DIG ruft
zum Verweigern von Versammlungsräumen für Kritiker der
israelischen Politik auf
Eine
Broschüre der Organisation erhebt absurde Vorwürfe gegen
BDS-Menschenrechtsaktivisten
Arn
Strohmeyer
Der
Bundesvorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) hat
eine Broschüre mit dem Titel „Boykottbewegungen gegen Israel.
Widerspruch mit Informationen und Argumenten" (Berlin 2016)
herausgegeben. Darin ruft der Autor Sebastian Mohr offen zum
Verweigern von Räumen für Veranstaltungen von Kritikern der
israelischen Politik auf. Die Durchschlagskraft der
Israel-Boykottkampagne (BDS) in Deutschland könne durch gezielte
Proteste, die Verweigerung von öffentlichen Versammlungsräumen
und durch genaue Beobachtung der Szene weiterhin „eingehegt"
werden, heißt es auf Seite 17 der Broschüre. Das ist ein
indirekter Aufruf zu einer klaren Verletzung des Grundgesetzes,
denn dort sind die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit
sowie die Versammlungsfreiheit festgeschrieben. Hier maßt sich
eine Gruppe an, diese Rechte für sich allein in Anspruch zu
nehmen.
Mohr bestätigt damit eine Praxis,
die in verschiedenen deutschen Städten und besonders in Bremen
längst Usus ist. Denn seit Jahren versuchen die DIG , die
Jüdische Gemeinde und die Antideutschen mit allen Mitteln zu
erreichen, dass die Gruppen, die der israelischen Politik
kritisch gegenüberstehen (etwa der Arbeitskreis Nahost und die
die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft), keine Räume für ihre
Veranstaltungen bekommen. Das immer gleiche Argument, das dann
bei den Verantwortlichen für die Raumvergabe vorgebracht wird,
ist, dass es sich hier um „antisemitische" Veranstaltungen
handele. Im Hintergrund zieht dann auch der dubiose Journalist
Benjamin Weinthal seine Fäden, der erst mit Ultimaten und dann
mit Artikeln in der „Jerusalem Post" droht.
Was Antisemitismus genau ist, also
eine klare und eindeutige Definition, wird in der Broschüre
nicht gegeben. Das schafft natürlich für die Israel-Verteidiger
einen breiten Raum, alles und jedes, was ihnen nicht passt, als
„antisemitisch" zu diffamieren, wohl wissend, wie ruf-, ja
existenzschädigend dieser Vorwurf ist. Ganz besonders nehmen die
Autoren der Broschüre die BDS-Aktivisten ins Visier – also die
Bewegung für „Boykott, De-Investment und Sanktionen". Was dieser
Bewegung, die mit politischem Druck von außen und den drei
Blockade-Maßnahmen ein Ende der israelischen Besatzung und die
politische Selbstbestimmung der Palästinenser erreichen will,
weil sie wegen Israels Blockadehaltung an einen Erfolg von
Friedensverhandlungen nicht mehr glaubt, von den Autoren
unterstellt wird, ist mehr als abenteuerlich.
Die BDS-Bewegung wolle – so heißt
es da immer wieder –dem Staat Israel die Existenzberechtigung
entziehen, ja ihn zerstören. Natürlich würden die BDS-Aktivisten
eng mit palästinensischen „Terrorgruppen" zusammen arbeiten (man
wolle den Gegner schließlich auch mit militärischen Mitteln zu
Fall bringen), und sie kooperierten eng mit Neo-Nazis. Die
BDS-Kampagne beruhe auf „Desinformation, Hetze und Lüge". Auf
das Völkerrecht und die Menschenrechte für die Palästinenser
beriefen sich die BDS-Anhänger nur missbräuchlich, in
Wirklichkeit ginge es ihnen nur um die Dämonisierung und
Delegitimierung Israels. Die Sprache der Autoren verrät an
vielen Stellen, wie sehr sie auf dem Kriegsfuß mit der
historischen und politischen Realität stehen. So spricht der
Autor Alex Feuerherdt von der „sogenannten" Nakba, also der
palästinensischen Katastrophe 1948, als die Zionisten die Hälfte
des palästinensischen Volkes (etwa 750 000 Menschen) vertrieben
haben – ein Vorgang, der heute von sehr vielen israelischen
Historikern (besonders den jüngeren) gar nicht mehr bestritten
ist, denn ohne die Nakba gäbe es den jüdischen Staat nicht, wird
argumentiert.
