Sein ganzes Leben galt dem
Kampf gegen die Palästinenser
Ariel Sharons brutale Gewaltpolitik hat den Nahen Osten
weiter destabilisiert
Arn Strohmeyer
De mortuis nihil nisi bene
(über die Toten soll man nichts Schlechtes sagen),
wussten schon die alten Römer. Bei Ariel Sharon fällt
das schwer, denn ihm kann man besten Willen nicht
nachsagen, dass er ein Mann der Versöhnung und des
Friedens war. Er verkörperte den Typ des brutalen
Militärs – sein Spitzname „Bulldozzer“ ist noch viel zu
milde und nett gewählt. Sein ganzes Soldaten- und
Politikerleben lang gab er der Gewalt den Vorzug vor
politischen Zugeständnissen und Kompromissen, die ihm
völlig wesensfremd waren. Er hasste die Araber und
besonders die Palästinenser, ihnen galt sein
militärischer und politischer Kampf. Letztere außer
Landes zu schaffen (wobei ihm jedes Mittel recht war)
und ihr Land in Besitz zu nehmen, war sein oberstes
Ziel. Er war ein Mann, der bis zum Äußersten
polarisierte: Verehrten ihn viele Israelis als „König
Arik“, galt er anderen schlicht als Kriegsverbrecher,
der vor ein internationales Gericht gehört hätte.
Auch in Israel hatte er
entschiedene Gegner und scharfe Kritiker. Der
israelische Soziologe Baruch Kimmerling, der an der
Hebräischen Universität in Jerusalem politische
Soziologie lehrte, hat mit Blick auf Sharon den Begriff
des „Politizid“ geprägt, den er im Wesen des Zionismus
begründet sieht. Er versteht darunter eine Politik des
gewaltsamen Vorgehens gegen die Palästinenser, die aber
auch eine große Gefahr für die Existenz des jüdischen
Staates bedeutet. Er schreibt: „Unter der Führung Ariel
Sharons wurde Israel zu einer zerstörerischen Kraft,
nicht nur für die Umgebung, sondern auch sich selbst
gegenüber, denn es kennt nur noch ein innen- wie
außenpolitisches Ziel: den ‚Politizid‘ am Volk
Palästinas. Mit Politizid meine ich einen Prozess, an
dessen Ziel das Ende der Existenz des palästinensischen
Volkes als soziale, politische und wirtschaftliche Größe
steht. Dieser Prozess kann auch eine teilweise oder
vollständige ethnische Säuberung des ‚Landes Israel‘
beinhalten. Diese Politik wird das Wesen der
israelischen Gesellschaft unausweichlich zerstören und
die moralische Basis des jüdischen Staates im Nahen
Osten untergraben. So gesehen wird das Ergebnis ein
doppelter Politizid sein – das Ende der Palästinenser,
aber auf lange Sicht auch das Ende der jüdischen
Gemeinschaft.“
Und weiter schreibt er: „Die
wichtigsten Werkzeuge dafür [für den Politizid] sind
Mord, lokal begrenzte Massaker, Eliminierung der Führung
und der intellektuellen Elite, die physische Vernichtung
der Infrastruktur und der Gebäude politischer
Institutionen, Kolonisierung, künstlich erzeugte
Hungersnöte, soziale und politische Isolation,
Umerziehung und gebietsweise ethnische Säuberungen.“
Schon als junger
Unteroffizier fiel Sharon durch abenteuerliches und
verantwortungsloses Vorgehen auf. Zwei seiner
Vorgesetzten, die Obersten Yitzhak Rabin und Moshe Dajan,
verwandten sich aber für ihn, weil sie von seinen
Leistungen beeindruckt waren. Im Juli 1952 wurde er
Befehlshaber der berüchtigten Spezialeinheit 101, deren
Aufgabe es war, vertriebene Palästinenser, die in ihre
Dörfer zurückkehren wollten, auszuschalten. Diese Truppe
ging mit äußerster Härte und Grausamkeit gegen die
„Eindringlinge“ vor. Es gab hohe Verluste an Menschen,
auch unter den israelischen Soldaten. 1953 bekam die
Einheit den Befehl, Beduinen aus dem Negev zu
vertreiben. „Der Auftrag wurde effizient und mit
tödlicher Grausamkeit durchgeführt“, schreibt Kimmerling.
