"Israel will keinen Frieden"
Der israelische Friedensaktivist Reuven Moskovits im
Gespräch mit Arn Strohmeyer
Warum ist
ein Frieden im Nahen Osten so schwer zu erreichen? Hat
Israel jemals den Ausgleich mit den Arabern gesucht?
Die dort am
Konflikt Beteiligten, insbesondere Juden und Palästinenser,
haben nie ernsthaft versucht, sich mit der Tatsache
abzufinden, dass die einzige Lösung, wenn auch nur
transitorisch, die gegenseitige Anerkennung und der Übergang
zur Gewaltlosigkeit ist. Dabei muss betont werden, dass es
hinsichtlich der Verantwortung für diesen Zustand keine
Symmetrie gibt. Die Hauptverantwortung liegt bei der
israelischen Politik, die noch vor der Staatsgründung die
Teilung des Landes nicht ernst genommen hat. Auch heutzutage
liegt die Hauptverantwortung vorrangig bei der israelische
Seite, die seit den siebziger Jahren eine Einigung mit den
Palästinensern abgelehnt hat - eine Einigung, wie sie ja mit
Ägypten und Jordanien zustande gekommen ist. Mit Syrien und
den Palästinensern wurde von Israel niemals ein ernst zu
nehmender Ausgleich gesucht. Syrien wird nichts angeboten
und den Palästinensern im besten Fall eine Bantustan-Lösung.
Kann ein
Land politisch überleben, das nicht die Zusammenarbeit und
den Frieden mit seinen Nachbarn ringsum sucht?
Eindeutig
nein.
Sie sagen,
dass heute in Israel eine
"nationalistisch-klerikal-faschistische" Clique herrscht.
Aber sie ist von der Mehrheit der Israelis gewählt worden.
Wie konnte es dazu kommen?
Es kam fast
genauso dazu, wie es damals in Deutschland dazu gekommen
ist. Noch vor der Machtergreifung der Nazis 1933 hat die
Mehrheit der Deutschen nicht für Hitler gestimmt. Nur die
unsägliche Koalition mit von Papen, der Notstand und später
die aufgezwungene Gleichschaltung haben die Weimarer
Republik aufgelöst. In Israel ist die Bevölkerung einer
kontinuierlichen Beängstigung und Indoktrinierung
ausgesetzt. Man sagt den Menschen, dass die geringsten
Zugeständnisse an die Palästinenser oder an Syrien den Staat
und die Bevölkerung an die Tore eines neuen Ausschwitz
treiben würden.
Israel
besteht seit über 60 Jahren. Es ist der einzige Staat auf
der Welt ohne feste Grenzen. Warum?
Von
vornherein war es die Politik Ben Gurions, keine festen
Grenzen festzulegen. Sein Sicherheitskonzept besagte, dass
die Grenzen immer neu gezogen werden - je nachdem, wo gerade
die israelischen Soldaten stehen.
Israel
rechtfertigt seine ganze Politik - etwa das Vorgehen gegen
die Palästinenser oder die Kriegsdrohungen gegen den Iran -
mit dem Holocaust. Ist das eine Instrumentalisierung dieses
ungeheuren Verbrechens, das Deutsche an den Juden begangen
haben?
Ja,
eindeutig. Es ergibt sich mehr und mehr, dass diese
schrecklichste Untat in der menschlichen Geschichte - der
Holocaust - als Feigenblatt dient, um die expansionistische
und die aggressive Politik Israels zu rechtfertigen. Bei
dieser Gelegenheit möchte ich eine ernst zu nehmende
israelische Historikerin Idith Zertal zitieren. In ihrem
Buch „Nation und Tod – der Holocaust und die israelischen
Öffentlichkeit“, das auch in Deutschland erschienen ist,
schreibt sie: „Mit Hilfe von Ausschwitz – Israels
ultimativer Trumpfkarte bei seinen Beziehungen zu einer
Welt, die von ihm immer wieder aufs Neue als antisemitisch
und auf ewig feindselig definiert wurde – immunisierte sich
Israel selbst gegen jedwede Kritik und genehmigte sich
selbst einen quasi sakrosankten Status, verschloss sich so
einem kritischen, rationalen Dialog mit seiner Umwelt“.
