„Unkritische Unterstützung Israels behindert den
Friedensprozess nur“
Die deutsche Nahost-Politik in der Sackgasse / Einige
Anmerkungen zum deutsch-israelischen Regierungstreffen
in Jerusalem
Arn Strohmeyer
Im Juni
1980 – also vor 34 Jahren ! – haben die Außenminister
der Europäischen Gemeinschaft in Venedig eine
Nahost-Erklärung beschlossen, die die Selbstbestimmung
des palästinensischen Volkes verlangte. Die Gemeinschaft
bot sich gleichzeitig als Garantiemacht einer
umfassenden Friedenslösung an. Was ist seitdem passiert?
Auf Seiten der EU außer neuen Mahnungen, Appellen und
Leitlinien so gut wie nichts. Die letzte Leitlinie von
Juli letzten Jahres erklärte die israelischen Siedlungen
in den besetzten palästinensischen Gebieten wie vorher
schon der Internationale Gerichtshof in Den Haag und
etliche UNO-Resolutionen für völkerrechtswidrig. Auf
Seiten Israels geschah allerdings eine ganze Menge: Der
Staat hat neue palästinensische Gebiete in Besitz
genommen, neue Dörfer und Städte dort gebaut und
hunderttausende Juden dort illegal angesiedelt. Und die
brutale Besatzungspolitik der Israelis gegen die
Menschen in den besetzten Gebieten geht weiter: tägliche
Razzien, Ausgangssperren, Verhaftungen (sogar von
Kindern), Zerstörung von Eigentum (Häusern, Feldern,
Olivenbäumen und Brunnen), Behinderung der
Bewegungsfreiheit und Tötung missliebiger Personen. Mit
einem Wort: Siedlerkolonialismus in Reinkultur!
Diese
ständigen Menschenrechtsverletzungen waren bei den
deutsch-israelischen Regierungskonsultationen in
Jerusalem natürlich kein Thema. Dafür gab es auf
deutscher Seite wieder viel moralisches Pathos in den
Reden und Verlautbarungen: die „Verantwortung aus der
deutschen Geschichte“ usw. Je öfter man sie wiederholt
desto inhaltsleerer werden diese Rituale, was nicht
heißen soll, dass es keine Verantwortung aus der
deutschen Geschichte gibt. Aber die Begriffe, die in dem
Verhältnis zwischen Deutschen und Israelis dauernd im
Munde geführt werden, zeichnen sich dadurch aus, dass
sie äußerst unkonkret und vage sind und politisch nicht
weiterführen. Was bedeutet eigentlich die „Staatsräson“,
für die einzutreten Kanzlerin Angela Merkel 2008 in
ihrer Knesset-Rede zur deutschen Pflicht erhoben hat und
die sie ständig wiederholt? Heißt das, dass Deutschland
in jedem Fall Israels abenteuerliche und
friedensfeindliche Kriegspolitik unterstützen und auch
für diesen Staat einstehen muss, wenn er durch seine
eigenes riskantes Vorgehen in Bedrängnis gerät – wie
etwa durch einen (völkerrechtswidrigen) Angriffskrieg
gegen den Iran, der ja in Jerusalem immer noch im
Gespräch ist? Dann wäre die Staatsräson Merkels nichts
weiter als ein Freibrief für Israels aggressive
Staatsräson.
Hier sei
nur angemerkt, dass der renommierte israelische
Militärhistoriker Zeev Maoz in seinem Buch „Defending
the Holy Land“ nachgewiesen hat, dass Israel alle bisher
von ihm geführten Kriege auch selbst angezettelt hat.
Nur beim Krieg von 1948 gegen die Araber meldete er
Zweifel an, worauf ihm sofort einige andere israelische
Historiker widersprachen: Nein, auch diesen Krieg hat
Israel begonnen. Wenn Israel seine Gewaltaktionen als
„Selbstverteidigung“ rechtfertigt, dann ist das blanker
Zynismus, denn über 20 arabische Friedensangebote seit
1948 blieben unbeachtet und unbeantwortet – das letzte
von 2002, das die Anerkennung Israels durch alle
arabischen Staaten vorsah, wenn Israel sich bereit
erklärte, in den besetzten Gebieten die Gründung eines
palästinensischen Staates zuzulassen.
