenn ich es wäre,
würde ich ihn schnellstens entfernen.)
Ja,
da war er, der ehemalige Stabschef und Premierminister, Ehud Barak.
Barak
in einem neuen Format. Aggressiv, unverblümt. Er verurteilte
Benjamin Netanyahu klar und deutlich und wiederholte meine Warnung,
Wort für Wort, dass Netanyahu seinen Verstand verloren hat. Er
sagte, dass Netanyahu “aus den Fugen geraten ist” und dass es nun
“Anzeichen von Faschismus” in Israel gäbe.
Das
gesamte Land wachte auf und hörte zu. Barack wieder zurück?
Letztendlich ein Mann, der möglicherweise Netanyahu besiegen konnte?
Barak
verneinte, dass er ein potentieller Premierminister-Kandidat sei.
Keiner glaubte ihm. Jeder Kommentator, der etwas auf sich hielt,
begann, Pläne für eine neue Partei zu veröffentlichen. Weshalb nicht
Barak gemeinsam mit Moshe Ya'alon, dem ehemaligen Stabschef und
Verteidigungsminister, der gerade von Netanyahu hinausgeworfen
wurde? Weshalb nicht mit Gabi Ashkenazi, einem anderen ehemaligen
Stabschef, der den zusätzlichen Vorteil hat, Orientale zu sein? Jede
Menge Namen schwirrten durch die Luft.
Es
herrschte eine neue Atmosphäre. Ein weitverbreitetes Gefühl, dass
“Bibi gehen muss”. Ein neues Gefühl, dass es eine Chance gibt, ihn
und auch Sarah'le, seine unpopuläre Ehefrau, loszuwerden.
ICH
HABE damit ein kleines Problem. Man kann es mit dem Begriff “Camp
David” zusammenfassen.
Für
mich war Camp David ein historischer Wendepunkt. Bis zur Camp
David-Konferenz im Juli 2000 herrschte Optimismus im Hinblick auf
Frieden. Seit der Konferenz ist der Frieden aus der Szene
verschwunden.
Für
mich war der Mann, der fast die alleinige Verantwortung dafür trug,
Ehud Barak.
Lassen Sie mich die Ereignisse rekonstruieren, wie ich sie damals
sah.
President Bill Clinton wollte unbedingt einen großen Triumph
erzielen, bevor seine Amtszeit zu Ende ging. Seit Präsident Jimmy
Carter vor ihm einen großen Erfolg in Camp David mit dem
israelisch-ägyptischen Friedensvertrag errungen hatte, wollte er
einen noch größeren Triumph mit einem israelisch-palästinensischen
Frieden erringen.
Der
palästinensische Partner, Yasser Arafat, lehnte einen Besuch ab. Mit
Recht wies er darauf hin, dass keinerlei Vorbereitungsarbeit von
Expertenkomitees geleistet
wurde. Er
befürchtete, zur Nuss im
amerikanisch-israelischen Nussknacker zu werden.
Clinton gelang es letztendlich, ihn nach Camp David zu locken,
nachdem er ihm versprochen hatte, dass er, Clinton, im Falle des
Scheiterns keine Seite dafür verantwortlich machen werde. Er brach
später dieses Versprechen ohne Bedenken.
Also
fuhr Arafat äußerst misstrauisch zu der Konferenz , bereit, sich vor
Fallen zu hüten und erwartete keinen Durchbruch. Er war sicher, dass
Clinton und Barak sich gegen ihn verbündeten.
DIE
KONFERENZ zog sich 14 Tage hin, was nicht geplant
war.
In
der gesamten Zeit trafen sich Barak und Arafat nicht ein einziges
Mal privat. Barak besuchte Arafat nicht, noch lud er ihn in sein
Privatquartier ein, das 100 Meter entfernt war.
