Über den absurden und hysterischen Umgang mit Antisemitismus
Abi Melzer rechnet in seinem neuen Buch mit dem größten Tabu der deutschen Politik ab: der Kritik an Israels Vorgehen gegen die Palästinenser
Arn Strohmeyer - 20. 4. 2022
Abi Melzer ist ein streitbarer Publizist und in seinem Kampf für Recht und Gerechtigkeit ist er unerbittlich. Das gilt besonders für seinen Einsatz für einen wirklichen Frieden im Nahen Osten, also für den Konflikt zwischen dem siedlerkolonialistischen, zionistischen Israel und den von dessen Militär besetzten und unterdrückten Palästinensern. Da ihm an Kenntnissen über diese endlose Auseinandersetzung kaum jemand etwas vormacht (er hat neben der deutschen auch die israelische Staatsangehörigkeit, spricht Hebräisch und hat sogar seine Wehrpflicht in der israelischen Armee abgeleistet) und als Kritiker politischen Unrechts auch über beträchtliche Zivilcourage verfügt, hat er sich in einem Land, in dem die unverbrüchliche Freundschaft und Loyalität zu Israel Staatsräson ist, nicht nur Freunde gemacht.
Da liegt es nahe, ihn nach dem neudeutschen Katechismus, dass Kritik an Israels Politik Antisemitismus ist, als „Antisemiten“ zu denunzieren, wie es die Präsidentin der jüdischen Gemeinde in München Charlotte Knobloch auch getan hat, sie hat sogar noch das Wort „berüchtigt“ hinzugefügt. Nun ist eine solche Denunziation natürlich problematisch, da es sich bei Abi Melzer um einen Juden handelt. Da muss man dann zu dem verleumderischen Vorwurf des „selbsthassenden Juden“ oder des „Israelhassers“ greifen. Das Judentum ist ja keineswegs ein weltanschaulich monolithischer Block, dessen Vatikan die israelische Regierung ist, sondern ein sehr vielstimmiger pluralistischer Chor, in dem verschiedene religiöse Gruppen und alle politischen Richtungen vertreten sind, auch sehr kritische Antizionisten. Und Kritik an ungerechten Herrschaftsverhältnissen zu üben, ist allerbeste jüdische Tradition.
Das Wissen um diese Fakten vorausgesetzt, überschaut man, in welch vermintem publizistischem Spannungsfeld sich Abi Melzer bewegt. Und das vor allem, weil er zu unterscheiden weiß zwischen Judentum, Zionismus und Israel, was die meisten Deutschen nicht können oder nicht wollen und deshalb zu völlig falschen Aussagen über das Geschehen in Israel/Palästina kommen.
So ist denn auch der äußerst widersprüchliche, absurde, oft hysterische und paranoide Umgang mit dem Antisemitismus in Deutschland ein bevorzugtes Thema in seinem publizistischen Wirken, so auch in seinem neuen Buch Ich bin (k)ein Antisemit. Melzer führt da vor, was die aus der Holocaust-Schuld und dem engen Verhältnis zu Israel herrührende deutsche Israel-Ideologie, die der australische Historiker A. Dirk Moses den neuen Deutschen Katechismus nennt, für politische Absurditäten hervorbringt.
Das Verhältnis zu Israel und damit auch der Umgang mit dem Antisemitismus sind die Lebenslügen der deutschen Politik. Aus dem Bestreben heraus, Sühne für die Nazi-Verbrechen an den Juden zu erlangen, stehen die deutschen Regierenden in Berlin – ganz gleichgültig in welcher Parteienkombination – stets in totaler Loyalität hinter dem zionistischen Staat und üben keine Kritik an seinen völkerrechtswidrigen und die Menschenrechte verachtenden Verbrechen: Besatzung, Landraub, Vertreibung, Häuserzerstörungen, Mauerbau, völlige Abriegelung des Gazastreifens und und …
All das nimmt die deutsche Politik nicht nur widerspruchslos hin, sie unterstützt diesen alle westlichen Werte ignorierenden Zustand auch mit politischer, wirtschaftlicher, militärischer und kultureller Zusammenarbeit. Israel ist für deutsche Regierungen eine heilige Kuh – unberührbar, nicht kritisierbar – eben ein Tabu! Die verheerenden Folgen zeigen sich vor allem im deutschen Antisemitismus-Diskurs. Melzer beschreibt die Wende, die sich durch israelischen Druck vollzogen hat, so: „Früher war ein Antisemit derjenige, der Juden gehasst hat, nur weil sie Juden waren. Heute ist ein Antisemit derjenige, den zionistische Juden hassen, weil er Israels Politik kritisiert.“ Und Melzer fügt hinzu: „Tatsache ist, dass die ganze Debatte über Antisemitismus in Deutschland nichts anderes ist als die Fortsetzung des Nahostkonfliktes auf deutschem Boden.“
Dabei hat Israel durchaus ein Interesse daran, Antisemitismuskampagnen hierzulande noch anzuheizen, denn der Antisemitismus erfüllt für den zionistischen Staat eine durchaus nützliche Funktion: Mit dem Vorwurf des Judenhasses kann die israelische Regierung jede Kritik an ihrem brutalen Vorgehen gegen die Palästinenser abwehren. Und von dieser Waffe macht Israel reichlich Gebrauch. Die deutsche Politik hat diese Strategie übernommen und den Begriff des „israelbezogenen Antisemitismus“ geprägt, den vor allem die amtlichen Aufpasser – die Antisemitismusbeauftragten – , die Mainstream-Medien und die Israel-Anhänger benutzen. Wenn es um wirklichen Antisemitismus ginge, könnte man für ein hartes Einschreiten Verständnis haben, aber darum geht es hier gerade nicht, sondern um die Abwehr jeder Kritik an der völkerrechts- und menschenrechtswidrigen Unterdrückung der Palästinenser. Der Antisemitismus wird also für fremd bestimmte politische Zwecke instrumentalisiert.
