Das Miezekätzchen
Uri Avnery, 31.1.07
KANN SICH eine Leopardin in eine Hauskatze verwandeln?
Ein Zoologe würde sagen „unmöglich“. Aber in der letzten
Woche sahen wir mit eigenen Augen, dass dies möglich
ist.
Condoleeza Rice kam hierher, um Ehud Olmert ein für alle
Mal beizubringen, wer der Boss ist. Der Präsident der
Vereinigten Staaten will im Nahen Osten Ordnung
schaffen und die Regierung Israels hat sich dem unter zu
ordnen. Sonst …
Zwei Tage später war von der Drohung nichts mehr zu
hören. Olmert weigerte sich wieder. Und was geschah nun?
Es geschah nichts. Die Furcht erregende Leopardin
schlich mit eingezogenem Schwanz nach Hause.
Muammar Gaddafi, eine seltsame Kreuzung von Diktator und
Komödiant, machte der „dunkelhäutigen afrikanischen
Dame“ Komplimente und offenbarte, dass er sie möge. Sie
bräuchte nur mit dem kleinen Finger winken und alle
Sicherheitschefs in der arabischen Welt, die die
eigentlichen Herrscher ihrer Länder seien, kämen
angelaufen. Aber selbst Gaddafi hat nicht behauptet,
dass sie Israel in die Flucht geschlagen hätte.
JULIUS CAESAR berichtete bekanntlich dem Römischen
Senat mit den Worten :“Ich kam, ich sah, ich siegte“.
Condoleezza konnte dem US-Senat berichten: „Ich kam, ich
sah, ich kapitulierte.“ Vor wem wohl? Vor einem
gescheiterten israelischen Ministerpräsidenten, dessen
Popularität sich dem Nullpunkt nähert und von dem
niemand mehr erwartet, dass er das Ende des Jahres als
Ministerpräsident erlebt.
Bei der fortdauernden Debatte, wer mit wem wedelt – der
Hund mit seinem Schwanz oder der Schwanz mit seinem Hund
– haben diesmal die Befürworter der zweiten Version
gesiegt. In der eben beendeten Runde hat Israel gegen
die USA gewonnen.
Diese Runde begann, als Präsident Bush sich entschloss,
die Decks für seine Aktion zu säubern . Das sieht
folgendermaßen aus: Die US bereiten sich für einen Krieg
gegen den Iran vor. Zu diesem Zweck, müssen sie das
Chaos im Irak beenden, die pro-amerikanischen arabischen
Regierungen einigen und für das palästinensische
Problem eine Lösung finden.
Am Anfang funktionierte alles ganz gut. Alle Führer der
arabischen Länder - außer Gaddafi, dem unvermeidlich
Abwesenden - versammelten sich zu einem Gipfeltreffen in
Riad. Der König von Saudi-Arabien hatte sich mit Bashar
al-Assad versöhnt. Mahmoud Abbas brachte den Hamasführer
Ismail Hanijeh mit. Der Präsident Emil Lahoud aus dem
Libanon, der Protégée Syriens und der Hisbollah, nahm
seinen Platz am runden Tisch ein.
Die vereinigte arabische Welt hauchte dem Friedensplan
König Abdullahs neues Leben ein; dieser sichert Israel
die Anerkennung, Frieden und die Normalisierung mit der
ganzen arabischen Welt zu, wenn es sich dafür auf die
Grenzen vom 4. Juni 1967 zurückzieht. Dieser Plan
bekennt sich zwar zu einer „gerechten Lösung“ für das
Flüchtlingsproblem (und wie hätte das auch vermieden
werden können), stellt aber eindeutig fest, dass jede
Lösung von einem israelischen Übereinkommen abhänge.
Wenn die arabische Welt uns dieses Angebot am 4. Juni
1967 gemacht hätte, wir hätten unsere Augen zum Himmel
erhoben, Kerzen angezündet und den alten jüdischen Segen
gesprochen: „Gepriesen seist du, Herr unser Gott, König
der Welt, der uns am Leben erhalten und getragen und uns
diesen Tag hat erleben lassen.“
Aber in dieser Woche hat keiner Kerzen angezündet und
keiner den „Herrscher der Welten“ für das arabische
Friedensangebot gepriesen. Im Gegenteil. Olmert und Co
zerbrachen sich die Köpfe, um einen Weg aus der Falle zu
finden. Da sie keinen überzeugenderen Grund fanden,
argumentierten sie, dass es unmöglich sei, ein Angebot
anzunehmen, das die UN-Resolution über die Flüchtlinge
erwähnt. Die meisten Medien – von Olmerts Sprecher
instruiert – sagten nichts von der ausdrücklichen
Bedingung, dass die Lösung von Israels Einverständnis
abhängt.