Auch
„Existenz“ und „Sicherheit“ sind äußerst schwammige und
vage Begriffe. Die Anerkennung der Existenz eines
Staates gibt es im Völkerrecht überhaupt nicht. Wenn ein
Staat einen anderen anerkennt, dann erkennt er
automatisch auch dessen Existenz an. Frühere israelische
Regierungen – wie etwa die von Menachem Begin – lehnten
es ab, irgendjemanden darum zu ersuchen, Israels
Existenz anzuerkennen, weil sie dieses Recht durch den
UNO-Teilungsbeschluss von 1947 als gegeben ansahen, als
etwas, das völlig außer Zweifel steht. Dieser Meinung
war auch Israels früherer Außenminister Aba Eban. Erst
die Regierung Netanjahu hat die Anerkennung des
Existenzrechtes als Propagandatrick wieder aus dem
Zylinder hervorgezaubert, wohl weil sie weiß, dass
niemand auf diese Absurdität eingeht, aber Israel durch
diese Forderung Zeit gewinnt, neue Siedlungsfakten in
den besetzten palästinensischen Gebieten zu schaffen.
Außerdem will Israel mit dem Begriff „Existenz“ an
seinen Opferstatus gemahnen, aber die vermeintliche
Bedrohung nimmt dem Besatzungs- und Atomwaffenstaat kaum
noch jemand ab.
Genauso
steht es mit dem Begriff „Sicherheit“. Einmal abgesehen
davon, dass auch die anderen Staaten und Völker in der
nahöstlichen Region ein Recht auf Sicherheit haben und
nicht nur Israel – Sicherheit kann überhaupt nur durch
das Zusammenwirken mehrerer oder aller Beteiligten zu
einem Sicherheitssystem entstehen. Israel schafft durch
seine Landraubpolitik aber sein Sicherheits-
beziehungsweise Unsicherheitsproblem selbst. Denn je
mehr Land es annektiert und seine Grenzen in fremdes,
ihm nicht gehörendes Gebiet ausdehnt, desto größer wird
sein Sicherheitsanspruch, dieses geraubte Land auch zu
behalten. Hat Angela Merkel einmal Benjamin Netanjahu
gefragt, warum Israel auch nach 66 Jahren staatlicher
Existenz noch keine festen und international anerkannten
Grenzen hat?
Was man
bei den Regierungskonsultationen in Jerusalem auch
vermisst hat, ist ein klares Bekenntnis dazu, dass
Deutschland auch eine Verantwortung für die
Palästinenser hat, die sich auch aus der deutschen
Geschichte ergibt, denn sie sind die „Opfer der Opfer“.
Helmut Schmidt hat das übrigens mehrmals in seiner
Amtszeit als Kanzler getan. Angela Merkel hätte in
Israel einmal unmissverständlich aussprechen müssen:
„Die Besatzung ist unmenschlich und völkerrechtswidrig
und muss umgehend beendet werden!“ Ansonsten sind ihre
permanenten Berufungen auf die „gemeinsamen Werte mit
Israel“ völlig unsinnig und wertlos.