Sharons nächste Aktion war
ein Schlag gegen das palästinensische Flüchtlingslager
al-Burg, das angeblich „Unterwanderern“ als Unterschlupf
diente. Bei dem Angriff starben 15 Menschen – darunter
auch Frauen und Kinder. Berühmt wurde eine Aktion der
Einheit 101, die sie unter Sharons Kommando durchführte:
das Massaker von Qibiya, einem Dorf in Jordanien
(Westbank). Am 15. Oktober 1953 griff die Truppe als
Vergeltung für die Ermordung einer jüdischen Frau und
zwei Kindern den Ort an: 45 Häuser wurden in die Luft
gesprengt, während die Bewohner sich noch darin
aufhielten, 67 Männer und Frauen starben. Das Massaker
machte Sharon im Land bekannt und populär. Der damalige
Ministerpräsident Ben Gurion lud den jungen Offizier zu
sich ein, er stand fortan unter seinem persönlichen
Schutz. Sharon sagte später über das Massaker:
„Wenn die zivilen Opfer auch
eine Tragödie waren, war der Angriff auf Qibya doch ein
Wendepunkt. Nach so vielen Niederlagen und Fehlschlägen
war nun deutlich, dass die israelischen Truppen wieder
dazu in der Lage waren, Ziele weit im feindlichen
Hinterland zu finden und zu treffen. Was dies für die
Moral der Armee bedeutete, kann kaum übertrieben
werden.“
Im Februar 1955 überfiel
Sharons Truppe, die inzwischen in eine
Fallschirmjägereinheit umgewandelt worden war, eine
ägyptische Militärbasis im Gazastreifen. Der Angriff war
eine Vergeltung für die Attacken palästinensischer
Guerillas, die vom Gazastreifen aus operierten. 40
ägyptische Soldaten wurden getötet, Sharon selbst hatte
die Operation geplant. Dieser Überfall veränderte die
politische Realität im Nahen Osten. Der ägyptische
Präsident Nasser wandte sich an die Sowjetunion und bat
um Militärhilfe, die ihm auch gewährt wurde. Aber
Ägypten geriet so in die Abhängigkeit Moskaus. Im
Dezember 1955 griff Sharons Fallschirmjägereinheit
syrische Streitkräfte an, die am See Genezareth
stationiert waren. Etwa 60 syrische Soldaten kamen ums
Leben, 30 wurden gefangen genommen. Kimmerling zieht
folgende Bilanz: „Es kann kein Zweifel bestehen, dass
Sharons Strategie der ungezügelten Vergeltungs- und
Präventivschläge zu einer Eskalation des Konflikts
beitrug und zweimal sogar zum Krieg führte.“
Im Suez-Krieg 1956, bei dem
Israel in Absprache mit Frankreich und Großbritannien
Ägypten überfiel, drang Sharon mit seiner Truppe auf dem
Sinai hinter die ägyptischen Linien in den Mitla-Pass
ein und versuchte entgegen dem Befehl seiner
Vorgesetzten von dort zum Suez-Kanal vorzudringen. Dabei
geriet seine Einheit in einer Falle der Ägypter, 28
israelische Soldaten wurden getötet, über 100 verwundet.
Diese missglückte Aktion ließ seine Karriere ins Stocken
geraten. Im Krieg von 1967 („Sechs-Tage-Krieg“), den der
israelische Generalstab schon lange geplant hatte, um
die ägyptische Armee zu zerstören, spielte Sharon dann
wieder eine wichtige Rolle. Er startete einen
Überraschungsangriff auf ägyptische Einheiten in
Abu-Agella auf dem Sinai. Mehrere tausend Ägypter wurden
getötet, während die Israelis nur geringe Verluste zu
beklagen hatten. Bei Nakl umzingelte seine Truppe ein
ägyptisches Panzerbataillon und zerstörte es
vollständig. Mehrere tausend ägyptische Soldaten
verloren ihr Leben. Sharon festigte durch diese Taten
seinen Ruf, „Israels Krieger Nummer eins“ zu sein.