Auch der Nahost-Konflikt – also
die bis heute andauernde Auseinandersetzung zwischen Israel und
den Palästinensern – wird von Feuerherdt als ein „sogenannter"
bezeichnet, was ja wohl heißt, dass es ihn eigentlich gar nicht
gibt und er von bösen „Antisemiten" (wie eben BDS-Aktivisten)
nur hochgepuscht wird. Der Menschenrechtsrat der Vereinten
Nationen (UNO) verhält sich nach Ansicht der Autoren offenbar
auch „antisemitisch", denn seine Forderung an Israel, das
Völkerrecht und die Menschenrechte einzuhalten, bezeichnet
Feuerherdt als „notorisch" und „obsessiv". Und natürlich werden
die Boykottforderungen der BDS-Bewegung gegenüber Israel immer
wieder mit der Nazi-Parole „Kauft nicht bei Juden!" in
Verbindung gebracht. (Dass diese Parole von einem Terrorstaat
ausgegeben wurde und die Forderungen der BDS-Bewegung mitten aus
der westlichen Zivilgesellschaft heraus kommen und auch in
Israel selbst viele Anhänger haben, – diesen simplen Unterschied
zu erkennen, sind die Autoren außerstande.)
Diese Beschuldigungen sind bei
Kenntnis der Zusammenhänge so realitätsfern und absurd, dass man
eigentlich gar nicht auf sie eingehen möchte. Der israelische
Sozialwissenschaftler und Philosoph Moshe Zuckermann betont an
dieser Stelle immer wieder, dass solche Vorwürfe mit der
Wirklichkeit des Nahen Ostens so gut wie nichts zu tun haben,
sondern nur deutsche Befindlichkeiten widergeben – sehr
irrationale, wie man feststellen muss. Dennoch seien hier ein
paar Anmerkungen zu diesem Wust aus Verdrehung der Tatsachen,
falschen Behauptungen und dreisten Unterstellungen gemacht.
Die Nicht-Wahrnehmung oder falsche
Wahrnehmung der nahöstlichen und deutschen Realität in Bezug auf
Israel und die Palästinenser rührt vor allem daher, dass die
Autoren auf Grund ihrer ideologischen Voreingenommenheit nicht
zwischen Judentum, Zionismus und Israel (und damit auch zwischen
Antisemitismus, Antizionismus und Kritik an der israelischen
Politik) unterscheiden können. Weil sie diese Begriffe
miteinander vermengen und in einen Topf werfen, ist
„Antisemitismus" für sie ganz einfach alles, was Israels
Interessen widerspricht. Und „Antisemit" ist jeder, der sich
nicht vorbehaltlos zu Israels Politik bekennt. Aus dieser Maxime
folgt dann alles Andere: etwa die totale Weigerung, die
gewaltsame und äußerst brutale Geschichte der zionistischen
Inbesitznahme Palästinas und die Fortsetzung dieser Politik bis
heute überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.
Die wesentlichen Begriffe, unter
denen der Staat Israel und seine Geschichte heute in der
internationalen Wissenschaft untersucht werden – Zionismus,
Siedlerkolonialismus und Apartheid – kennen die Autoren nicht,
wollen sie nicht kennen und meiden sie wie der Teufel das
Weihwasser. Das Resultat ist eine merkwürdige ahistorische und
apolitische Betrachtungsweise der zionistischen und israelischen
Realität – gut zu sehen an dem Broschüre-Aufsatz von Ulrike
Becker, einer studierten Historikerin. Da gibt es nur die
„bösen" Araber, die die jüdischen Einwanderer von Anfang ihrer
Besiedlung Palästinas an (etwa ab 1880) mit Boykotten und Gewalt
überzogen hätten. Die zionistische Seite dieser Geschichte –
also die Absicht, mitten in diesem arabischen Volk einen
jüdischen Nationalstaat zu gründen, die später auch mit Gewalt
umgesetzt wurde, was also nur auf Kosten der Palästinenser
geschehen konnte, erwähnt die Autorin mit keinem Wort. Und dies,
obwohl es an Zeugnissen für die Absicht der Zionisten wahrlich
nicht mangelt, schon der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl,
und später viele andere Zionisten hatten die Vertreibung der
Palästinenser gefordert.
Auch dass das politische Mittel
des Boykotts den Zionisten durchaus geläufig war, erwähnt Ulrike
Becker nicht. Denn schon früh hatte die Gemeinschaft der
eingewanderten Juden in Palästina (der Jischuw) eine
Totalblockade gegen die Palästinenser verhängt. Mit der Maßnahme
der „jüdischen Arbeit" wollten die Zionisten den Aufbau eines
rein jüdischen Wirtschaftskreislaufs aufbauen, was bedeutete:
keine jüdische Firma durfte Araber einstellen, und jüdische
Geschäfte durften auch keine arabischen Waren vertreiben. (Eine
Fußnote ist an dieser Stelle angebracht. Der zionistische
Politiker Simon Peres, einer der Gründungsväter Israels,
antwortet in seinen Lebenserinnerungen auf die Frage, wie man in
der vorstaatlichen Zeit mit den Palästinensern umgegangen sei,
so: „Wir haben sie gar nicht gesehen. Es gab sie für uns nicht."
Kein Wunder, dass die Zionisten das Land, in das sie kamen, als
„leer" bezeichneten.)