Bild zum vergrößern anklicken
In ihrem
Beraterkreis ist man da schon viel weiter. So hat der
Völkerrechtler Christian Tomuschat, der auch
Vorsitzender der Völkerrechtskommission der Vereinten
Nationen war und die Bundesregierung mehrmals vor
internationalen Gerichten vertreten hat, konstatiert:
„Die israelische Siedlungspolitik in den besetzten
Gebieten ist illegal. Israel steht also mit seiner
Ansicht, dass seine Siedlungspolitik nicht zu
beanstanden ist, völlig allein. Die von Angela Merkel
formulierte Staatsräson für die Sicherheit Israels
bedeutet auch, eine besondere Verantwortung für das
Schicksal der Palästinenser zu übernehmen, weil beide
Gemeinwesen untrennbar miteinander verknüpft sind. Die
Sicherheit Israels lässt sich nicht durch Rechtsbrüche
zulasten der Palästinenser gewährleisten.“
In den
Vorausberichten zu dem Treffen in Jerusalem hieß es:
Berlin halte die Regierung Netanjahu für unfähig und
unwillig. Der Konflikt zwischen beiden Regierungen gehe
inzwischen so weit, dass das durch den Holocaust
begründete Sonderverhältnis in Frage gestellt sei. Im
Pathos der Reden in Jerusalem hat man davon nichts
gemerkt. Es ist die alte Doppelmoral, die die
Beziehungen seit langem kennzeichnet: Kritik wird nur im
stillen Kämmerlein geübt, aber nicht im politischen
Alltag. Geschweige denn, dass etwa zusammen mit der EU
politischer Druck auf Israel ausgeübt wird – das einzige
Mittel, das die Regierung in Jerusalem wirklich
verstehen würde. Aber es läuft andersherum: Wenn Israel
U-Boote mit atomaren Trägerwaffen wünscht, die Deutschen
liefern und bezahlen auch den größten Anteil. Ein
Kommentator hat das „Beihilfe zum Massenmord“ genannt.
Folgt eine solche Politik wirklich aus der deutschen
Geschichte? Wenn die „besonderen Beziehungen“ zwischen
Deutschland und Israel lediglich dafür herhalten müssen,
eine zutiefst unmoralische und völkerrechtswidrige
Politik aufrechtzuerhalten, dann ist es höchste Zeit,
sie zu überdenken und nach Alternativen zu suchen.
Einer,
der auch die deutsche Politik immer wieder genau dazu
mahnt, ist der amerikanisch-jüdische Wissenschaftler und
Publizist Henry Siegman, der früher Direktor des
American Jewish Congress war und heute Leiter des US/Middle
EAST Project ist. Er schreibt: „Der eigentliche Skandal
ist, dass die Völkergemeinschaft zwar genau weiß, wo die
Probleme liegen, aber nicht genug Mut aufbringt, sie zu
benennen, geschweige denn sie zu lösen.“ Und besonders
an die Europäer und speziell an die Deutschen sendet er
den Appell: „Wenn westliche Länder vor dem Hintergrund
ihrer Schuld am Holocaust glauben, ihre Hinnahme eines
solchen Ergebnisses sei ein Akt der Freundschaft mit dem
jüdischen Volk, so kann es keinen größeren Irrtum geben.
Die Palästinenser aufzugeben, kann keine Sühne dafür
sein, die Juden Europas aufgegeben zu haben. Und es
würde auch nicht der Sicherheit Israels dienen. Die
Erwartung, unkritische Unterstützung werde zu einer
größeren Bereitschaft Israels führen, für den Frieden
Risiken auf sich zu nehmen, steht im Widerspruch zur
Geschichte dieses Konflikts. Je kleiner der Widerspruch
ist, den Israel von seinen Freunden im Westen erhält
desto kompromissloser wird sein Verhalten gegenüber den
Palästinensern.“
Ein
bisschen von diesen Worten sollte sich die Regierung der
Großen Koalition in ihrer Nahost-Politik zu Herzen
nehmen. Aber die Chancen dafür sind nicht groß, was auch
mit der Person der deutschen Kanzlerin zu tun hat, die
sich ja stets als große Israel-Freundin outet. Als der
israelische Historiker Tom Segev nach Merkels
Staatsräson-Rede in der Knesset 2008 gefragt wurde, was
er davon halte, sagte er in einem Interview: „ Das kam
mir so vor wie aus den 50er Jahren. Für Frau Merkel ist
das Thema relativ neu, weil sie aus der DDR kommt, wo
man Israel überhaupt nicht behandelt hat. Ihre Rede ging
völlig an der Realität vorbei. Sie hat die Regierung
Israels total kritiklos gewürdigt. Dabei bedient sie
alle diese [zionistischen] mythologischen Klischees. Das
hört sich dann an, als wäre es von der Internetseite des
Auswärtigen Amtes abgelesen.“
Diese
Sätze Tom Segevs aus dem Jahr 2008 gelten auch nach dem
Treffen in Jerusalem in Jahr 2014 uneingeschränkt.
25.02.2014