1970 startete Sharon einen
Feldzug in den Gazastreifen, wo es noch vereinzelte
Guerillazellen gab. Kimmerling beschreibt sein Vorgehen
dort: „Es wurden Tausende von Häusern zerstört und große
Teile der Zitrushaine, praktisch die einzigen
Nutzpflanzen der Region, verwüstet. Es wurde der Befehl
ausgegeben, jeden Verdächtigen ohne Befragung oder
Gerichtsverhandlung zu erschießen. Daraufhin wurden über
tausend Menschen ohne Gerichtsverfahren exekutiert und
erschossen. Derartige Kollektivstrafen an der
Zivilbevölkerung und die nicht gerechtfertigten
Exekutionen waren durch internationale Gesetze streng
verboten und wurden als Kriegsverbrechen geächtet.“ Im
Oktober-Krieg 1973, in dem die Ägypter versuchten, die
von Israel besetzte Sinai-Halbinsel zurückzuerobern,
preschte Sharon mit seiner Division wieder vor. Er
wollte den Suez-Kanal als erster von der Ost-Seite her
überqueren, um sich dann der israelischen Öffentlichkeit
als Kriegsheld präsentieren zu können, der das Land vor
einer Niederlage bewahrt hatte. Dieser Ehrgeiz führte
beim Überqueren des Kanals zu zahlreichen Opfern. Aber
Sharon erreichte sein Ziel: Seine Soldaten feierten ihn
als „Arik, König von Israel“, der Israel gerettet hatte.
Sharon spielte als
Sonderberater von Ministerpräsident Rabin vom Juni 1976
an eine wichtige Rolle bei der Inbesitznahme der
palästinensischen Gebiete. Er erstellte ein Konzept für
die jüdische Besiedlung. Das Ziel war es, unmöglich zu
machen, dass Israel die Kontrolle über dieses Stück Land
wieder verlieren könnte. Im Kabinett von Menachem Begin
vertrat er direkt die Interessen der Siedler. Später gab
er an, in dieser Zeit 64 Siedlungen gegründet zu haben,
wobei klar war, dass der Bau jeder Siedlung ein Verstoß
gegen das Völkerrecht war und ist. An die Siedler gab er
die Parole aus: „Nehmt Euch so viele Hügel, wie ihr
könnt!“ Was diese auch taten und bis heute noch tun.
Inzwischen hatte die PLO
nach ihrer Niederlage im „Schwarzen September“ Jordanien
verlassen müssen und sich im Libanon festgesetzt. Die
Palästinenser in diesem Land waren und sind für Israel
eine schwere moralische und historische Last, denn die
Zionisten hatten nach deren Vertreibung 1948 ihre eigene
Gesellschaft auf den Ruinen der palästinensischen
errichtet. Insofern waren und sind diese Menschen für
Israel eine große Herausforderung. Deshalb griff Israel
1982 in den libanesischen Bürgerkrieg ein. Sharon, der
damals Verteidigungsminister im Kabinett Begin war,
wollte die PLO vernichten und die Palästinenser ein für
allemal aus dem Libanon vertreiben – möglichst nach
Jordanien, wo sie dann ihren Staat gründen könnten. Die
Bombenangriffe auf Beirut und die palästinensischen
Flüchtlingslager forderten Tausende von Toten.
Die PLO musste Beirut
verlassen, die Amerikaner sicherten ihr aber den Schutz
der palästinensischen Zivilisten zu. Dennoch drangen am
16. September Eliteeinheiten der mit Israel verbündeten
maronitischen Falangisten in die beiden Flüchtlingslager
Sabra und Schatila ein. Israelische Truppen riegelten
das Lager ab, israelische Militärposten beobachteten von
einem Aussichtsturm aus die „Operation“, die ein
furchtbares Massaker war. Zwischen 700 und 2000 Männer,
Fauen und Kinder wurden niedergemetzelt – die genaue
Zahl konnte später nicht mehr ermittelt werden. Eine
israelische Regierungskommission stellte fest, dass
Sharon den größten Teil der Verantwortung für das
Massaker getragen habe. „Wir sind der Meinung, dass der
Verteidigungsminister persönlich verantwortlich ist“,
hieß es in dem Schlussbericht. Damit hätte Sharon
eigentlich politisch und juristisch am Ende seiner
Karriere sein müssen, aber es kam anders.
