Die Bundesregierung will ein
Betätigungsverbot für Vertreter und
Anhänger der Hisbollah in Deutschland
durchsetzen. Damit soll die schiitische
Organisation mit der kurdischen PKK und
dem „Islamischen Staat“ (IS)
gleichgestellt werden Man kann in diesem
Zusammenhang auch noch die Hamas nennen,
die wie die Hisbollah in westlicher
Sicht eine „Terrororganisation“ ist. Man
darf sehr bezweifeln, ob der Beschluss
der Bundesregierung weise ist. Aber
nach der deutschen Staatsräson, dass
Israel mit allen Mitteln zu schützen
ist, auch wenn dieser Staat eine noch so
brutale und völkerrechtswidrige Politik
gegenüber den Palästinensern betreibt,
bewegt sich diese Entscheidung, die auf Außenminister
Heiko Maas zurückgehen soll, in der
schiefen und verqueren Logik der
deutschen Nahost-Politik.
Bedenklich ist sie aber aus historischen
und politischen Gründen. Die Hisbollah
ist sozusagen ein „Gewächs“ der
israelischen Politik. Denn 1982 fiel die
israelische Armee in den Libanon ein.
Ihr Ziel war die Vernichtung der PLO,
die den Süden des Landes beherrschte und
wegen ihres harten Regiments dort bei
den Einheimischen nicht sehr beliebt
war. Die Israelis wurden fast als
Befreier begrüßt. Die Freude dauerte
aber nicht lange, da die Libanesen dort
schnell merkten, dass sie vom Regen in
die Traufe gekommen waren. Es bildete
sich massiver Widerstand gegen die
Besatzer, und das war die Geburtsstunde
der Hisbollah, die in den Folgejahren so
stark wurde, dass sie im Krieg 2006 die
israelischen Truppen, die erneut in den
Libanon eingefallen waren, an den Rand
einer Niederlage brachten.
Die Hisbollah ist also als Reaktion auf
die israelischen Überfälle auf den
Libanon entstanden und hat so gesehen
durchaus ihre Daseinsberechtigung, denn
hier ging es wirklich um Verteidigung
des eigenen Territoriums. Was übrigens
sehr viele Libanesen, die ansonsten der
Hisbollah nicht nahestehen, genauso
sehen. Denn die Armee des Landes ist
äußerst schwach, vor der Hisbollah hat
aber selbst Israel Respekt. Sie bietet
gegenüber dem militärisch übermächtigen
Nachbarn den einzigen Schutz. Zudem ist
die Hisbollah ein völlig legaler Teil
des libanesischen Staates: Sie nimmt an demokratischen
Wahlen teil, ihre Abgeordneten sitzen im
Parlament in Beirut und sie stellt
Minister im Kabinett.
Die Hisbollah ist inzwischen (auch wenn
der Iran hinter ihr steht – was ist
daran schändlich?) ein wichtiger
politischer und militärischer Player im
Nahen Osten. Sie als
„Terrororganisation“ in Deutschland zu
verbieten, heißt wieder einmal, die
Augen vor den Realitäten in dieser Region zu
verschließen. Durch Verbote bewirkt man
nichts, begibt sich aber aller
politischen Einflussmöglichkeiten.
Der Verbotsbeschluss der Bundesregierung
erinnert an das Jahr 2010, in dem
Deutschland Kriegsschiffe an die
libanesische Küste schickte, um
Waffenlieferungen an die Hisbollah zu
verhindern. Nur war diese Organisation
noch nie in Israel einmarschiert, was
sie gar nicht könnte, weil sie dazu gar
nicht die Mittel hat, aber Israel hat
immer wieder den Libanon angegriffen.
Schon in den 50er Jahren hatte Moshe
Dajan darauf gedrungen, den Libanon zu
erobern und dort ein Israel genehmes
maronitisch-christliches Regime einzusetzen,
was aber der damalige Außenminister
Moshe Sharett verhindert hat. (Siehe
dessen Tagebücher!)
