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Und Frieden auf Erden...
aber nicht
im „Heiligen Land“
Arn
Strohmeyer
Die
Weihnachtslegende von Jesu Geburt ist untrennbar mit der
Idee des Friedens und dem sogenannten „Heiligen Land“
verbunden. Das Paradoxe ist nur, dass Palästina seit jeher
einer der am meisten umkämpften Landstriche der Welt ist.
Und seit der Ankunft der ersten Zionisten um 1880 und der
kolonialen Besiedlung durch sie ist der Frieden dort
vollends unmöglich geworden. Der Unfrieden in
Israel/Palästina liegt sozusagen in der Sache selbst: Der
Zionismus ist eine siedlerkolonialistische Bewegung, und das
heißt: Die indigene Bevölkerung (die Palästinenser) wurde
und wird noch immer durch eine ethnische Säuberung
vertrieben oder eliminiert beziehungsweise in kleine
Enklaven verdrängt, damit die neuen Herren das Land in
Besitz nehmen können. Zu diesem Prozess gehört auch die
Dämonisierung und Dehumanisierung der Ureinwohner, um so zu
beweisen, dass diese Menschen nicht dieselben Rechte
verdienen wie die Siedler.
Das ist die
Gesetzmäßigkeit des Siedlerkolonialismus, den die Weißen
schon in Amerika, Australien und Südafrika mit Erfolg
praktiziert haben. Obwohl das Zeitalter des Kolonialismus
längst Geschichte ist, führt Israel diesen Anachronismus in
furchtbarer Weise weiter durch – mit Rückendeckung der USA
und Europas. Dass Israel auf diese Weise seine moralische
Existenz und Legitimation verfehlen muss, weil dieser Staat
auf der Unterdrückung eines anderen Volkes gründet, wird in
Kauf genommen, was aber auch bedeutet, dass der Frieden
keine Chance hat und Israel/Palästina einer der
gefährlichsten politischen Brennpunkte bleibt, der jederzeit
die Welt in den Abgrund reißen kann.
Auf die
Frage, warum der Frieden unmöglich ist, gibt es nur eine
Antwort: Die Zionisten erheben den Exklusivanspruch auf das
Land. Dieser Ideologie zufolge gibt es keinen Raum für die
Anerkennung legitimer Ansprüche eines anderen Volkes auf das
Land – ja, dem anderen Volk wird sogar die nationale
Existenz abgesprochen. Der Israeli Jeff Halper formuliert es
so: „Die Vorstellung, dass es den Palästinensern gestattet
werden sollte, auf dem gesamten besetzten Gebiet – gerade
einmal 22 Prozent des Landes – einen Staat zu gründen, wurde
nie ernsthaft von einem irgendeinem israelischen Politiker,
von irgendeiner Partei erwogen.“
Hinter
dieser Ablehnung eines territorialen Kompromisses mit den
Palästinensern steckt aber mehr als nur eine starre
Verweigerungshaltung. Der israelische Soziologe und
Philosoph Moshe Zuckermann spricht von einer
„psycho-kollektiven Angst der Israelis vor dem Frieden“. In
Israel werde zwar ständig vom „Frieden“ gesprochen und eine
„Friedenssehnsucht“ beschworen, gleichzeitig sei der Staat
aber unfähig, den Frieden in der eigenen Gesellschaft
politisch zu legitimieren und ihn auch umzusetzen. Er
schreibt: „Bezogen auf die kollektiven Auffassungen sowie
auf die tatsächliche Politik ist in Israel der Frieden in
aller Munde geläufig, doch niemand hat ihn je wirklich auf
die Probe gestellt, mithin die Bereitschaft gezeigt, ihn mit
dem notwendigen Preis auch umzusetzen.“
Im
Zusammenhang mit dem imaginierten Frieden huldigt Israel
einem Sicherheitsmythos, der lautet: „Die Feinde ringsum
[die Araber oder die Gojim] wollen uns vernichten“ – eine
Sicht, die als Folge der jüdischen Leidens- und
Verfolgungsgeschichte verstanden wird und die Unlösbarkeit
der Feindschaft zwischen Juden und Arabern behauptet. Auf
diese Weise wird die Sicherheitsfrage genauso wie die
Friedensfrage aber ideologisiert und entpolitisiert und der
sich daraus ergebende permanente Kriegszustand als
„Selbstverteidigung“ gerechtfertigt, was wiederum die
absolute und unbedingte militärische Überlegenheit – die
unschlagbare Militärmacht –voraussetzt.