In den neunziger Jahren gab
es zum ersten Mal Hoffnung auf Frieden zwischen Israel
und den Palästinensern. Aber die Oslo-Vereinbarungen
hielten nicht, was sie versprachen. Sie scheiterten an
der Realität, weil Israel sie nicht umsetzte. Im Jahr
2000 versuchte der neue israelische Premierminister Ehud
Barak in Camp David ein Abkommen mit den Palästinensern
zu erreichen. Auch dieser Versuch scheiterte, weil Barak
Arafat nötigen wollte, der Bildung eines
palästinensischen Ministaates zuzustimmen, Arafat lehnte
aber ab. Da die Oslo-Verträge die Lage der Palästinenser
nicht verbessert hatten und der zunehmende Siedlungsbau
in den besetzten Gebieten die Aussichten auf einen
eigenen Staat immer mehr zunichtemachte, stieg ihre
Frustration auf den Siedepunkt. Ariel Sharon versetzte
dem Friedensprozess dann den Todesstoß, als er begleitet
von Hunderten Polizisten in Jerusalem den Tempelberg
besuchte, ganz in der Nähe der Al-Aqsa-Moschee. Er
wollte damit Israels Anspruch auf die heiligen Stätten
verdeutlichen. Diese Provokation löste die zweite
Intifada aus, die mit friedlichen Protesten der
Palästinenser begann, durch Israels Einsatz von Waffen
aber eskalierte. Die Palästinenser antworteten mit
Selbstmordattentaten – eine Reaktion auf die enorme
Asymmetrie der Übermacht der israelischen Streitkräfte
und der völlig unterlegenen Palästinenser.
Sharon hat immer wieder
betont, dass es seine historische Aufgabe sei, das zu
vollenden, was im Krieg von 1948 nicht abgeschlossen
worden sei. Er sagte in einem Interview: „Der
Unabhängigkeitskrieg ist noch nicht zu Ende. Nein, 1948
war nur ein Kapitel davon. Wenn Sie mich fragen, ob sich
der Staat Israel verteidigen kann, dann antworte ich:
ja, absolut. Und wenn Sie mich fragen, ob für den Staat
Israel die Gefahr eines Krieges besteht, dann sage ich:
nein. Aber leben wir hier in Sicherheit? Nein. Und daher
kann man unmöglich behaupten, wir hätten unsere Arbeit
erledigt und könnten uns auf unseren Lorbeeren
ausruhen...“ Was nur bedeuten kann: Sein gnadenloser
Krieg gegen die Palästinenser ging weiter.
In den Jahren 2001 und 2003
wurde Sharon zum Premierminister gewählt. Er schaffte es
in dieser Zeit, mit seiner Politik der Gewalt zu Israels
populärstem Politiker zu werden, eben zum „König von
Israel“. Nach einem palästinensischen
Selbstmordanschlag, bei dem 29 Personen getötet wurden,
begann Sharon als Vergeltung seinen Krieg gegen die
palästinensische Zivilbevölkerung in den besetzten
Gebieten. Mit der Unterstützung von Apache-Hubschraubern
drangen Panzerverbände und Infanterie in das
Westjordanland ein und überrollten Städte, Dörfer und
Flüchtlingslager. Baruch Kimmerling beschreibt das
Vorgehen der israelischen Armee so: „Das israelische
Militär zerstörte systematisch Gebäude und die
Infrastruktur, Radio- und Fernsehsender, Datenbanken und
Dokumente – von denen einige als ‚Kriegsbeute‘ nach
Israel gebracht wurden – und vernichtete so, was sich
die Palästinenser in jahrelanger harter Arbeit nach dem
Abkommen von Oslo aufgebaut hatten.
