Wenn eine Jüdin den Zionismus
kritisiert...
Die Jerusalem Post führt
eine Kampagne gegen Lillian Rosengarten, die auf
Vortragsreise in Deutschland ist
Arn
Strohmeyer
Wenn
es nach der israelischen Zeitung Jerusalem Post
geht, ist da eine jüdische Todfeindin Israels zur Zeit
auf Vortragsreise in Deutschland. Da wird Lillian
Rosengarten vorgeworfen, eine „Gegnerin der Existenz
Israels“ zu sein, Israel mit Hitlers „Drittem Reich“ zu
vergleichen; außerdem wird ihr angelastet zu behaupten,
dass Israel eine „ethnische Säuberung“ an den
Palästinensern betreibe, „rassistisch“ und ein
„Apartheidstaat“ sei. Zudem leugne sie den Holocaust: Zu
dem letzten Punkt sagt sie: „Wenn mein Vater am Beginn
der Nazi-Zeit die Gefahr nicht erkannt hätte und wir
Deutschland nicht in Richtung USA verlassen hätten,
wären meine Familie und ich auch in einem
Vernichtungslager gelandet und dann säße ich heute
natürlich nicht hier!“
Holocaust-Leugnung also? Die meisten Vorwürfe gegen sie
sind diffamierende Unterstellungen. Aber dafür, dass
Israel „ethnisch säubert“, „rassistisch“ oder ein
Apartheidstaat ist, sprechen viele nicht zu widerlegende
Fakten. Und mit solchen Aussagen steht sie nun wirklich
nicht allein. Dutzende von israelischen Wissenschaftlern
und Publizisten sagen und schreiben dasselbe. Die
Artikel und Bücher dieser Autoren/innen füllen
inzwischen ganze Regale. Was also ist so besonders
aufregend an Aussagen von Lillian Rosengarten, dass die
Jerusalem Post eine so infame Kampagne startet,
an der auch die israelische Botschaft in Berlin, der
Zentralrat der Juden in Deutschland und deutsche
Israel-Gesellschaften beteiligt sind? Die Antworte ist
immer dieselbe: Es darf – auch in Deutschland – nur ein
Informations- und Meinungsbild über Israel geben – und
das ist das offiziell verbreitete dieses Staates. Dafür
sorgt auch in diesem Fall die Israel-Lobby. Wer sich
nicht daran hält, muss mit gnadenloser Abstrafung
rechnen. Auch die Jüdin Lillian Rosengarten wird als
„Antisemitin“ diffamiert. Die Kampagne der Jerusalem
Post löste in Israel einen sheet-storm im Internet
aus, bei dem auch Todesdrohungen gegen sie ausgesprochen
wurden.
Und
natürlich gilt der Vorwurf des Antisemitismus auch für
alle Nahost-Gruppen und Organisationen, die die
amerikanische Jüdin zu Vorträgen eingeladen haben,
selbst die katholische Organisation Pax Christi muss
sich das sagen lassen. Die Kampagne ausgelöst hatte die
Ankündigung, dass Frau Rosengarten in einem Raum des
Städtischen Museums in Düren sprechen würde, der der
örtlichen Sparkasse gehört. Da wurde von den
Kampagne-Betreibern als Druckmittel auch gleich auf die
Rolle dieser Institution im „Dritten Reich“ hingewiesen.
Sprecher des Museums und der Bank äußerten sich aber
eher zurückhaltend auf die Vorwürfe aus Jerusalem,
betonten ihre historische Verantwortung, zeigten aber
Zivilcourage und sagten die Veranstaltung in ihrem Raum
nicht ab.
Am
Sonntagabend sprach Frau Rosengarten in Bremen. Dort
hatte es keinen Streit um den Raum gegeben. Und die
Menschen, die zahlreich gekommen waren und ihr zuhörten,
konnten sich selbst ein Bild machen. Da trat eine
wunderbare, sehr aufgeschlossene und warmherzige ältere
Dame auf, die so gar nichts von einer antizionistischen
Agitatorin hat. Ihr ganz persönliches Anliegen ist es,
für Menschenrechte und Frieden einzutreten. In ihrem
Vortrag hat sie an keiner Stelle Hass auf Israel
gepredigt und die Zerstörung dieses Staates gefordert.
Ihr Thema war der lange und oft mühsame Weg, den sie
selbst in ihrem Leben gehen musste, um als Jüdin zu
einer universalistischen Position der Menschenliebe zu
kommen.
Die
säkulare Jüdin wurde 1935 in Frankfurt geboren und floh
mit ihren Eltern vor den Nazis in die USA. Dort nahm sie
in den sechziger Jahren an der amerikanischen
Bürgerrechtsbewegung und dann an den Demonstrationen
gegen den Vietnam-Krieg teil. Auch der Frauenbewegung
schloss sie sich an. Durch viele Besuche in Israel und
vor allem durch die Begegnung mit dem emigrierten Juden
Hans Leberecht sei ihr das furchtbare Schicksal der
Palästinenser bewusst geworden, das der zionistische
Staat diesem Volk bereite. In dem Raum der
Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, in dem
der über eine Million durch die Nazis ermordeten Kinder
gedacht wird, sei ihr bewusst geworden, welche Leiden
auch palästinensische Kinder durchmachen müssten. (Im
letzten Gaza-Krieg 2014 wurden 400 Kinder von der
israelischen Armee getötet, hunderte verletzt und
vermutlich Tausende traumatisiert.) Daraus habe sie die
Schlussfolgerung gezogen, dass die Maxime des „Nie
wieder!“ aus dem Holocaust nicht nur partikularistisch
für Juden gelte (wie Israel behauptet), sondern
universalistisch für alle Menschen. Und deshalb sagt sie
heute: „Die Palästinenser sind die letzten Opfer des
Holocaust.“ Alfred Grosser geht noch weiter und sagt:
„Wer heute Hitler überwinden will, muss die
Palästinenser unterstützen!“ Lillian Rosengarten tut
das, indem sie sich für die Rechte dieses Volkes
einsetzt.
2010
versuchte sie vergeblich mit anderen Juden, auf einem
Boot von der Seeseite her die israelische Blockade um
den Gazastreifen zu durchbrechen. Mit Abscheu erinnert
sie sich daran, wie brutal die israelischen Soldaten das
Schiff – in internationalen Gewässern! – aufgebracht
hätten. Und auch die anschließende Behandlung im
israelischen Hafen Ashdod sei äußerst unmenschlich
gewesen. 2011 schaffte sie es dann, auf dem Landweg nach
Gaza zu kommen und war erschüttert von dem, was sie dort
gesehen und erlebt hat. Sie hat darüber in ihrem Buch
Ein bewegtes Leben. Von den Schatten Nazi-Deutschlands
zum jüdischen Boot nach Gaza (Zambon Verlag,
Frankfurt/ Main) berichtet.
Am
Schluss ihrer Ausführungen stand kein Aufruf zur
Zerstörung Israels oder dergleichen, sondern die
Forderung: „Israels muss die Besatzung beenden, weil die
Palästinenser ein Recht auf Gerechtigkeit haben und weil
die Besatzung auch Israel schadet und es nicht zur Ruhe
und zu sich selbst kommen lässt.“ Es war niemand im
Raum, der diesen Wunsch dieser wunderbaren alten Dame
nicht teilte.