Der
Zionismus vor seinem historischen Ende?
Moshe Zuckermanns neues
Buch zeigt auf, in welche politische Ausweglosigkeit
Israel durch seine Staatsideologie geraten ist
Arn
Strohmeyer
Der
politische Wind hat sich gedreht – nicht zuletzt durch
den Angriff Israels auf den Gaza-Streifen im Sommer -,
der nicht, wie Israel ihn darstellt, ein „Krieg gegen
den Terrorismus“ war, sondern ein weiteres großes
Massaker an den Palästinensern, wie der zionistische
Siedlerkolonialismus schon viele andere – von Deir
Jassin bis Sabra und Schatila – begangen hat. Israel hat
diesen „Krieg“ gegen den Gaza-Streifen militärisch
natürlich gewonnen, was bei seiner gewaltigen
militärischen Übermacht nicht verwundert, aber politisch
hat es ihn verloren, denn die Welt beginnt – endlich! –
zu begreifen, was sich in Israel/Palästina wirklich
abspielt. Siehe die weltweiten Proteste gegen die
Politik des zionistischen Staates, die Erfolge der
BDS-Kampagne und die Ankündigung mehrerer Staaten,
Palästina völkerrechtlich anzuerkennen.
Aber der
letzte Gaza-Krieg hat Israel nicht nur viel Prestige
gekostet, er wirft viel tiefer gehende Fragen auf, die
die Zukunft des zionistischen Projektes überhaupt
betreffen. Genau um diesen Problemkreis geht es in Moshe
Zuckermanns neuem Buch „Israels Schicksal. Wie der
Zionismus seinen Untergang betreibt“. Seine Analysen und
Prognosen für den Fortbestand des jüdischen Staates
fallen im Ergebnis äußerst düster und pessimistisch aus.
Gleich zu Beginn seiner Ausführungen stellt er die
Frage, warum das politische Establishment Israels und
auch seine mehrheitliche Bevölkerung so verblendet sind,
dass sie nicht sehen können oder wollen, dass die Zeit
gegen das zionistische Projekt arbeitet und dass es
nicht mehr viel Spielraum nach vorn gibt, es also
weniger als fünf vor Zwölf ist, um das Ruder noch
herumzuwerfen.
Er
schreibt: „Es ist an der Zeit zu fragen, ob besagte
Erschütterungen und Ängste [er meint hier vor allem die
Folgen des Holocaust] sich mittlerweile nicht dermaßen
gründlich verdinglicht haben, dass sie den Bezug zum
historischen Ursprung völlig verloren haben und einzig
nur noch als Mittel einer tiefer liegenden Angst
fungieren: des Entsetzens vor der Erkenntnis, das
gesamte zionistische Projekt sei einen steilen Abhang
hinunter gerollt, und gerade jene, die seine Fahnen in
überbordendem Pathos und ideologischem Überschwang
schwenken, seine Totengräber seien, Förderer seines
historischen Endes.“
Aus
dieser Feststellung ergeben sich für Zuckermann weitere
Fragen – vor allem die, warum der Zionismus sein
Versprechen, den Juden der Welt eine sichere Heimstätte
zu errichten, in der sie in Frieden leben könnten, nicht
einlösen konnte. Dass – ganz im Gegenteil – die Juden
heute als Individuen nirgendwo so bedroht seien wie in
Israel und dass die nächste Kollektivkatastrophe des
jüdischen Volkes sich gerade hier ereignen könnte. Denn
der Autor schließt nicht aus, dass die Führer dieses
Staates mit Hilfe einer empörenden Instrumentalisierung
des Holocaust ein militärisches Abenteuer rechtfertigen
würden – damit aber eine reale Katastrophe für die
israelische Bevölkerung heraufbeschwören würden. Gemeint
ist natürlich ein Angriff auf den Iran, den Israels
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu so oft und begierig
eingefordert hat. Zuckermann sieht aber nicht nur das
israelische Establishment in der Verantwortung, sondern
auch die israelische Bevölkerung, die ideologisch
verblendet, passiv und in unpolitischer Apathie den
politischen Weg unterstütze, der zwangsläufig in den
Abgrund führe.
