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Das nationale Rätsel
Uri Avnery, 25. März 2017
WAS IST
der Unterschied zwischen einer Korporation und einer Autorität?
Du weißt es nicht? Schließe dich den 8,5
Millionen an, die es auch nicht wissen.
Es ist ein nationales Rätsel. Das ganze Land ist
davon absorbiert. Der Ministerpräsident verkündet, dass er „bis ans
Ende gehen wird, um sein Ziel zu erreichen. Welches Ziel? Ich weiß
es nicht. Ich bin mir nicht sicher, dass er es weiß. Keiner von
denen, die ich kenne, weiß es.
Der Ministerpräsident droht mit dem Schlimmsten.
Wenn er nicht seinen Weg gehen kann – ganz gleich, was es ist – er
will etwas absolut Schreckliches tun: neue Wahlen verkünden. Lass
die Leute entscheiden, ob sie die Autorität oder die Korporation
wollen. Ganz gleich was sie sind.
WORUM GEHT
es überhaupt? Eine Sache ist sicher. Es betrifft die öffentlichen
Medien.
Benjamin Netanyahu will sie alle unter seiner
Kontrolle haben. Vollkommen. Total. Radio. Fernsehen. Die sozialen
Medien.
Es sieht so aus, dass es nicht einfach ist, sie
in den Griff zu bekommen.
Lange bevor es Israel gab und lange bevor es ein
Fernsehen gab, gründete die britische Regierung von Palästina die
"Stimme Jerusalems", eine Radio-Station, die uns mit Nachrichten
während des 2.Weltkrieg versorgte. Als der Staat Israel entstand,
wurde diese Radio-Station die "Stimme Israels". Die Radio-Behörde
blieb. Offiziell gehört sie der Regierung, aber sie erfreut sich
einer beträchtlichen Autorität.
Dann kam das Fernsehen und jetzt gibt es mehrere
Netzwerke. Eine von ihnen ist eine öffentliche. Sie gehört
derselben Behörde.
Netanjahu ist sehr empfindlich. Er liebt keine
Kritik. Auch seine Frau Sarahle nicht. Das königliche Paar fragte
sich, wie man die unverschämten Stimmen zum Schweigen bringen und
Abhilfe schaffen kann: die Behörde abschaffen und eine Körperschaft
schaffen. Durch diese einfache List könnten sie all die alten Hände
(und Münder) loswerden, die sie verachten.
So wurde entschieden, Gesetze wurden
verabschiedet, ein Budget wurde angenommen, neues Personal wurde
angestellt.
ABER DANN
wachten Netanjahu – oder seine Frau - eines
Nachts auf und fragten sich: Hey, was haben wir getan?
Wer wird all diesen guten Korporations-Leuten
sagen, was sie senden sollen und was nicht?
Die neue Korporation wurde nach der sehr
bewunderten BBC modelliert – nach der britischen Radio-Korporation.
Die BBC erfreute sich einer großen Unabhängigkeit. Wünschen wir
wirklich eine Korporation, die die Wünsche des Ministerpräsidenten
ignoriert? Und noch schlimmer: die Wünsche seiner Frau?
Natürlich nicht. Haltet alles an!
Hier sind wir also heute. Die alte Behörde ist
noch nicht entlassen worden, ihr aufgeblähtes Personal noch nicht
gekündigt worden. Seine verschiedenen Fernseh- und Radio-Stationen
sendeten täglich rund um die Uhr. Und da ist nun die neuen
Sende-Korporation, voll neuer Angestellten, dafür vorgesehen am
30. April auf Sendung zu gehen – nur einen Monat und 5 Tage
entfernt.
Wer wird am 1. Mai senden? Die Behörde? Die
Korporation? Beide? Oder Keiner? Nur der Allmächtige weiß dies.
Vielleicht nicht einmal ER.
Wer ist Netanjahus Feind in diesem Kampf? Ein
ganz unwahrscheinlicher Feind: Moshe Kachlon, der Finanzminister.
Ein sanfter, anspruchsloser Typ mit einem Dauerlächeln, ein
früheres Likud-Mitglied. Der Allmächtige – derselbe – hat diese
Miezekatze in einen Löwen verwandelt. Wunder geschehen.
Ich habe zufällig in dieser Woche ein
Radio-Studio besucht. Radioleute rund um mich. Ich fragte sie -
einen nach dem anderen - worum es bei diesem Kampf geht. Sie gaben
sich große Mühe, dies mir zu erklären. Am Ende hatte ich keine Idee
und ich hatte den starken Eindruck, dass sie auch keine haben.
IN DIESER
Woche machte Netanjahu einen Staatsbesuch in China, um so weit wie
möglich entfernt zu sein. Zwischen diesen beiden Weltmächten China
und Israel, der Elefant und die Maus – gibt es gute Beziehungen.