Die
konkreten Streitpunkte des Konflikts mit den Palästinensern
( die Besatzung, die Frage der Grenzen, die Rückkehr der
Flüchtlinge, die Gefangenen usw.) und realpolitische
Lösungen werden also ausgeblendet und die Verantwortung für
den Konflikt allein den Arabern zugeschoben. Genauso
argumentierte z.B. der kürzlich verstorbene israelische
Politiker Simon Peres, der in den westlichen Staaten völlig
zu Unrecht als „Friedensbringer“ gerühmt wurde. Er führte
den Konflikt völlig ahistorisch auf die Aversionen der
Araber und der ganzen Welt gegen Israel zurück. Es besteht
aber gar kein Zweifel, dass ein wirklicher Frieden so lange
nicht möglich ist, wie Israel den Konflikt in dieser Weise
entpolitisiert und dem Sicherheitsmythos und der
Friedenideologie anhängt und nicht bereit ist, die eigene
Vergangenheit (das an den Palästinensern begangene Unrecht)
aufzuarbeiten.
An
konkreten arabischen Friedensangeboten hat es nach dem Krieg
von 1948 bis heute nicht gefehlt. Die Anerkennung Israels
durch die Araber war damals möglich, wenn man in den Fragen
der Rückkehr der Flüchtlinge und der territorialen Grenzen
einen Kompromiss gefunden hätte. Koexistenz, vielleicht
sogar der Frieden wäre also denkbar gewesen. Eine solche
Lösung hätte aber auch das Ende des Zionismus bedeutet, denn
Israel wäre dann ein ganz normaler Staat mit festgelegten
Grenzen in der Levante geworden. Jeff Halper zählt in seinem
Buch „Ein Israeli in Palästina. Israel vom Kolonialismus
erlösen“ 21 arabische Friedensangebote ab 1949 auf, diese
Liste sei aber noch keineswegs vollständig. Israel hat diese
nationalen und internationalen Friedensangebote alle
abgelehnt, ohne aber je einen eigenen Friedensplan
vorzulegen. Israel entschied sich gegen die Koexistenz mit
den Arabern und für eine Strategie der militärischen Gewalt
und vergrößerte so sein Territorium auf Kosten der Araber
1948, 1956 und 1967.
Israel
konnte mit seinen Kriegen immer gut leben, denn das von der
Propaganda erzeugte Gefühl der Bedrohung schweißte die
israelische Gesellschaft zusammen, und außerdem schwoll der
Hilfs- und Kapitalfluss ins Land dann immer mächtig an. Die
zionistische Expansionspolitik hat aber nicht mehr
Sicherheit für den Staat, sondern erhöhte Unsicherheit
gebracht. Der deutsche Soziologe Walter Hollstein hat schon
1972 festgestellt und daran hat sich bis heute nichts
geändert: „Israels expansionistische Prinzipien machen die
friedliche Koexistenz, die überhaupt erst die Grundbedingung
für einen sicheren ‚Judenstaat‘ ist, zwischen Juden und
Arabern unmöglich. Statt die Juden zu befreien, wie es sein
hehres Ziel gewesen ist, führt der Zionismus die Israelis in
immer schwieriger zu meisternde Engpässe.“ Und weil das so
ist, und es nach wie vor ein palästinensisches Volk gibt,
das seine nationalen Ansprüche auf dasselbe Territorium
anmeldet, ist Israels Existenz nicht gesichert – muss der
zionistische Staat im Widerspruch mit sich selbst leben und
immer wieder seine Existenzberechtigung vor sich selbst und
der Welt legitimieren.
Für den
Israeli Jeff Halper ist der Zionismus deshalb schon
gescheitert und an sein Ende gekommen. Denn er hat einen
Staat geschaffen, der auf Unterdrückung und Gewalt beruht:
„Der politische Zionismus“, schreibt er, „musste moralisch
und systematisch scheitern, da er sich nicht mit dem anderen
im Land lebenden Volk auszusöhnen verstand. Er ist nicht in
der Lage, einen Weg aus dem Konflikt zu weisen.“
Aber
Totgesagte leben oft länger und verschwinden deshalb noch
lange nicht aus der Geschichte. Ihre Agonie kann noch sehr
lange dauern und sehr viel Unfrieden stiften. Frieden im
„Heiligen Land“, das zum „Un-Heiligen Land“ geworden ist,
ist nichts als eine Utopie.
20.12.2016 |