Hungert sie
aus!
Der Druck auf die Bundesregierung wächst,
dem UN-Hilfswerk für die palästinensischen
Flüchtlinge die Mittel zu entziehen
Arn Strohmeyer - 24.09.2019
Die Palästinenser sind offenbar ein Volk ohne
Lebensrecht. Man hat ihnen das Land geraubt, sie
ethnisch gesäubert und vertrieben, ihre
Gesellschaft und ihre Kultur zerstört und
versucht, ihnen mit allen Mitteln auch ihre
Identität und Würde zu nehmen. Das war nicht nur
ein Prozess in der Vergangenheit, er ist noch in
vollem Gange – ja, er hat in letzter Zeit
kräftig an Fahrt gewonnen. Die Fakten sind ja
bekannt: US-Präsident Trump hat Jerusalem als
Hauptstadt Israels anerkannt, die
palästinensische Vertretung in Washington
geschlossen und die Zahlungen für das
UN-Hilfswerk für die palästinensischen
Flüchtlinge (UNRWA) eingestellt. Außerdem will
die US-Regierung diesen Menschen den
Flüchtlingsstatus aberkennen.
Aber damit nicht genug: Der
„Nahost-Friedensplan“ von Trumps Schwiegersohn
Jared Kushner will die Palästinenser mit Dollars
und dem Versprechen wirtschaftlichen
Fortschritts kaufen, ihnen aber keinen Staat und
keine Selbstbestimmung zuerkennen. Auch ihr von
den Zionisten gestohlenes Land sollen sie nicht
wiederbekommen, sondern auf ihre Reservate bzw.
Bantustans beschränkt bleiben. Israel beteiligt
sich natürlich an diesem beschämenden Spiel: Es
bezahlt der Palästinensischen Autonomiebehörde
(PA) die ihr zustehende Steuern nicht aus, was
diese in die Insolvenz treibt. Außerdem hat die
israelische Regierung eine Kommission
eingesetzt, die alle Israel in der Vergangenheit
belastenden Dokumente aus den Archiven
eliminieren soll. Es soll also auch die
Geschichte dieses Volkes aus dem allgemeinen
Bewusstsein getilgt werden.
Man könnte viele weitere Schikanen der
Besatzungsmacht anführen, aber sie alle laufen
auf dasselbe Ziel hinaus, dieses schon lange
besiegte und unterworfene Volk völlig
auszuhungern, ihm auch noch den letzten Rest an
Identität und Würde zu nehmen. Denn es
versteht sich von selbst: Solange dieses Volk
noch existiert, gibt es seinen Anspruch auf das
Land und die Erinnerung an Israels unsägliche
Vergangenheit diesen Menschen gegenüber nicht
auf. Um das Ziel des Aushungerns zu erreichen,
hat Israel nun seine publizistischen
Hilfstruppen losgeschickt, die die
Bundesregierung unter Druck setzen sollen, dass
sie wie schon die USA, die Schweiz und die
Niederlande ihre Zahlungen an die UNRWA
einstellen. Nach den beiden letzten
erfolgreichen israelischen Coups – dem
BDS-Beschluss des Bundestages und der Attacke
auf das Jüdische Museum in Berlin mit dem Abgang
seines Direktors – folgt nun der nächste
Schritt.
Als Vorwand dienen in der Tat sehr unschöne, um
nicht zu sagen verwerfliche Vorgänge bei der
UNRWA. Dort hat es ganz offensichtlich Fälle von
Korruption und Vetternwirtschaft gegeben, was
schlimm genug ist, wenn sich Funktionäre einer
solchen Organisation, die den Ärmsten der Armen
helfen soll, ein luxuriöses Leben auf deren
Kosten machen. Aber was hat das mit der elenden
und ausweglosen Lage der Palästinenser zu tun?
Hier hat die UNO als Arbeitgeber ihre
Aufsichtspflicht verletzt, sie hätte längst hart
durchgreifen und solche Funktionäre feuern
müssen.
Aber die israelische Propaganda und ihre
Verbreiter greifen die Vorkommnisse dankbar auf
und denunzieren gleich die ganze Organisation:
sie leiste „Antisemiten und Terroristen“
Vorschub. Ein Vorwurf, der sich auf Mitarbeiter
der UNRWA im Gazastreifen bezieht, die angeblich
der Hamas angehören. Aber diese Organisation ist
der größte Arbeitgeber dort – und wer ist für
das große Elend dort, die völlig zerstörte
Infrastruktur sowie über 40 Prozent
Arbeitslosigkeit, bei Jugendlichen 70 Prozent! –
verantwortlich? Die Vorwürfe sind reiner
Zynismus.