Als
Gründe für diese düstere Prognose führt der Autor zuerst
eine sozusagen mit objektiver Notwendigkeit sich
vollziehende Entwicklung an: Wenn Israel die Beendigung
des Konflikts mit den Palästinensern durch die
Zwei-Staaten-Lösung ablehnt und auch die Errichtung
eines bi-nationalen Staates verwirft, in dem Juden und
Palästinenser als gleichwertige und gleichberechtigte
Bürger gemeinsam leben würden, bleibt nur die dritte
Option: und die wäre – infolge des größeren Zuwachses
der palästinensischen Bevölkerung – ein Apartheidsstaat,
in dem die israelischen Juden eine Minderheit bilden
würden. Dass diese Minderheit die Macht freiwillig
abgibt, ist aber ausgeschlossen. Eine solche „Lösung“
wäre aber keine, weil sie weder von den Palästinensern
noch von den Staaten des Westens akzeptiert würde.
Israel würde in diesem Fall die Herrschaft über die
Palästinenser noch brutaler ausüben, als es das jetzt
schon tut. Das wäre dann vermutlich nur in einer
Diktatur möglich. Jede dieser Optionen würde aber das
Ende des Zionismus bedeuten.
Israel
hat sich hat sich durch seine Okkupationspolitik, die
auf den „triumphalen Sieg“ im Krieg von 1967 zurückgeht,
also selbst in die politische Sackgasse manövriert, aus
der es nun keinen Ausweg mehr gibt. Und da die
israelische Politik hin- und hergerissen ist zwischen
der Einsicht, dass der Rückzug aus den besetzten
Gebieten – im wahrsten Sinne des Wortes – notwendig
ist, um die Zukunft des Staates zu sichern, und der
Angst vor dem Frieden und dem Preis den man dafür zahlen
muss, passiert gar nichts, was eine apolitische
Stagnation zur Folge hat, die den Druck des Dilemmas
aber nur stetig vergrößert.
Zuckermann sagt auch ganz deutlich – und das ist der
Kern des Dilemmas: „Israel will den Frieden nicht. Es
kann ihn nicht wollen, weil ein realer Frieden den
Abschied von einem tief eingefrästen Muster seines
Selbstverständnisses, die Auflösung der Matrix seines
ideologischen Selbstbildes abfordern würde. Die
israelische politische Kultur kennt nur ‚Sicherheit‘ als
begreifbare Substanz ihres Selbstverständnisses.“ Damit
hat er die beiden Grundzüge des Zionismus angesprochen:
Expansionismus (die Eroberung von Boden) und
Selbstviktimierung (die Ideologie, dass nur die Israelis
‚Opfer‘ sind). Die expansive gewaltsame Landnahme war
von Anfang an der Grundantrieb des Zionismus –
sowohl des ursprünglich säkularen und des heute
vorherrschenden religiösen. Denn das Konzept eines
jüdischen Staates war zunächst nur als Idee da. Um ihn
realisieren zu können, musste das Territorium (eben
Palästina) gewaltsam in Besitz genommen werden – Stück
um Stück. Die Rechtfertigung hierfür lieferten die
Religion („Gott hat den Juden das Land gegeben“) und die
zionistische Ideologie („das Volk ohne Land kommt in das
Land ohne Volk“). Dass das Land voll bewohnt und
vergeben war, wussten die Zionisten sehr wohl, aber
dieses Argument zählte für sie nicht, weil die
Palästinenser für sie gar nicht als vollwertige Menschen
galten. An dieser Einstellung hat sich nichts geändert.