So erklärt sich auch die seltsame
Methode der Broschüre-Autoren – besonders der Historikerin
Ulrike Becker – , Geschichte zu interpretieren. Normalerweise
betrachten Historiker Geschichte immer als Zusammenspiel von
Aktion und Reaktion, wobei die wesentlichen Faktoren des
Zusammenspiels politischer, ökonomischer, kultureller oder
religiöser Art sein können, natürlich können sich die vier
Faktoren auch vermengen. Der britische Geschichtsphilosoph
Arnold Toynbee nannte diese Beziehung von immer mehreren
Faktoren, die miteinander agieren und reagieren, den
Zusammenhang von „challenge and response" – also Herausforderung
und Antwort. Für Ulrike Becker gibt es aber nur die eine Seite –
die arabisch-palästinensische. Denn die Juden in Palästina
agieren offenbar gar nicht, sie sind moralisch nur gut und
verharren im Zustand der politischen und historischen Unschuld.
Die Araber beziehungsweise die Palästinenser begegnen ihnen
dagegen sofort nach ihrem Auftauchen in Palästina völlig
grundlos mit äußerster Aggressivität, eben mit ihrem
abgrundtiefen „Antisemitismus". Dass es eine Judophobie im
arabischen Raum wie in Europa nie gegeben hat, und der
Antisemitismus erst durch die furchtbaren Folgen der
zionistischen Besiedlung Palästinas um sich griff, verschweigen
die Autoren natürlich auch.
Allein der arabische
„Antisemitismus" ist also schuld daran, dass es heute noch einen
„sogenannten" Konflikt zwischen Juden und Palästinensern gibt.
Selbst der völkerrechtlich illegale Siedlungsbau auf
palästinensischem Land, der jeden Tag die Medien beschäftigt,
ist den Autoren keine Erwähnung wert. Es gibt für sie einfach
keine israelischen Verstöße gegen Menschenrechte und
Völkerrecht, das sind nur erfundene Behauptungen der Gegner der
israelischen Politik. Da sie die Unterdrückung eines ganzen
Volkes (im Machtbereich der Israelis – im Westjordanland und dem
Gazastreifen – leben über vier Millionen Menschen ohne
bürgerliche und politische Rechte und auch die Palästinenser in
Israel unterliegen vielerlei Diskriminierungen) nicht sehen
wollen oder können, fehlt ihnen auch jede Empathie für die
Leiden dieses Volkes. Die Palästinenser sind offenbar für sie
nur ein Störfaktor für die Realität und Entfaltung jüdischen
Lebens in Israel, eigene Interessen dürfen diese Menschen nicht
äußern, dann sind sie „Terroristen" und „Antisemiten".
Über die Motive einer so inhumanen
Sicht kann man nur spekulieren: vermutlich nicht aufgearbeitete
Schuldgefühle, die zu einem völlig einseitigen Philosemitismus
führen. Dass eine solche Einstellung dazu führt, auch kritische
Juden oder jüdische Gruppen (wie in der Broschüre die Gruppe
„Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten")
unter ihren Antisemitismus-Vorwurf zu stellen, kann man nur als
„infam" bezeichnen. Denn wie können Deutsche sich anmaßen,
zwischen „guten" und „bösen" Juden zu unterscheiden. (Man möchte
hier aus Scham das Wort „selektieren" nicht benutzen.)
Auch Bremen bekommt in der
Broschüre sein Fett ab. Die Stadt wird von diesen Kreisen stets
als „Hochburg israelfeindlicher Boykottaktionen" bezeichnet.
Hier hat Autor Sebastian Mohr aber schlecht recherchiert. Er
schreibt, nachdem er einen Aufruf von Bürgermeister Carsten
Sieling gegen Antisemitismus und Fremdenhass zitiert hat:
„Dennoch warben das Bremer Friedensforum und seine
Sympathisanten bis mindestens in die zweite Jahreshälfte 2016 in
der von der Stadt subventionierten Villa Ichon für
Israel-Boykotte."
Diese Behauptung ist doppelt
falsch. Der Autor dieses Artikels gehört selbst dem
Friedensforum an und kann deshalb sagen: Diese pazifistische
Gruppe hat nie für Israel-Boykotte in der Villa Ichon geworben.
Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf dem Thema
Friedenssicherung, das heißt die Gruppe engagiert sich gegen
jede Form von Militarismus, Waffenproduktion und –export. Der
Nahe Osten und Israel spielen – wenn überhaupt – nur am Rande
eine Rolle. Auf der Webseite der Villa Ichon ist zudem zu lesen:
„Herzstück der Villa Ichon ist der Verein Freunde und Förderer
der Villa Ichon in Bremen e.V., der die Betreuung des Hauses und
Grundstücks übernimmt und dessen Arbeit nicht durch staatliche
Gelder, sondern nur durch Spenden finanziert wird."
Man wünscht der DIG-Broschüre
allergrößte Verbreitung, damit möglichst viele Menschen
erfahren, auf welch absurdem Argumentationsniveau sich diese
Organisation bewegt.
12.03.2017