Auschwitz ist für Israel eine Ausrede, um seine Grenzen –
international und völkerrechtlich – ständig zu
überschreiten.
Was wären
die Folgen eines Angriffs Israels auf den Iran für den Nahen
Osten?
Das wäre
katastrophal! Israel will einen erfolgreichen Angriff auf
die iranischen Atomeinrichtungen führen. Dabei müssten
Waffen, die eine Massenvernichtung von Menschen in der
Umgebung der Einrichtungen zur Folge hätten, eingesetzt
werden. Eine radioaktive Vergiftung der Nachbarländer wäre
zudem wahrscheinlich unvermeidbar.
Warum meint
Israel das Recht zu haben, das Völkerrecht und
UNO-Resolutionen ständig missachten zu können?
Da muss man
wieder auf die Ausschwitztrumpfkarte zurückkommen. Immer
wieder wird von Israel behauptet, dass es das Recht habe,
sich eine Einmischung in seine Sicherheitsangelegenheiten zu
verbitten, weil damals, als Millionen Juden umgebracht
wurden, die Staaten und Völker geschwiegen hätten. Es ist
überflüssig zu betonen, wie gefährlich diese festgefahrene
Aussicht ist. Wenn aber diese Auffassung von der deutschen
Kanzlerin Angela Merkel mit der Erklärung untermauert wird,
dass die Freundschaft zu Israel "Staatsräson" sei, dann ist
das ein eindeutiger Freibrief für Israel, sich im Nahen
Osten wie einen Hooligan oder Pirat zu benehmen.
Der
Holocaust beherrscht heute weitgehend das Fühlen und Denken
der Israelis. Wird dabei wirklich der Versuch unternommen,
diese furchtbare traumatische Erfahrung aufzuarbeiten oder
werden hier Ängste bewusst geschürt und manipuliert?
Ja,
vorläufig werden in diesem Sinne weiter manipulativ Ängste
geschürt. Menschen wie ich oder andere Friedensaktivisten
haben da keinen Einfluss.
Wenn die
Israelis so traumatisiert sind, wie könnten sie sich daraus
befreien?
Eine Heilung
kann nicht dadurch erfolgen, wie es die deutsche Regierung
macht, indem man Israels gefährlicher Politik nach dem Mund
redet und sie hartnäckig rechtfertigt. Man muss aus einer
Politik aussteigen, die die Zukunft Israels, des Nahen
Ostens und vielleicht eines großen Teils der Welt gefährdet.
Ein freundlicher Rat deutscherseits wäre hier angebracht.
Warum
besteht Israel ständig darauf, dass sein "Existenzrecht"
anerkannt wird? Im Völkerrecht gibt es den Begriff gar
nicht. Das Existenzrecht bestreitet ihm doch niemand und es
ist auch durch den UNO-Teilungsbeschluss von 1947
abgesichert. Außerdem ist Israel die größte Militärmacht des
Nahen Ostens - wer sollte ihm sein Existenzrecht streitig
machen können?
Israel
besteht ständig auf seinem Existenzrecht, damit es die
Besatzung und Kolonisierung der palästinensische Gebiete
fortsetzen kann. In der Tat ist das Existenzrecht Israels
hinlänglich durch den UNO-Beschluss von 1947 sanktioniert.
Andere UNO-Beschlüsse wurden aber von Israel arrogant und
willkürlich in den Papierkorb geschmissen. Das
Existenzrecht-Argument ist nur ein Feigenblatt, damit Israel
den Palästinensern das Existenzrecht und das
Selbstbestimmungsrecht weiter verweigern kann. Denn eine
Anerkennung dieser Rechte würde ja ein Ende der Besatzung
bedeuten.
Äußerlich
gesehen scheint das deutsch-israelische Verhältnis ganz gut
zu sein. Kanzlerin Merkel hat dieses Verhältnis sogar zur
"Staatsräson" erhoben. Aber ist es in Wirklichkeit nicht
sehr unehrlich, weil es ständig unter der Drohung des
Antisemitismus steht, wenn Israels Bedingungen nicht erfüllt
werden?
