Weihnachten
2017 - keine „frohen Botschaften“ aus dem „Heiligen Land“
Arn Strohmeyer
Es gibt äußerst
selten Positives aus dem „Heiligen Land“ zu berichten. Das ganze
Leben dort wird von der Besatzung, Unterdrückung und den
Rechtsbrüchen der Israelis beherrscht, die es ja noch
offizieller propagandistischer Version dieses Staates gar nicht
gibt. Da gab es die Botschaft aus Washington, in der
US-Präsident Donald Trump Jerusalem als die Hauptstadt Israels
anerkannte, ein verhängnisvoller Schritt, der alles andere als
dem Frieden in dieser Region dienlich ist. Um diese Botschaft
soll es aber hier nicht gehen, sondern um eine andere. Ob diese
aber wirklich „froh“ war, ist eine Frage des Standpunkts, also
der persönlichen Bewertung. Es war der eine Satz, den Israels
Justizministerin Eyelet Shaked im August 2017 auf einer
Konferenz in Tel Aviv sagte. Er lautete: „Der Zionismus darf
sich nicht, und sich sage hier, er wird sich nicht weiterhin dem
System der individuellen Rechte unterwerfen, das in einer
universellen Weise interpretiert wird, die sie von der
Geschichte der Knesset und der Geschichte der Gesetzgebung
trennt, die wir allen kennen.“
Die Ablehnung
der Menschenrechte und des Völkerrechts durch die Zionisten ist
lange bekannt (vor allem auch durch ihre Taten), aber noch nie
vorher hat ein Mitglied der israelischen Regierung sie in
letzter Zeit so offen zugegeben. Mit anderen Worten: Der Staat
Israel ist also auf Fundamenten der Ungerechtigkeit aufgebaut
und muss deshalb vor Kritik, die von außen an ihn herangetragen
wird, geschützt werden. Es handelt sich hier aber nicht um eine
Einzelmeinung.
Schon in den
dreißiger Jahren hatte der führende Ideologe der zionistischen
Arbeiterbewegung Berl Katznelson (1887 – 1944) die Auffassung
vertreten, dass der Zionismus gegen den Strom agieren und gegen
den Willen der Mehrheit beziehungsweise gegen den Gang der
Geschichte seine Ziele erreichen müsse. Er unterliege daher
anderen Maßstäben als der „formalen Moralität“. Die eigene
nationalstaatliche Existenz wird somit vom Handeln nach „eigenen
Regeln“, von eigenen moralischen Maßstäben abhängig gemacht.
Diese Existenz – in diesem Zusammenhang ist von
„maximalistischem Zionismus“ die Rede – lasse sich letztlich nur
durch Verdrängung des anderen Kollektivs [der Palästinenser] aus
dem Land und auch aus dem Bewusstsein erreichen. Katznelson
spricht von „Umsiedlung“, eine harmlose Umschreibung für
Vertreibung.
Wie wahr der
Tatbestand ist, dass das offizielle Israel mit Menschenrechten
und Völkerrecht auf dem Kriegsfuß steht, hat auch die
israelischen Soziologin Eva Illouz in ihrem Buch „Israel“ (die
deutsche Übersetzung ist 2015 bei Suhrkamp erschienen)
beschrieben: Die Menschenrechte gefährden nach Ansicht der
meisten Israelis das Überleben des Staates, wer sich zu ihnen
bekennt gilt als „Verräter“.
Der eine von
der Justizministerin – also der höchsten Vertreterin des Rechts
in Israel – ausgesprochene Satz hätte eigentlich in den
westlichen Staaten, die Israel nahestehen, einen Aufschrei der
Empörung auslösen müssen, denn die Ministerin hat damit ja klar
ausgedrückt: Israel ist keine Demokratie und kein Rechtsstaat,
denn beide Institutionen setzen die Gleichheit vor dem Gesetz
voraus, die es nach Aussage von Eyelet Shaked in diesem Staat
nicht gibt und auch nicht geben darf. Demokratie und Rechtsstaat
sind also ein privilegierter Status nur für Juden, für die
Palästinenser in Israel gilt er nur sehr eingeschränkt, für die
Palästinenser im israelischen Besatzungsbereich (Westjordanland
und Gazastreifen) gilt er überhaupt nicht.