Als Vorwürfe wird von den israelischen
Propagandisten weiter angeführt, dass die
Flüchtlinge in den arabischen Ländern schon der
dritten Generation angehörten und dort längst
integriert seien, also gar keine Hilfe mehr
benötigten. Und jeder Gedanke an die Rückkehr in
die alte Heimat Palästina sei ohnehin
illusorisch. Die Behauptung von der Integration
ist eine schlichte Unwahrheit. Das sonst nicht
sehr Palästinenser-freundliche Internet-Portal
SPIEGEL.online hat kürzlich eine realistische
Schilderung der Situation der Flüchtlinge im
Libanon gebracht. Danach leben in diesem Staat
zwei Drittel aller palästinensischen
Flüchtlinge. Sie gelten auch nach über 70 Jahren
nach ihrer Flucht noch als „Ausländer“, besitzen
keine Staatsbürgerschaft. Der libanesische Staat
will sie nicht integrieren, weil er in dem
ohnehin schwierigen Proporz von verschiedenen
Religionsgruppen eine demographische
Verschiebung befürchtet.
Was heißt: Die Palästinenser dürfen in den
meisten Berufen nicht arbeiten, sie brauchen
dafür eine Genehmigung, die selten erteilt wird.
Die Regierung hat gerade die Maßnahmen gegen
„illegale“ Arbeit von Palästinensern und
syrischen Flüchtlingen verschärft. Geschäfte
oder Unternehmen, die Palästinenser ohne
Arbeitserlaubnis beschäftigten, mussten
schließen. Arbeitgeber, die Palästinenser
einstellen, müssen hohe
Sozialversicherungsabgaben bezahlen, aber die
betroffenen Arbeitnehmer können die Leistungen –
Krankengeld, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
usw. – nie in Anspruch nehmen. Die Arbeitgeber
bezahlen also völlig umsonst in die
Versicherungskassen.
Was nicht verwundert, denn der Arbeitsminister
ist ein maronitischer Christ und gehört der
Partei „Forces Libanese“ an. Zur Erinnerung: Die
Maroniten haben 1982 mit logistischer
Unterstützung Israels das Massaker in den beiden
palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und
Shatila begangen – mit Tausenden von Toten. Zu
ergänzen ist: Palästinensern ist es im Libanon
verboten, Grundstücke zu kaufen, sie können also
ihren Wohnsitz nicht frei wählen und müssen
deshalb in Lagern leben.
In Jordanien, wo die Bevölkerung zu 40 bis 60
Prozent aus Palästinensern besteht, ist zwar der
Großteil von ihnen integriert und besitzt auch
die Staatsbürgerschaft, aber Jordanien ist ein
armes Land und kann nur beschränkt Hilfe
leisten, sodass es noch zehn große
Flüchtlingslager dort gibt, in denen ziemlich
erbärmliche Zustände herrschen. In Syrien ist
die Situation der Palästinenser wegen des
Krieges ebenfalls verheerend. Das große
Flüchtlingslager Jarmuk bei Damaskus ist voll in
die Wirren des Bürgerkrieges geraten. Es wurde
Jahre lang von dem IS und anderen Gruppen
belagert. Hunderte Bewohner wurden getötet,
Zehntausende mussten fliehen. Diejenigen, die in
dem völlig zerstörten Lager zurückbleiben
mussten, leben dort noch heute unter
unbeschreiblichen Bedingungen.
Die reale Lage der Palästinenser liefert also
überhaupt keinen Grund, die Hilfe für diese
Menschen einzustellen. Ganz im Gegenteil, sie
brauchen eher mehr Unterstützung – materielle
und politische. Letzten Endes sind diese
Flüchtlinge die Opfer der westlichen Politik,
vor allem Israels – und genau dieser Westen will
und soll sie nun auf Veranlassung Israels mit
Aushungern bestrafen. Was als ein weiterer
Schritt angesehen werden muss, dieses Volk aus
der politischen und historischen Realität zu
streichen. Die Hauptschuld aber trifft Israel,
denn der zionistische Staat hat mit seinen
ethnischen Säuberungen diese offene Wunde des
Nahost-Konflikts geschaffen und entzieht sich
seit Jahrzehnten jeder Verantwortung, zur
Heilung auch nur das Geringste beizutragen. Die
deutsche Regierung ist gut beraten, dem
israelischen Druck nicht nachzugeben.
Deutschland hat durch seine engen politischen,
wirtschaftlichen und militärischen Bindungen ein
hohes Schuldkonto gegenüber den Palästinensern.
Mit einer Einstellung der Zahlungen an die UNRWA
würde es jedem Anspruch an Menschlichkeit eine
Absage erteilen und sich endgültig zum Vasallen
Israels machen. - 24.09.2019 |