"Israel muss mit der Hamas verhandeln."
Interview mit Moshe Zuckermann (Tel Aviv).
Arn Strohmeyer
Interview mit Moshe Zuckermann
„Israel muss mit der Hamas verhandeln.“ Interview mit Moshe
Zuckermann (Tel Aviv).
Ohne Verhandlungen mit der Hamas wird es nach Auffassung des
israelischen Historikers Moshe Zuckermann keinen Waffenstillstand
geben. Verhandlungen mit der islamistischen Organisation seien
deshalb unabdingbar. Zuckermann setzt große Hoffnungen auf die
Nahost-Politik des neuen US-Präsidenten Barak Obama, warnt aber vor
zu großem Optimismus. Es komme darauf an, was dieser von seiner
Rhetorik wirklich umsetzen könne. Mit Zuckermann sprach Arn
Strohmeyer (Bremen).
1. Der Gaza-Krieg war offensichtlich von der israelischen Regierung
lange vorbereitet worden. Er war also nicht nur eine Reaktion auf
die Qassam-Raketen, deren militärische Wirkung ja sehr begrenzt ist.
Was hat Israel mit diesem Krieg aber wirklich beabsichtigt? Warum
hat es das Waffenstillstandsangebot der Hamas, das ja vorlag,
ausgeschlagen?
Der Krieg war schon länger vorbereitet, weil es ja vermeintlich
einen unmittelbaren, aber nicht ganz neuen Anlass gab: den Beschuss
israelischer Orte im Süden des Landes. Für meine Begriffe war aber
nicht das der Grund für den Ausbruch des Krieges, jedenfalls nicht
in diesem horrenden Ausmaß. Es ging vielmehr darum, das Fiasko des
zweiten Libanonkrieges zu kompensieren; besonders Olmert, aber nicht
nur ihm musste daran gelegen sein, ein anderes Bild von seiner
Amtszeit zu hinterlassen, als das, welches sich mit dem Ausgang des
zweiten Libanonkrieges gebildet hatte. Zum anderen herrscht in
Israel momentan Wahlkampf. Man drehe und wende es, wie man will –
auch das war mit ein Grund für den Ausbruch der Kampfhandlungen: der
Versuch, politisches Kapital aus einem „gewonnenen“ Krieg zu
schlagen.
2. Was ist die Ursache für die völlig unverhältnismäßige und
überzogene einseitige Gewalt von Seiten Israels in diesem Krieg –
aber auch schon im Libanon-Krieg 2006? Ist es die aus dem Holocaust
herrührende „existenzielle Angst“: so etwas darf uns nie wieder
passieren und deshalb gibt es für uns keine moralischen Grenzen?
Ach, ich würde die Shoah in diesem Zusammenhang nicht allzu schnell
herbeibemühen. Zumal ja derlei Begründungen immer eine nebulöse
Vermutung bleiben müssen. Worum es Israel zu tun war, ist die
Wiederherstellung des Abschreckungspotentials der israelischen
Armee. Man hatte das Gefühl, dass dieses im zweiten Libanonkrieg ins
Wanken geraten war. Mit den Hamas-Kämpfern im Gaza hatte man nun
sozusagen „leichtes Spiel“, denn es gab ja
keine wirkliche militärische Kampfkonfrontation, und so konnte sich
die israelische Armee rühmen, „siegreich“ aus dem Krieg
hervorgegangen zu sein.
3. Sie haben einmal gesagt, dass die innere Logik der Politik, wie
der Zionismus sie heute betreibt, zu einem regionalen Krieg führen
könnte, der die ganze Region – von Ägypten über Jordanien, Israel
und bis nach Syrien – zerstören würde. War der Gaza-Krieg ein
Schritt in diese Richtung?
Nein, der Gaza-Krieg gehört nicht in den Überlegungsbereich der
Gründe für den Ausbruch eines regionalen Krieges, schon deshalb
nicht, weil nicht wenige arabische Länder sich mit der Hamas ganz
und gar nicht identifizieren können, sondern in ihr im Gegenteil das
Paradigma der Bedrohung im je eigenen Land durch die
fundamentalistischen Strömungen sehen. Um die benachbarten Länder in
den Zugzwang eines regionalen Krieges zu bringen, bedürfte es eher
eines massiven Bevölkerungstransfers der Palästinenser aus ihren
Territorien, wie ihn sich einst Meir Kahane, Rehavam Zeevi oder
Avigdor Liberman (heute) wünschten.
4. Präsident Mahmud Abbas hat kein Mandat, für alle Palästinenser zu
sprechen. Ohne die Hamas kann es aber keine Verständigung mit den
Palästinensern geben. Was sind die wirklichen Gründe, warum Israel
die Hamas als Verhandlungspartner ablehnt?