Meiner Meinung nach war das sehr wichtig. Arafat war ein
kontaktfreudiger Mensch. Er liebte persönlichen Kontakt, Gäste zu
bewirten, die er manchmal mit seinen Fingern fütterte. In typisch
arabischer Art glaubte er an die Mensch-zu-Mensch-Beziehung.
Barak
ist das genaue Gegenteil, kalt, reserviert, bevorzugt unpersönliche
Logik anstelle von persönlichem Kontakt. Jede Art von Intimität ist
ihm zuwider.
Ich
frage mich manchmal, was geschehen wäre, wenn Ariel Sharon an Baraks
Stelle dort gewesen wäre. Sharon war wie Arafat, kontaktfreudig,
genoss den persönlichen Kontakt, liebte es, Gäste zu bewirten und
hätte vielleicht so eine andere Atmosphäre geschaffen.
ABER
selbstverständlich waren die politischen Differenzen von größerer
Bedeutung als die persönlichen.
Da
keine Vorbereitungen getroffen worden waren, kamen beide Seiten mit
ihren festgelegten Vorschlägen.
Barak
hatte absolut keine vorherige Erfahrung in arabischen
Angelegenheiten. Er kam nach Camp David mit einer Reihe von
Vorschlägen, die in der Tat weitreichender als alles war, das Israel
bis dahin vorgeschlagen hatte. Er war bereit, einen
palästinensischen Staat zu akzeptieren, wenn auch unter vielen
Bedingungen und Einschränkungen. Vielleicht erwartete er, dass die
Palästinenser aufspringen und ihn umarmen würden, wenn sie seine
Konzessionen hörten.
Unglücklicherweise verfehlte Baraks
Maximum
Arafats Minimum. Der palästinensische Führer dachte an seinen
Empfang zu Hause, wenn er die palästinensischen Grundforderungen
aufgab. Am Ende gab es kein Abkommen.
Clinton war wütend und trotz seines feierlichen Versprechens gab er
Arafat die gesamte Schuld. Er dachte höchstwahrscheinlich an seine
Ehefrau, Hillary, die damals versuchte, zur Senatorin von “Jew-York”
(“Juden-York”) gewählt zu werden.
Aber
Barak war derjenige, der sein persönliches Versagen in eine
historische Katastrophe verwandelte.
WAS
HÄTTE ein echter Staatsmann in einer solchen Situation getan?
Ich
kann mir vorstellen, er hätte folgende Rede gehalten:
"Liebe Mitbürger,
Ich
bedauere, Ihnen zu sagen, dass die Camp David-Konferenz vertagt
wurde, ohne die erhofften Ergebnisse zu erzielen.
Selbstverständlich wäre es töricht, zu erwarten, dass ein Konflikt,
der bereits mehr als hundert Jahre andauert, innerhalb 14 Tagen
gelöst werden könnte. Das wäre ein Wunder gewesen.
Beide
Seiten waren in einem ernsten, auf beiderseitiger Achtung
basierenden Dialog. Wir haben viel über die gegenseitigen Ansichten
und Probleme erfahren.
Jetzt
haben wir eine Reihe von gemeinsamen Komitees ernannt, um die
verschiedenen Aspekte des Konfliktes, wie Grenzen, Jerusalem,
Sicherheit, Flüchtlinge, usw. ausführlich zu studieren. Zu gegebener
Zeit werden wir eine zweite und wenn nötig dritte Konferenz
anberaumen, um ein endgültiges Friedensabkommen zu erzielen.
Beide
Seiten haben zugestimmt, dass wir in der Zwischenzeit unser Bestes
tun, um Krieg- und Gewalt-Aktionen zu verhindern.
Wir
danken unserem Gastgeber, Präsident Clinton, für seine
Gastfreundschaft und sein Entgegenkommen."
Stattdessen tat Ehud Barak etwas, dass den Lauf der Geschichte
veränderte.
Bei
seiner Rückkehr denunzierte er Arafat und die Palästinenser generell
als unerbittliche Feinde.