Wo blieb also
der empörte Aufschrei der Verbündeten Israels und der
Mainstream-Medien, die nicht müde werden, die Wertegemeinschaft
mit diesem Staat zu betonen? Aber niemand rührte sich zu einer
Äußerung des Protestes. Auch die deutsche Kanzlerin Angela
Merkel nicht, die in ihrer berühmt-berüchtigten Rede vor der
Knesset in Jerusalem anlässlich des 60. Jahrestages der
israelischen Staatsgründung im März 2008 insgesamt acht Mal die
gemeinsamen Werte mit Israel (Demokratie, Freiheit und
Rechtsstaat) beschworen hatte. Stattdessen schickte die
Bundesregierung im November deutsche Kampfflugzeuge nach Israel,
um in einem gemeinsamen Manöver mit der israelischen Luftwaffe
die „Wertegemeinschaft“ zu demonstrieren. Und wo blieben die
Empörung und die Kritik bei der EU? Denn in der Präambel des
Assoziationsvertrages mit Israel wird ausdrücklich auf die
Erfüllung der Menschenrechte hingewiesen.
Das Schweigen
in Europa ist sehr beredt. Es verrät, wie sehr man eine Debatte
über dieses Thema scheut: einen guten Freund und Verbündeten zu
haben, der offen und öffentlich seine Verachtung für die
angeblich höchsten westlichen Werte verkündet. Und die deutschen
Pro-Israel-Aktivisten und Anhänger der Politik dieses Staates?
Hätten sie nicht angesichts der Shaked-Äußerung vor Scham und
Entsetzen in sich gehen und die eigene Position hinterfragen
müssen, wenn hier so deutlich gegen eine zivilisatorische
Errungenschaft ersten Ranges (Menschenrechte und Völkerrecht, an
deren Ausarbeitung übrigens viele Juden führend beteiligt waren)
Stellung bezogen wird? Deren Hassgesänge gegen die Kritiker der
israelischen Politik reduzieren sich aber inzwischen auf die
Primitiv-Parole „Palästina, halt’s Maul!“. Was alles über die
Haltung dieser Leute zu Demokratie und Rechtsstaat aussagt. Da
kann einem nur angst und bange werden!
Was aber ist
aber das „Frohe“ an der Botschaft? Eyelet Shaked hat für
Klarheit gesorgt. Einmal darüber, wo Israels Politik wirklich
steht und warum eine Lösung des Konflikts mit den Palästinensern
unmöglich ist. Und zweitens hat sie auch klar definiert, was
heute Antisemitismus bedeutet. Da gibt es zwar immer noch das
widerwärtige Treiben der rechtsradikalen oder
Neonazi-Judenhasser, aber das ist selbst nach Henryk M. Broder
„Steinzeit-Antisemitismus“. Die neue Definition von
Antisemitismus lautet: Ein Antisemit ist jemand, der sich in
seiner Kritik an der israelischen Politik gegenüber den
Palästinensern offen auf eine universalistische Moral stützt–
sich also zu Menschenrechten und Völkerrecht bekennt. Oder
umgekehrt: Um nicht als Antisemit angeprangert zu werden, darf
man sich also nicht zu den Menschenrechten und dem Völkerrecht
bekennen, ja man muss sie verachten und mit Füßen treten. Und
man muss sich zu Israels unmenschlicher Politik bekennen, um
nicht zum „Verräter“ zu werden. Damit ist auch die Aufgabe des
„Antisemitismusbeauftragten“ klar umrissen, den die
Bundesregierung jetzt einsetzen will. Er muss vor allem sein
Auge auf die gefährlichen Menschrechts- und
Völkerrechtsaktivisten werfen und gegen diese inquisitorisch
vorgehen, die darauf bestehen, dass auch Israel diese Normen
endlich einhält.
Gut, dass man
das alles jetzt weiß. Eyelet Shaked sei Dank für diese „gute“
Botschaft!
Dezember 2017