Wasseraufbereitungsanlagen, Kraftwerke und Straßen
wurden zerstört oder mit Planierraupen niedergewalzt.
Die militärischen Aktionen zerstörten nicht nur
politische Organisationen und ihre Einrichtungen,
sondern auch zivile Institutionen wie Universitäten,
Schulen Kliniken, Kirchen und Moscheen – alles unter dem
Vorwand, dass sich dort Terroristen versteckt hätten.“
Weiter heißt es bei
Kimmerling: „Israelische Truppen drangen fast täglich in
palästinensische Städte und Flüchtlingslager ein, um
Personen zu verhaften, manchmal auch umzubringen. Israel
setzte seine Politik der Belagerung und Zersplitterung
des Westjordanlandes in territoriale Fragmente ohne
Verbindung zueinander fort. Dieser Krieg, der jeden
Unterschied zwischen Front und Etappe, Zivilisten und
Militärs verwischte, eskalierte zu einer Kettenreaktion
der Gewalt.“ All dies geschah in der Verantwortung von
Ariel Sharon, und das Völkerrecht blieb wieder einmal
auf der Strecke. Auch das Gebot der Verhältnismäßigkeit
hat ihn nie interessiert. Die Maßnahmen, die Sharon
gegen die Palästinenser ergriff – Zerstörung ihrer
Gesellschaft, die Liquidierungen ihrer Führer, die
Schikanen, die das tägliche Leben immer unerträglicher
machten – wurden mit klarer Absicht und systematisch
durchgeführt. Indem man den Menschen ihre Privatsphäre
zerstört, ihnen jede Hoffnung auf ein normales Leben
nimmt, will Israel erreichen – Sharon hat es immer
wieder betont – den Widerstand der Palästinenser zu
brechen, sie zu isolieren, sie zu zwingen sich Israels
politischen Plänen zu unterwerfen oder auszuwandern.
Ein regelrechtes Massaker
gab es im Flüchtlingslager Jenin, in dem die
Palästinenser Widerstand leisteten. Mit Luftangriffen
und mit Planierraupen zerstörten die Israelis die
Häuser, in denen sich die Menschen aufhielten und Schutz
suchten. Wie viele Tote es gegeben hat, ließ sich
hinterher nicht mehr feststellen, da die Armee das
Gebiet um das Lager abgeriegelt hatte. Die UNO wollte
eine Untersuchungskommission schicken, aber Israel ließ
die Mitglieder der Delegation nicht einreisen. Im
Bericht von Amnesty International (2004) hieß es: „ Die
größte Einzelaktion der Zerstörung, die die israelische
Armee je durchgeführt hatte, geschah im Flüchtlingslager
von Jenin im April 2002. Die Armee zerstörte das
al-Hawashin-Viertel völlig und zwei weitere Viertel des
Lagers teilweise, wobei 800 Familien, also 4000
Menschen, ihr Heim verloren. Luftaufnahmen und anderes
Beweismaterial zeigen, dass ein Großteil der Zerstörung
geschah, als die Zusammenstöße zwischen israelischen
Soldaten und palästinensischen Kämpfern vorbei waren und
die letzteren gefangen genommen waren oder sich ergeben
hatten.“
Weil Arafat in Camp David
nicht die Rolle des Verräters spielen und der Bildung
eines palästinensischen Kleinstaates (Bantustan) nicht
zustimmen wollte, eliminierte Sharon ihn als
Verhandlungspartner, obwohl der PLO-Führer zu einem
gerechten Frieden bereit war. Auf Befehl Sharons
belagerte die israelische Armee monatelang sein
Hauptquartier in Ramallah, das er erst nach
amerikanischer Intervention verlassen konnte. Auch für
den Bau der Mauer trug Sharon maßgeblich die
Verantwortung. Sie ist nicht – wie immer behauptet wurde
– gegen den palästinensischen Terrorismus errichtet
worden, sondern um ein Wiederherstellen der Grünen Linie
(der Waffenstillstandslinie von 1949) als endgültige
israelische Grenze unmöglich zu machen. Diese monströse
Bauwerk, das weit in palästinensisches Gebiet
hineingeht, soll die Grenzen eines erweiterten Israel
und eines palästinensischen Kleinstaates (Bantustan)
festlegen. Die eigentlichen Absichten ihrer Errichtung
sind also Landraub und die Absonderung von den
verhassten Palästinensern.