Ich kann nur
wieder sagen, dass die "Staatsraison"-Erklärung ein Glied in
der Kette von politischen Torheiten ist. Die verstorbene
israelische Historikerin Barbara Tuchmann hat das sehr gut
beschrieben. Ihrer Ansicht nach kann Antisemitismus kann nur
erklärt werden durch das Recht, das sich Israel nimmt, auf
die Meinung der Weltöffentlichkeit zu pfeifen. Immer wieder
wirft Israel Friedensaktivisten in der Welt und im Land
selbst (mich eingeschlossen) vor, sie würden Israel
delegitimieren und verunglimpfen. Niemand und nichts ist im
Stande, Israel zu delegitimieren als die Politik Israels
selbst, die nur auf Krieg und Gewalt setzt.
Wie sollten
sich deutsche Bürger verhalten, die die Ungerechtigkeit und
Brutalität des israelischen Vorgehens gegen die
Palästinenser sehen, aber Angst haben, ihre Kritik
öffentlich zu äußern, weil sie den Antisemitismus-Vorwurf
fürchten?
Ein
vielleicht krasser jüdischer Witz heißt: Eine Jungfrau die
von der Angst zu heiraten besessen ist, verurteilt sich
selbst, ewige Jungfrau zu bleiben. Angst ist oft Ursache von
Feigheit oder manipulierter Heuchelei. Wie oft wurde in
Deutschland schon über den Mangel an Zivilcourage
geschrieben? Man kann nicht endlos die Feigheit und den
Mangel an Zivilcourage hinter der Angst, als Antisemit
verunglimpft zu werden, verstecken. Die deutsche
Vergangenheit, die von vielen Historiker kritisch
beschrieben worden ist, bestätigt, dass Angst zu einer
Krankheit werden kann.
Sind auch
Boykott-Aktionen israelischer Waren aus den besetzten
Gebieten legitim?
Wenn sich
der Boykott auf Waren aus den besetzten Gebiete beschränkt,
ist er eindeutig legitim.
Das
israelische Parlament hat gerade ein Gesetz verabschiedet,
das den Palästinensern die öffentliche Erinnerung an die
Katastrophe ihrer Vertreibung 1948 (Nakba) verbietet.
Verleugnet hier Israel nicht seine eigene Geschichte, für
die es Verantwortung tragen muss?
Ja,
natürlich! Das ist zudem ein weiterer Beweis, dass die
deutsche Politik nicht weiter das Argument bedienen darf,
Israel sei der einzige demokratische Staat im Nahen Osten.
Durch dieses Gesetz kann Israel höchstens als
ethnokratischer Staat mit liberalen Zügen - was die jüdische
Bevölkerung anbelangt - bezeichnet werden. .
Es sollen
jetzt wieder Verhandlungen zwischen Israelis und
Palästinensern stattfinden. Geben Sie diesen Gesprächen
irgendeine Chance für Fortschritte in Richtung Frieden?
Glauben Sie, dass US-Präsident Obama Ernst macht mit einer
neuen Nahost-Politik?
Ich hoffe,
dass Präsident Obama es ernst meint mit einem Ausstieg aus
der Politik, die den nahen Osten seit über sechzig Jahren in
einem schrecklichen Wirbel von Gewalt und Gegengewalt
verstickt hat. Alle israelischen Machthaber verweigerten und
verweigern Verhandlungen mit dem Argument, die Palästinenser
stellten Vorbedingungen. Dieses Argument ist aber wieder nur
ein heuchlerischer Vorwand, um die Besatzung und
Kolonisierung der Westbank nicht aufzugeben. Das ist aber
natürlich eine Sackgasse. Die Bedingungen für den Frieden
sind doch schon längst festgesetzt worden: Rückzug aus allen
in 1967 eroberten und besetzten Gebieten. Israel will mit
den Vorbedingungen seine Vorstellungen für eine Lösung
diktieren und will den Palästinensern höchstens ein paar
Bantustane zugestehen. Was könnte aber in Wirklichkeit für
Israel besser sein als ein zwar schmerzhafter Kompromiss mit
den Palästinensern und knapp zwei Dutzend arabischen
Ländern, um so Frieden zu schließen aufgrund der Grenzen
von 1949? Diese Grenzen würden für die Palästinenser einen
Verzicht auf über zwanzig Prozent von dem Gebiet bedeuten,
das die Vereinten Nationen 1947 ihnen zugeteilt hatten.
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