Er
schob nicht nur die gesamte Schuld für das Scheitern der Konferenz
den Palästinensern zu, sondern erklärte, wir hätten “keinen Partner
für Frieden”.
Das
waren schicksalshafte Worte. Seit der Zeit wurde: “Wir haben keinen
Partner für Frieden”, zu einem Grundsatz bei den Israelis, eine
Rechtfertigung für alle Taten und Missetaten. Er erlaubte Netanyahu
und seinen Anhängern an die Macht zu kommen. Es war das Totenlied
für die israelische Friedensbewegung, die sich seitdem nicht erholt
hat.
ALSO,
WAS ist mit einer zukünftigen Kandidatur von Ehud Barak als
Premierminister?
Kann
er eine neue Partei gründen, die eine große Koalition gegen
Netanyahu
zusammenstellt?
Mir
wurde gesagt, dass er Zweifel hat. “Sie hassen mich alle”, soll er
gesagt haben.
Bis
zu einem Punkt entspricht das ziemlich der Wahrheit. Barak wird
gesehen als ein Mensch ohne Prinzipien. Die Menschen werden sich an
seine letzte politische Eskapade erinnern, als er die Arbeiterpartei
spaltete, um als Verteidigungsminister in Netanyahus Kabinett
einzutreten.
Seitdem er sich von der Politik verabschiedet hat, soll er angeblich
großen Reichtum angehäuft haben, indem er seine Erfahrung und
Verbindungen in den Dienst ausländischer Regierungen und
Kapitalisten stellte.
Weit
entfernt davon, dieses Vermögen zu verbergen,
protzt er damit,
indem er mehrere Apartments in einem der
luxuriösesten Hochhäusern Tel Avivs bezieht. All das scheint darauf
hinzuweisen, dass er sich von der Politik für immer verabschiedet
hat.
Aber
nun erscheint sein bärtiges Antlitz auf dem kleinen Bildschirm.
Es scheint zu verkünden: “Hallo, Kameraden, ich
bin zurück!”
IST
ER das? Kann er der Mittelpunkt eines neuen Bündnisses werden, eines
Bündnisses, um “Bibi hinauszuwerfen”?
Es
ist nicht unmöglich. Ich glaube, dass nur noch wenige Menschen Barak
hassen. Verglichen mit Netanyahu, erscheint er in einem viel
positiveren Licht.
Menschen ändern sich, sogar Politiker. Vielleicht hatte er Zeit,
über seine Erfahrungen, darunter auch Camp David, nachzudenken und
hat aus seinen Fehlern gelernt. Vielleicht ist er neuen Menschen
vorzuziehen, die noch keine Fehler begangen haben und somit nichts,
um daraus zu lernen.
Barak ist eine hochintelligente Person. Er
besitzt bessere historische (selbst angeeignete) Kenntnisse, als es
in Israels Führungskreisen üblich ist. Er hat ein soziales Gewissen.
Kurzum, er ist kein Netanyahu.
Kein
Netanyahu zu sein erfüllt mehr als die Hälfte der Voraussetzungen
für einen neuen Premierminister. Und, wenn Barak der einzige
glaubwürdige Kandidat ist, ist er erklärtermaßen der beste.
Die
Deutschen sagen: “Wenn der Teufel hungrig ist, frisst er Fliegen.”
Sogar Menschen, die Barak tief verachten, würden ihn als Erlöser von
Netanyahu begrüßen.
In
Hebräisch bedeutet Barak: “Blitz” (nicht in Arabisch, wo
Barak
von dem Wort “Segen” stammt). Der Blitz ist das Aufleuchten im
Bruchteil einer Sekunde, das die Dunkelheit erhellt. Sehen wir in
diesem aufblitzenden Licht einen neuen Ehud Barak?
Kurzum: Ist für Barak ein zweites Kommen möglich? Meine Antwort ist:
“Ja.”
Aus
dem Englischen übersetzt von Inga Gelsdorf
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