Melzer schreibt denn auch: „Der ‚israelbezogene Antisemitismus‘ ist eine Erfindung der israelischen Propaganda, die mit dieser Behauptung von den eigenen Verletzungen des Völkerrechts ablenken will.“ Die israelischen Propaganda kann natürlich behaupten, was sie will, nur wird es bedenklich, ja gefährlich, wenn die deutsche Politik eine solche Strategie einfach übernimmt und auch in der politischen Praxis umsetzt. Dabei hat in den letzten Jahren das wertvollste Gut einer Demokratie, die Meinungs- und Informationsfreiheit, schweren Schaden genommen. Selbst jüdische bzw. israelische Kritiker sprechen von einem neuen „McCarthyismus“ in Deutschland. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die BDS-Resolution des Bundestages, die Kommunen empfahl, Kritiker der israelischen Politik keine Räume für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen.
Melzer weist noch auf einen anderen wichtigen Aspekt des deutschen Antisemitismus-Diskurses hin. Von interessierter Seite wird ständig eine gefährliche Zunahme des Antisemitismus beschworen. Solche Behauptungen lassen sich aber nur schwer überprüfen, zumal sie auch von der geltenden Antisemitismus-Definition abhängen. Beispiel: Ist jede Hakenkreuzschmiererei schon ein antisemitischer Vorfall? Aber angenommen, der Antisemitismus nimmt nach der in Deutschland gültigen Definition wirklich zu, dann wird der Hauptgrund für eine solche Entwicklung gar nicht genannt, ja verschwiegen: nämlich Israels brutale Herrschaft über die Palästinenser. Sie ruft nicht nur in Deutschland Ablehnung, ja Hass auf Israel hervor. Dieser Hass ist meistens aber gar kein Hass auf Juden, also Antisemitismus, sondern Antizionismus, also eine Verurteilung der Politik dieses Staates. Für die deutsche Politik sind Antisemitismus und Antizionismus aber ein und dasselbe – kein Wunder also, dass der „Antisemitismus“ zunimmt. Die deutsche Loyalität zu Israel produziert also mit ihrer Tabuisierung der Kritik an Israel die Zunahme des Antisemitismus selbst. Absurder geht es nicht!
Melzer empfiehlt als Gegenmittel gegen solche Absurditäten klare begriffliche Trennungen, die aber auch eine Änderung der deutschen Israel-Politik bedeuten würden: „Nötig wäre eine klare Unterscheidung zwischen echtem Judenhass und Kritik an der Politik des Staates Israel, die so lange nicht stattfindet, wie man immer noch von einem ‚israelbezogenen Antisemitismus‘ spricht und schreibt. (…) Nötig wäre eine klare Unterscheidung zwischen Juden und Israelis, zwischen Israel und israelischer Politik, zwischen Kritik und Diffamierung und zwischen Hass und Vorurteil.“
Aber es ist vorerst nicht damit zu rechnen, dass deutsche Politiker solche Einsichten haben werden, ist doch Loyalität zu Israel deutsche „Staatsräson“. Abi Melzer leistet mit seinen Texten und jetzt auch mit seinem neuen Buch einen wichtigen Beitrag, den verlogenen deutschen Philosemitismus, der nur die andere Seite des Antisemitismus ist, zu dekuvrieren, indem er unermüdlich auf seine Widersprüche, Absurditäten und auch seine Unmoral hinweist. Es ist zu hoffen, dass er kein einsamer Rufer in der Wüste bleibt!
Abraham Melzer
Ich bin (k)ein Antisemit!
Antisemitismus: Das Schattenspiel.
Wie Israel-Booster das Wort neu definieren wollen und dabei den echten Kampf gegen den Antisemitismus schwächen
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