Israel hat guten offiziellen Grund, die Hamas als
Verhandlungspartner abzulehnen, weil die Hamas Israel nicht
anerkennt bzw. sich Israel ganz und gar wegwünschen würde. Mahmud
Abbas selbst hat eine offene Rechnung mit der Hamas. Die Frage ist
halt nur, ob man wirklich nicht mit der Hamas verhandelt. Für meine
Begriffe ist es keine Willensfrage, sondern ein Muss: Man muss mit
der Hamas verhandeln, weil man ja einen Waffenstillstand erstrebt,
mithin auch den von der Hamas gefangen gehaltenen Soldaten Gilad
Shalit befreien möchte. Ein wie immer geartetes Abkommen wird ohne
(direkte oder indirekte) Verhandlungen mit der Hamas nicht zustande
kommen.
5. Für Israel gibt es nur die Möglichkeit, den Konflikt mit den
Palästinensern unendlich zu verlängern oder den erforderlichen Preis
für eine echte Friedenslösung zu zahlen. Wie kommt Israel aus dieser
Sackgasse heraus?
Israel kann aus dieser Sackgasse nur herauskommen, wenn es sich zu
einem genuinen Frieden entschließt, mithin also auch bereit ist, den
so genannten Preis für ihn zu zahlen. Das bedeutet nicht weniger,
als den Rückzug aus dem Westjordanland, den Abbau des in ihm
entstandenen Siedlungswerks, die Lösung der Jerusalem-Frage im Sinne
einer Zwei-Staaten-Lösung sowie die symbolische Anerkennung des
Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge. Es gibt keinen
anderen Ausweg aus dieser Sackgasse, außer den einer endlosen
Perpetuierung des Konflikts, was aber längerfristig weder Israel
noch die Palästinenser durchhalten dürften.
6. Israel hat durch den Gaza-Krieg in der Welt einen enormen
Image-Verlust erlitten, der schwer wieder gutzumachen sein wird. Ist
das der israelischen Regierung gleichgültig oder warum handelt sie
so gegen ihre Interessen?
Die israelische Regierung fühlt nicht, dass sie gegen ihre
Interessen handelt, sondern meint ganz im Gegenteil in Israels
Interesse gehandelt zu haben. Dass dabei die Sicherheitsfrage
fetischisiert wird, ist nicht neu. Dass man sich um den Imageverlust
in der Welt einen feuchten Kehricht kümmert, auch nicht. Ein Beleg
dafür dürfte sich in knapp zehn Tagen einstellen, wenn, wie es
momentan aussieht, Netanjahu zum nächsten israelischen Premier
gewählt und seine Regierungskoalition aus einem großen
parlamentarischen Rechtsblock bilden wird.
7. Der Gaza-Krieg war auch eine Propagandaschlacht, die vor allem
über die Fernsehbilder ausgetragen wurde. Israel hat dabei eine
mediale Wirklichkeit aufgebaut, die es – wie sich später
herausstellte – großenteils gar nicht gab. Israelische
Intellektuelle haben diese Darstellung dennoch kritiklos übernommen.
Wie ist das zu erklären? Und liegt in dieser zentral gesteuerten
Propaganda nicht eine Gefahr für die israelische Demokratie?
Von israelischer Demokratie würde ich in vielerlei Hinsicht nicht
sprechen wollen, schon gar nicht in Zeiten des Ausnahmezustandes.
Dass die linkszionistischen Intellektuellen diesen Krieg (wieder
einmal) mitgetragen haben, überrascht nicht allzu sehr. Auch sie
sind der israelischen Regierungspropaganda weitgehend aufgesessen.
Aber darüber hinaus ist es ja auch so, dass weder die Hamas heute
noch die Hisbollah vor zwei Jahren Bewegungen bzw. Organisationen
sind, mit denen man sich von linker (israelischer) Warte leicht
solidarisieren oder sogar auch nur ins Gespräch kommen könnte.
8. Der neue US-Präsident Barak Obama schlägt ganz neue Töne im
Umgang mit dem Islam und der arabischen Welt an. Er will – wie er
sagt – „auch die Interessen der Palästinenser berücksichtigen“. In
Israel wird es nach der Wahl in jedem Fall eine konservative bzw.
rechte Regierung geben, die an dem bisherigen Kurs festhalten wird.
Bahnt sich hier ein Konflikt mit den USA an?
Es wird auf jeden nicht mehr die Dauerhochzeit geben, die über Jahre
zwischen der Bush-Regierung und Israels Regierungen unter Sharon und
Olmert bestanden hat. Ob freilich Obama es auf eine Konfrontation
ankommen lassen wird, muss erst abgewartet werden. Überhaupt muss
erst abgewartet werden, was Obama von dem, was er rhetorisch
verspricht, in der praktischen Realität umsetzen wird. Er ist ein
Hoffnungsträger, ohne Zweifel, aber geprüft wird er anhand dessen,
was er vom Signalisierten verwirklichen wird.
9. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat sich im Gaza-Krieg mit
der Feststellung „Israel hat immer recht“ voll und ganz hinter das
israelische Vorgehen gestellt. Dient eine solche unkritische und
undifferenzierte Haltung der Lösung des Nahost-Konflikts und dem
deutsch-israelischen Verhältnis?
Aus meiner Perspektive dient sie ihr ganz und gar nicht. Aber meine
Perspektive ist nicht die der israelischen Regierung und gewiss auch
nicht die der deutschen Bundeskanzlerin. Ich glaube, Angela Merkel
urteilt im Fall Israels wider besseren Wissens, weil sie ganz in der
Tradition der israelisch-deutschen Politkultur steht, wonach
Deutschland immer absegnet, was Israel machen zu sollen meint. Die
Frage, ob damit den wahren israelischen Interessen gedient
wird, erhebt sich für Deutschland bzw. für seine Kanzlerin gar
nicht.
10. Amerikanisch-jüdische Organisationen und der Zentralrat der
Juden in Deutschland haben behauptet, die Demonstrationen in aller
Welt gegen den Gaza-Krieg seien zutiefst antisemitisch gewesen und
hinter ihnen steckten vor allem Alt- und Neonazis. Abgesehen davon,
dass auch Juden überall mit gegen diesen Krieg protestiert haben –
wird hier der Antisemitismus-Vorwurf nicht auf eine völlig falsche
Schiene geleitet?
Ja, der Antisemitismus, der natürlich überall bekämpft gehört, wo er
in Erscheinung tritt, wird schon seit geraumer Zeit verdinglicht und
in perfidester Weise ideologisch instrumentalisiert. Das Schlimme
dabei ist, dass diejenigen, die groß von Antisemitismus tönen, noch
immer den Unterschied zwischen Israelkritik, Antizionismus und
Antisemitismus nicht begriffen haben. Nicht begriffen haben sie
zudem, dass das, was Israel an Horrendem anrichtet, zwangläufig auch
den realen Antisemitismus in der Welt nährt. Man kann offenbar nicht
den Apfel essen und ihn auch ganz behalten.
11. In Deutschland ist wegen der jüdischen Zuwanderer aus Russland
viel von der „Wiedergeburt des Judentums“ die Rede. Die Erneuerung
wird aber – etwa durch den Zentralrat der Juden in Deutschland und
viele jüdischen Gemeinden – im Sinne eines militanten Zionismus
durchgeführt, was man jetzt wieder durch die rückhaltlose
Unterstützung für Israels Vorgehen im Gaza-Streifen feststellen
konnte. Hat eine solche „jüdische Erneuerung“ Zukunft?
Ich höre von einer „Wiedergeburt des Judentums“ in Deutschland bzw.
von der „jüdischen Erneuerung“ zum ersten Mal. Ich dachte immer, das
sei der Job des Zionismus gewesen. Na, da wird man sich in Israel
aber freuen. Gemeinhin werden in Israel die in Deutschland (nach der
Shoah) lebenden Juden für die schmählichsten der Diaspora gehalten.
Vielleicht wird jetzt durch die "Erneuerung" eine Zeitenwende
eintreten: Die in Deutschland lebenden Juden kämpfen aus Deutschland
bis zum letzten israelischen Blutstropfen.
12. Es gibt immer mehr jüdische Intellektuelle, Wissenschaftler und
Politiker die sich kritisch mit den Grundpfeilern des Zionismus
auseinandersetzen (z.B. Sie selbst, Ilan Pappe, Tom Segew, Yehuda
Elkana, Avi Shlaim, Shlomo Sand, John Rose, Avraham Burg und der
verstorbene Simcha Flappan, um nur einige zu nennen). Bedeutet das,
dass dieses Hinterfragen und In-Frage-Stellen auf Dauer der
zionistischen Ideologie die Legitimation entzieht? Wie wird sich das
auf den Staat Israel auswirken?
Ach Quatsch, die Leute, die Sie erwähnen, mich eingeschlossen, haben
doch in Israel politisch nichts zu bestellen – sie bilden eine
randständige Minorität. Wenn der zionistischen Ideologie je die
Legitimation entzogen werden sollte, wird es nicht wegen einiger
Intellektuellen geschehen, sondern wegen historischer Bewegungen
innerhalb des Judentums, geopolitischer Interessen in der Region und
anderer Umbrüche, die aber struktureller Natur
sein müssen. Nichts dergleichen steht in absehbarer Zukunft an. |