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Eine moralische
Bankrotterklärung
Die arabischen Aufstände düpieren den Westen und vor allem
Israel
Arn
Strohmeyer
Die Revolutionen in Ägypten und Tunesien sind
noch in vollem Gange, aber eins machen sie bereits deutlich:
Die Politik des Westens gegenüber den arabischen Staaten war
und ist auf Sand gebaut. Und der Kreuzritterstaat Israel
gerät in noch schwereres Fahrwasser, ja, er steht vor einer
noch ungewisseren Zukunft als vor der gegenwärtigen Krise
ohnehin schon. Kreuzritterstaaten definieren sich dadurch,
dass sie nur auf die direkte Kraft ihrer Waffen setzen, aber
nie wirklichen Frieden mit ihren Nachbarn suchen. Seit über
120 Jahren siedeln Zionisten in Palästina, seit 63 Jahren
gibt es den Staat Israel, aber er ist bis heute ein
Fremdkörper in der Region geblieben, der sich stets
geweigert hat, sich in seine Umgebung politisch zu
integrieren. Jeff Halper hat in seinem neuen Buch „Ein
Israeli in Palästina“ auf mehreren Seiten die ernst
gemeinten Friedensangebote aufgezählt, die die Araber Israel
gemacht haben. Der jüdische Staat hat sie alle abgelehnt,
sie nicht einmal zur Kenntnis genommen.
Israel gefällt sich lieber weiter in der
Opfer-Rolle, behauptet, den Nahost-Konflikt gebe es nur,
weil die Araber die Juden hassten (über das Warum wird
natürlich geschwiegen!). Die Araber seien Terroristen und
wollten sie vertreiben. „Die ganze Welt ist gegen Israel“ -
und deswegen mauert es sich in seiner Masada-Festung ein und
setzt allein auf militärische Stärke. Das ist lange gut
gegangen, aber dieser Politik wird nun durch die arabischen
Aufstände der Boden entzogen. Egal wie die Dinge sich dort
weiter entwickeln, egal wer dort die Macht ergreifen wird -
die Zeit der dem Westen und Israel wohlgesinnten und treu
ergebenen Despoten ist abgelaufen. Die Zustände dort werden
nie mehr so sein, wie sie einmal waren. Die Araber sind die
Abhängigkeiten, Demütigungen und Erniedrigungen durch den
Westen und ihre diktatorischen Helfer leid, werden
selbstbewusst und wollen ihr Schicksal in die eigenen Hände
nehmen. Vor allem aber wollen sie nicht weiter von ihren
eigenen korrupten Eliten ausgeplündert werden. Wer kann es
ihnen verdenken? Die alten Mächte sind am Ende. Im Nahen
Osten - so viel ist sicher - werden die Karten völlig neu
gemischt.
Und Israels zionistische Elite, die sich des
Rückhalts des Westens so sicher ist, hat sich seit Theodor
Herzls und Wladimir Zeev Jabotinskys Zeiten als „Vorposten
der Zivilisation“ gegen die „Barbaren“ (die Araber)
verstanden und hat auch die Mauer gegen diese „Flut“ gebaut,
von der diese beiden Männer schon damals träumten. Aber wie
falsch diese Ideologie des Sich-Abschottens war, zeigt sich
nun: Israel wird jetzt und in Zukunft noch isolierter im
Nahen Osten dastehen. Denn dieser Staat hat nie den Frieden
mit seinen Nachbarn gesucht, er wollte immer nur deren Land.
Israel ruft nun verzweifelt den Westen auf, alles zu tun,
dass die arabischen Diktatoren an der Macht bleiben, weil
Israel sich nur sicher fühlen kann, wenn diese von Amerika
und Europa freigehaltenen Despoten ihre Pfründe behalten und
weiter gegen ihre Völker regieren.
Das ist eine moralische Bankrotterklärung,
wie sie selten eine Politik erlebt hat! Die „einzige
Demokratie im Nahen Osten“ ( wie stolz hat man diesen Titel
immer wieder propagandistisch hinausposaunt!) wehrt sich nun
dagegen, dass die Völker um sie herum sich emanzipieren und
selbst Demokratien werden! Menschenrechte, Demokratie und
Selbstbestimmung für 80 Millionen Ägypter? Das gilt es mit
allen Mitteln zu verhindern, wenn es um die Sicherheit
Israels geht! So die Meinung der Führung in Israel.
Netanjahu und Peres nehmen da kein Blatt vor den Mund.
Da gab es vor einigen Jahren einen
amerikanischen Präsidenten, der wollte den Nahen Osten mit
Demokratie beglücken - mit militärischer Gewalt versteht
sich, wie im Irak praktiziert. Das Land versank im Chaos und
hat sich bis heute noch nicht von der amerikanischen
Beglückungsaktion erholt. Derselbe Präsident gestand den
Palästinensern sogar freie Wahlen zu, aber es gewannen die
Falschen, weshalb man sie hinter großen Mauern und
Stacheldrahtzäunen einfach weggesperrt hat.
Auch dieses Schicksal der arabischen Brüder
spielt sicher eine Rolle, wenn die Ägypter und Tunesier -
andere werden vermutlich folgen - nun nicht mehr warten
wollen. Sie nehmen sich einfach ihr gutes Recht auf
Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung, ohne in
Washington, Brüssel, Berlin oder Jerusalem um Erlaubnis
nachzusuchen. Nicht auszudenken, was es für das
Selbstbewusstsein der islamischen Welt bedeuten würde, wenn
diese Revolutionen gelingen würden.
Der Westen steht vor dem Scherbenhaufen
seiner Nahost-Politik. Er kann nur noch reagieren, aber
nicht mehr agieren. Wenn man immer von Freiheit, Demokratie
und Selbstbestimmung redet, aber in der praktischen Politik
das Gegenteil tut, nämlich aus sehr eigennützigen Gründen
arabische Despotieen am Leben erhält, nennt man das schlicht
Heuchelei. Und Israel wird sich angesichts der aktuellen
Entwicklungen noch mehr in seine Wagenburg zurückziehen und
sich noch mehr von außen bedroht fühlen. Kein gutes
Vorzeichen für das Überleben dieses Staates. Man wünschte
sich, die Israelis würden es den Tunesiern und Ägyptern
gleich tun, in Massen auf die Straße gehen und eine neue
Politik einfordern, die auf echte Verständigung und Frieden
mit den arabischen Nachbarn setzt. Nur so kann Israel
überleben. Aber danach sieht es zur Zeit leider ganz und gar
nicht aus.
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