Im Jahr 2006 gab es noch ein anderes
wichtiges Ereignis im Nahen Osten: Die
Hamas gewann in den besetzten
palästinensischen Gebieten absolut
korrekt durchgeführte freie Wahlen, was
internationale Beobachter bestätigten.
Israel, die USA und der Rest des Westens
(darunter auch Deutschland) erkannten
die Wahlen, die sie vorher gefordert
hatten, aber nicht an, weil die Falschen
gewonnen hatten. Die Hamas galt weiter
als „Terrororganisation“, die frei
gewählten Abgeordneten wurden von Israel
verhaftet und sitzen heute noch in
Gefängnissen dieses Staates. Ein gutes Beispiel der Nahost-Politik des
Westens, der ständig seine Werte
Freiheit, Gleichheit, Demokratie und
Rechtsstaat beschwört.
Und natürlich wird die Gegnerschaft zur
Hisbollah und Hamas nicht nur mit dem „Terror“-Argument,
sondern indirekt auch mit dem
„Antisemitismus-Vorwurf“ begründet. Dazu
hat schon vor Jahren der Israeli Moshe
Zuckermann angemerkt: „Wer noch immer
nicht den Unterschied zwischen Judentum,
Zionismus und Israel, mithin zwischen
Antisemitismus, Antizionismus und
Israelkritik begriffen hat, wird
zwangsläufig miteinander vermengen, was
auseinandergehalten gehört. Israel führt
einen erbitterten Kampf gegen Hamas und
Hisbollah; dieser hat seinen
historischen Ursprung sowie seine
aktuelle Begründung in der nahöstlichen
Geopolitik und im
israelisch-palästinensischen Konflikt,
nicht im Antisemitismus als solchem,
schon gar nicht in einem dem
abendländischen vergleichbaren
Antisemitismus.“
Gegen alle diese Fakten kann man auch
nicht den Einsatz der Hisbollah in
Syrien anbringen. Syrien – man mag das
autoritäre und brutale Regime seines
Präsidenten mögen oder nicht – ist immer
noch ein völkerrechtlich existierender
Staat mit Sitz in der UNO, der sich zur
Verteidigung seines Landes und seiner
Souveränität zu Hilfe holen kann, wen er
will – auch den Iran und die Hisbollah.
Völkerrechtlich ist die Anwesenheit des
westlichen Militärs in Syrien sehr viel
prekärer, denn der Westen hat kein
UN-Mandat, dort einzugreifen. Und Israel
schon gar nicht, das permanent
Luftangriffe auf syrisches Territorium
fliegt. Und im Übrigen: Dass der IS in
Syrien so gut wie besiegt ist, ist nicht
zuletzt das Verdienst der Hisbollah, die
zusammen mit der syrischen Armee gegen
diese
Terroristen kämpft. Was die deutsche
Regierung aber nicht davon abhält, die
Hisbollah mit dem IS auf eine
„terroristische“ Stufe zu stellen.
Dieser einseitige deutsche
Verbotsschritt ist – da besteht kein
Zweifel – auf amerikanischen und
israelischen Druck zustande gekommen.
US-Botschafter Richard Grenell soll da
eine wichtige Rolle gespielt haben.
Deutschland hat sich wieder einmal als
devoter Vasall der Amerikaner und
Israels erwiesen. Der Preis für diese
Unterordnung ist hoch. Die deutsche
Politik verzichtet mit diesem Schritt
(zusammen mit den anderen Europäern) auf
eine eigene wichtige Rolle im Nahen
Osten, die gerade nach dem Scheitern des
Atomabkommens mit dem Iran so wichtig
wäre. Sie macht die blinde westliche
Einteilung in die „Guten“ (Wir) und die
„Bösen“ (die Anderen) mit – eine
Strategie, die in der nahöstlichen
Region bisher – siehe die Zerstörung des
Irak 2003 durch die USA, die den
Terrorismus des IS dort erst geschaffen
hat – nur verheerende Folgen gezeitigt
hat. Die Verbotsentscheidung ist das
absolut falsche Signal. Die Hisbollah
wird bei der künftigen Gestaltung des
Nahen Ostens ihre Rolle spielen und
Deutschland sperrt sich selbst davon
aus. Ein Trauerspiel! |