So gesehen war es auch keine
Friedenstat, dass Sharon 2005 einseitig – ohne Absprache
mit den Palästinensern – den Gazastreifen räumen ließ.
Das dicht besiedelte Gebiet war den Israelis ohnehin
lästig. Rabin hatte oft geäußert, dass der Streifen im
Meer versinken möge. Sharon ließ die israelischen
Soldaten und Siedler nur deshalb abziehen, um das
Westjordanland umso fester in den Griff zu nehmen – um
dort noch mehr Siedler anzusiedeln und unwiderrufliche
Fakten für eine Annexion zu schaffen. Und der
Gazastreifen wurde ja auch keineswegs in die Freiheit
und Selbständigkeit entlassen, sondern die israelische
Armee hat ihn bis heute vollständig abgeriegelt – zu
Land zu Wasser und in der Luft. Er ist heute ein großes
Freiluftgefängnis, in dem die Menschen unter furchtbaren
Bedingungen leben müssen.
In Israel mag das
„Lebenswerk“ von Ariel Sharon populär sein, von außen
gesehen muss man sein Wirken anders beurteilen. Sein
ganzes Leben war dem Kampf gegen die Araber und
besonders die Palästinenser gewidmet, die er zutiefst
verachtete und hasste. Der Gedanke, dass diese Menschen
auch Rechte haben und dass man mit ihnen gemeinsam
Lösungen für das Zusammenleben suchen muss, war ihm
völlig fremd. „Sie müssen Angst vor uns haben“, sagte er
immer wieder. Und diesem Ziel, sie gewaltsam unter
Kontrolle zu halten, dient Israels Politik der
militärischen Abschreckung und Überlegenheit. Die
unumkehrbare Einverleibung des Westjordanlandes war sein
Ziel, und Israels Herrschaft dort sollte dauerhaft
gesichert werden. Dem Infragestellen der israelischen
Hegemonie in der Region setzte er nur brutale
militärische Gewalt entgegen.
Sharon sagte oft, er würde
die Palästinenser so lange schlagen, bis sie die
Botschaft verstanden hätten. Und die lautet: Dies ist
unser Land und nur wir entscheiden, ob wir davon etwas
abgeben. Israels Politiker betonen oft, dass ihnen
„alles erlaubt“ sei, weil die Juden den Holocaust
durchgemacht hätten. Diese Devise, die jedem Völkerrecht
Hohn spricht, war auch der Leitsatz Sharons. Er war kein
Mann des Friedens, eher ein gnadenloser kolonialer
Kriegsherr, an einem Ausgleich mit den Gegnern Israels
hatte er kein Interesse, ja, er hat nicht einmal den
Versuch dazu gemacht. Er wollte den Frieden schlicht
nicht – und wenn, dann nur zu Israels Bedingungen. Als
die Arabische Liga 2002 ihren Friedensplan vorlegte, der
im Gegenzug für die Bildung eines palästinensischen
Staates im Westjordanland und im Gazastreifen die
Anerkennung Israels und die Aufnahme diplomatischer
Beziehungen durch alle arabischen Staaten vorsah, hat
die Regierung Sharon dieses Angebot völlig ignoriert.
Sharon hat die ohnehin
labile und hoch explosive Situation im Nahen Osten mit
seiner Gewalt- und beschleunigten Siedlungspolitik
weiter destabilisiert und mit seinem destruktiven
Vorgehen, das seine Nachfolger fortsetzen, auch die
humanistischen Werte der eigenen jüdisch-israelischen
Gesellschaft in den Ruin geführt. Zum Frieden in der
Region und damit zur Absicherung und zum Überleben des
Staates Israel hat er so gesehen nichts beigetragen.
Ganz im Gegenteil. 11. 1. 2014