Kurz gesagt: Njet! (nein)
DAS WAR das Signal für die riesige amerikanische
Dampfwalze, in Gang zu kommen. Denn schließlich
stehen lebenswichtige amerikanische Interessen auf dem
Spiel.
All die arabischen Herrscher, die von den US abhängen,
schreien laut, dass sie der USA nicht versprechen
können, sie – wie gefordert – zu unterstützen, solange
der Eiter aus dem palästinensischen Besatzungstumor
fließt. Wie können der König von Saudi Arabien und der
Präsident von Ägypten ihre Massen für einen Krieg gegen
den Iran gewinnen, wenn sie und ihre Untertanen bei
Aljazeera morgens, mittags und abends den schrecklichen
Bildern vom israelischen Armee-Kampfhund ausgesetzt
sind, der seine Zähne in das Fleisch einer alten
palästinensischen Frau versenkt und nicht mehr loslässt?
Condoleezza arrangierte mit Olmert ein Show-down und
war bereit, ein Ultimatum zu stellen. Aber anscheinend
kamen im letzten Augenblick neue Instruktionen aus dem
Weißen Haus: Lass es und komm nach Haus!
Es sieht so aus, als ob Präsident Bush sogar noch
schwächer als Olmert ist. In beiden Häusern des
Kongresses hat er wegen des Irakkrieges eine
schmerzhafte Niederlage erlitten. Die amerikanische
Öffentlichkeit hat keine Lust auf einen weiteren Krieg,
dieses Mal gegen ein Land, das in sich geeinter und
entschlossener ist als der Irak. In solch einer
politischen Situation wäre es das Letzte, was er
brauchen kann: eine Kopf-gegen-die-Wand-Kollision mit
der pro-israelischen Lobby und ihrem jüdischen und
christlichen Flügel.
Die beiden Professoren, Stephen Wall und John
Mearsheimer haben diese Runde gewonnen. Bei dieser
Auseinandersetzung zwischen nationalen Interessen der
USA und der Regierung Israels und seiner Fans in Amerika
hat die israelische Seite gewonnen.
Die Dampfwalze rollte nicht. Condoleezza ging zu Olmert
und saß drei Stunden mit ihm zusammen. Ihr
Schluss-Statement klang eher wie das Schnurren einer
Hauskatze als das Fauchen einer Raubkatze.
UND DIE israelische Öffentlichkeit? Diese Gesellschaft,
die sehen muss, wie eine weitere historische günstige
Gelegenheit vorüberzieht und ignoriert wird?
Zweifellos hätte die große Mehrheit Olmert unterstützt,
wenn er die Annahme des arabischen Angebotes
angekündigt hätte. Aber nur eine kleine Minderheit war
bereit, gegen Olmert zu rebellieren, als er das
Gegenteil tat.
Die schweigende Mehrheit schließt die Opfer des nächsten
Krieges, ihre Eltern und Kinder mit ein. Ist es möglich,
dass es sie einfach nicht kümmert? Dass ihnen dies keine
Sorgen bereitet?
Die Öffentlichkeit hat sich nicht aufgeregt, nicht
beklagt, sie erhebt ihre Stimme nicht und demonstriert
nicht.
In dieser Woche rief die Peace Now- Bewegung zu einer
Demonstration auf, um zu verlangen, Olmert möge auf die
Initiative des arabischen Gipfel positiv reagieren.
Dieses Ereignis fand in der Nähe der Residenz des
Ministerpräsidenten in Jerusalem statt. Die
Organisatoren brachten die Fahnen aller arabischer
Staaten mit, einschließlich der palästinensischen. Es
war ein erfreulicher Anblick vor allem für die, die sich
erinnern, wie vor 20 Jahren ein Aktivist von einer Peace
Now-Demo vertrieben wurde, weil er eine kleine
palästinensische Flagge bei sich hatte.
Wie viele kamen? Eine Bewegung, die einmal 400 000
Demonstranten nach dem Sabra- und Shatila-Massaker auf
die Beine brachte, brachte diesmal – gewiss, es war ein
Arbeitstag - nur 250 Leute zusammen. Weder Haaretz oder
eine andere Zeitung erwähnten die farbenprächtige
Demonstration mit einem einzigen Wort, kein TV-Kanal
zeigte ein einziges Bild – außer Aljazeera.
Welches sind die Ursachen dieser Gleichgültigkeit?
Fatalismus? Müdigkeit? Frühere Enttäuschungen?