Der Ministerpräsident wurde herumgeführt. Er
wurde zur großen Mauer geführt. Fotos zeigten ihn, wie er von dunkel
gekleideten Männern umgeben ist und einer rot gekleideten Frau,
seiner Ehefrau. Er telefonierte gerade und ignorierte die
einzigartige Landschaft.
Mit wem? Diese verdammten Journalisten fanden es
heraus: der Ministerpräsident sprach mit seinen Untergeordneten im
weit entfernten Israel über das Auflösen der neuen Korporation und
die Stärkung der alten Behörde. Sein Finanzminister verkündete, wenn
dies geschieht, wird er die Regierung platzen lassen, eine neue
Wahl ist dann unvermeidbar, wenn Netanjahu an der Macht zu bleiben
wünscht.
Warum? Ohne Kachlon und seine Partei Kulanu; wird
Netanjahu und seine ultra-rechte Koalition keine Mehrheit haben. Die
Opposition, zusammen mit Kachlon wird eine neue Mehrheit haben.
Theoretisch könnte dies eine neue Regierung werden. Es ist keine
Wahl nötig. Es ist eine einfache Arithmetik.
Eh …. Stimmt. Aber Arithmetik ist keine Politik.
Solch eine neue Koalition würde die arabische Partei einschließen,
und dass ist zu viel für sowohl Lapid als auch Herzog.
Während dieser ganzen lächerlichen Affäre, wurde
die Stimme der Opposition überhaupt nicht gehört. Als ob der
Allmächtige – noch immer derselbe – sie alle stumm gemacht hat. Als
ob Yair Lapid, gewöhnlich ein immer verfügbarer Redner, der nach
den nächsten Wahlen vielleicht die größte Partei in der Knesset
führen wird, plötzlich nach Worten suchen muss. Armer Mann.
Nicht ganz so arm wie Yitzhak Herzog, der Führer
des zionistischen Lagers (auch als Labor-Partei bekannt). Nicht ein
Wort. Er hat nichts zu sagen – unglaublich, dass dies einem
Politiker passieren kann.
Warum plötzlich dieses Schweigen? Ganz einfach:
auf beiden Seiten des Konflikts sind Journalisten. Und welcher
Politiker möchte mit Journalisten streiten? Wer außer Benjamin
Netanjahu?
WAS WÜNSCHT
er? Was ist der Zweck dieses ganzen Krawalls?
Das ist ein leicht zu beantwortendes Rätsel:
Netanjahu wünscht direkte Kontrolle über alle Medien. Er wünscht, in
der Lage zu sein, jedem einzelnen Medienmann, was zu sagen und was
nicht zu sagen ist.
Nach den Wahlen hielt er in seinen eigenen Händen
nicht nur das Amt des Minister-Präsidenten und das des
Außenministers, sondern auch das des Kommunikations-Ministeriums,
ein ganz kleines Amt – außer dass er alle Regierungssubventionen für
die Medien kontrolliert. Aus einigen technischen Gründen zwang ihn
das Oberste Gericht, diese Position aufzugeben und einem seiner
Anhänger zu geben.
Alle Medien zu kontrollieren ist der Traum jedes
demokratischen Herrschers. (Diktatoren müssen nicht davon träumen –
sie haben es) Netanjahu hat schon absolute Kontrolle über Israels
größte Tageszeitung – eine Zeitung, die kostenlos ist. Dies ist ein
Geschenk von einem seiner begeistertsten Bewunderer—dem
US-Casino-Mogul Sheldon Adelson. (ich habe den hebräischen Terminus
für solch eine Dreingabe erfunden, etwas wie „gratisette“)
Der Besitzer einer wirklichen Tageszeitung von
fast gleicher Größe wurde belauscht, Netanjahu bevorzugte
Behandlung zu versprechen, als Gegenleistung für die Verminderung
der Verteilung dieser privaten Zeitung.
WARUM ZUM
Teufel braucht Netanjahu all diese Machenschaften?
Seine Macht gründet sich auf solider Fundierung.
Er hat schon den Traum eines Politikers realisiert: er hat keinen
Nachfolger. Alle möglichen Erben sind vor langem beseitigt worden.
Frage irgendeinen seiner Verächter, wen sie als möglichen Ersatz
sehen – sie werden still werden.
Viele Israelis – mich eingeschlossen – glauben,
dass Netanjahu den Staat in eine existenzielle Katastrophe führt.
Der Mann hat keine Weltanschauung, außer dem nationalistischen
Fanatismus seines verstorbenen Vaters, einem Historiker der
spanischen Inquisition. Intellektuell ist er eine Null.
Er ist aber ein talentierter politischer
Praktiker, ein Experte von täglichen politischen Intrigen,
einschließlich Beziehungen mit ausländischen Mächten. Da scheint es
keinen anderen Praktiker zu geben, der seinen Platz einnehmen
könnte.
Wir sind jetzt also an ihn gebunden, mit seiner
Autorität und/oder seiner Korporation
(dt. Ellen Rohlfs. vom Verfasser autorisiert)
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