Heute hat der Zionismus das ganze Land im Griff und will
nichts davon abgeben, das wäre „Verzicht“ und der ist
undenkbar. Es sei an Jitzhak Rabin erinnert, der dazu
bereit war und diese Kompromissbereitschaft mit dem
Leben bezahlen musste. Ein Rückzug aus den besetzten
Gebieten könnte Bürgerkrieg unter Juden bedeuten.
Zum Wesen
der zionistischen Ideologie gehört aber auch die
Selbstviktimierung, also die Ideologisierung der
jüdischen Leidenserfahrung , besonders des Holocaust.
Soll heißen – so Zuckermann - , die Israelis gedenken
der Opfer gar nicht mehr im Stande ihres Opfer-Seins,
sondern maßen sich selbst den Opferstatus an, um ihn
instrumentalisieren zu können und politisches Kapital
daraus zu schlagen: „Der Begriff des
Opfer-Täterverhältnisses wird so auf das Schändlichste
entleert und nachgerade verkehrt.“ An anderer Stelle
schreibt er, dass die wirklichen Opfer auf diese Weise
„verraten“ würden.
Diese
Opfer-Mentalität und –Ideologie führt aber automatisch
zu der Unmöglichkeit, andere als Opfer anzuerkennen. Und
so muss die israelische Politik verdrängen, was sie in
Jahrzehnten den Palästinensern an furchtbaren Unrecht
angetan hat. Die Leiden der Palästinenser werden also
vollständig ausgeblendet. Die israelische Politik
braucht ein Feindbild, um ihr eigenes ideologisches
Selbstbild aufrecht erhalten zu können. Würde sie es
aufgeben und die Palästinenser (auch die Hamas)
entdämonisieren, müsste man sich mit der eigenen Schuld
auseinandersetzen – und das geht nicht, dafür sind die
psychischen und ideologischen Hürden viel zu hoch. Das
Selbstbildnis des Zionismus muss intakt bleiben, er darf
sich nicht durch historische Täterschaft besudelt haben.
Zwischen
Expansionismus und der Opferideologie besteht ein enger
Zusammenhang. Zuckermann beschreibt ihn so: „Je mehr
sich Israel in der Gewaltausübung der Okkupation
verfing, desto intensiver steigerte sich die Emphase der
Selbstviktimierung, mithin die Apostrophierung aller
Kritik an Israels Politik als Antisemitismus. Es geht
dabei um bewusste ideologische Manipulation, was nicht
darüber hinwegtäuschen sollte, dass in der Manipulation
auch eine Schuldabwehr angelegt ist.“ Israel kann und
darf die Schuld an den Palästinensern nicht zugeben,
will es mit sich im Reinen leben. Genau dieser
Sachverhalt der Aktivierung des Antisemitismus-Vorwurfes
trat während des Gaza-Krieges im Sommer deutlich zu Tag:
je brutaler Israel dort Gewalt ausübte, desto lauter
tönte dieser Vorwurf.
Moshe
Zuckermann hat in seinem neuen Buch eine glänzende und
tabulose Analyse der zionistischen Ideologie – ihrer
Grundannahmen, Paradoxien und Widersprüche – vorgelegt.
Man versteht nach der Lektüre, warum der Frieden im
Nahen Osten unmöglich ist. Eine gerechte Lösung der
völlig verfahrenen Situation kann auf Grund der völlig
asymmetrischen Machtverhältnisse nur von Israel kommen,
aber Verzicht und Kompromissbereitschaft schließt der
Zionismus aus. Die ganze perspektivlose Aporie kann
Zuckermann natürlich auch nicht auflösen, aber er hat
einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis dazu
geleistet, warum die Lage in Israel/Palästina so
hoffnungs- und aussichtslos ist. Das ist schon eine
ganze Menge.
Moshe
Zuckermann: Israels Schicksal. Wie der Zionismus seinen
Untergang betreibt, Promedia Verlag Wien, 17,90 Euro
17.10.2014