Misstrauen gegenüber der Regierung und/oder gegenüber
den Arabern?
Zweifellos ist etwas Dramatisches nötig, um die
Gesellschaft aufzurütteln. Ein Kommentator schlug vor,
dass der saudische König dem Beispiel Anwar Sadats
folgen und nach Jerusalem kommen solle, um in der
Knesset zu sprechen und sich so direkt an das ganze Volk
zu wenden. Aber Sadat machte seinen historischen Besuch
erst, nachdem Moshe Dayan bei Geheimtreffen in Marokko
versprochen hatte, dass Menachem Begin bereit wäre, die
ganze Sinai-Halbinsel zurückzugeben. Olmert hat gar
nichts versprochen.
ANTWORTETE Olmert? Aber sicher. Schließlich war es
unmöglich, diese Offerte komplett zu ignorieren.
Er erklärte, er sei bereit, sich mit dem saudischen
König zu treffen. Naive Leute könnten davon positiv
beeindruckt sein. Der Ministerpräsident Israels ist
bereit, sich mit Führern arabischer Staaten zu treffen.
Gut. Sehr gut – wirklich.
Tatsächlich ist das eine alter Trick israelischer
Regierungen – seit den Zeiten David Ben Gurions. Ein
Treffen mit dem Staatsoberhaupt eines der bedeutendsten
arabischen Staaten könnte als Normalisierung gedeutet
werden – und Normalisierung ist die Hauptforderung
Israels. Das heißt: Israel würde sein Hauptziel
erreichen, ohne dass es etwas dafür gibt. Kein
arabisches Staatsoberhaupt wird natürlich in diese Falle
tappen.
Kurz danach verkündete Olmert, dass kein einziger
Siedlungsaußenposten abgebaut werden wird, bis die
Palästinenser nicht „den Terrorismus bekämpfen“. Auch
dies hat einen historischen Hintergrund: als Präsident
Bush der Anerkennung der israelischen
„Bevölkerungszentren“ zustimmte – die großen jenseits
der Grünen Linie aufgebauten Siedlungen, die
internationales Recht und die vorherigen amerikanischen
Forderungen verletzen – versprach Ariel Sharon, all die
Siedlungen, die nach seiner Amtseinführung 2001
errichtet wurden, aufzulösen. Sogar nach israelischem
Gesetz sind diese Siedlungen („Außenposten“) illegal.
Dieses Unterfangen ist auch in der armseligen, alten
Road Map enthalten. Nach ihr wäre Israel gezwungen, in
der ersten Phase diese Siedlungen abzubauen –
gleichzeitig sollten die Palästinenser ihre
Organisationen entwaffnen.
Amir Peretz, der als Verteidigungsminister für diesen
Sektor zuständig ist, erklärte immer wieder, dass er -
jede Minute – die Außenposten auflösen wird. Faktisch
wurde noch keine einzige abgebaut. Jetzt erklärt Olmert,
dass zuerst die Palästinenser den Terrorismus bekämpfen
müssten. Erst dann würde die Regierung entscheiden, was
man mit den Siedlungen tun wird.
Mit andern Worten: kein Außenposten wird aufgelöst __.
Auf diese Weise wird sich das „Fenster der günstigen
Gelegenheit“ schließen. (Um an dieser Stelle einen
ziemlich dummen amerikanischen Ausdruck zu verwenden.
Schließlich ist ein Fenster dazu da, dass man sehen
kann, was draußen geschieht und nicht, um nach draußen
zu gehen und etwas zu tun. Dafür gibt es ja Türen).
AM VORABEND des Passahfestes gab Olmert seine Gedanken
in allen Medien zum besten .
Israels größte Tageszeitung setzte eine sensationelle
Schlagzeile auf ihre Titelseite: „Olmert: Innerhalb der
nächsten fünf Jahre können wir Frieden erreichen!“
Was? In fünf Jahren? 1993 wurde das Oslo-Abkommen
unterzeichnet. Darin war vorgesehen, dass es innerhalb
von fünf Jahren ein endgültiges Friedensabkommen
zwischen Israel und dem palästinensischen Volk geben
wird. Seitdem sind 13 Jahre vergangen – und die
Verhandlungen darüber haben noch nicht einmal begonnen.
Es scheint, dass diese „fünf Jahre“ zur selben Welt der
Illusionen gehören wie Condoleezzas „politischer
Horizont“: je mehr man auf ihn zugeht – um so weiter
entfernt er sich.
(Aus dem Englischen:
Ellen Rohlfs uns Christoph Glanz, vom Verfasser
autorisiert) |