Ist
Israel ein Apartheidstaat ähnlich wie Südafrika?
Ein Blick zurück in die Geschichte belegt die
Identifizierung des Zionismus mit dieser Staatsform
Arn
Strohmeyer
Benjamin Beit-Hallahmi ist ein (inzwischen emeritierter)
Psychologie-Professor der Universität Haifa. Er ist ein
vielseitiger Gelehrter, der seinen wissenschaftlichen
Blick nicht nur auf sein Fachgebiet richtet, so hat er
neben Texten zu religionspsychologischen Fragen auch
Bücher über politische Themen geschrieben. 1987 hat er
das Buch The Israeli Connection herausgebracht,
das zwei Jahre später in der Bundesrepublik unter dem
Titel Schmutzige Allianzen. Die geheimen Geschäfte
Israels erschien. Es hat damals in Deutschland viel
Aufsehen erregt, so hat etwa Der Spiegel eine
ausführliche Besprechung gebracht. (Heute wäre eine
solche Rezension wohl kaum noch möglich, weil das
Magazin sofort unter den Antisemitismus-Verdacht geraten
würde.) Es lohnt sich, dieses Buch in Erinnerung zu
rufen, weil es heute viele Antworten auf die Frage gibt:
Ist Israel ein Apartheid-Staat?
Beit-Hallahmi sieht die gesamte globale Politik nach
1945 unter dem Aspekt der Entkolonialisierung. Die
einstigen Kolonien der Großmächte England und Frankreich
und dann auch die unter der Hegemonie der USA stehenden
Staaten strebten in dieser Zeit nach Selbstbestimmung
und Souveränität, was diese Mächte natürlich mit allen
Mitteln zu verhindern suchten. Israel stand in diesem
Prozess – mit dem Rückhalt dieser Mächte – stets auf der
Seite der reaktionären, antirevolutionären und
antiemanzipatorischen Kräfte, also gegen die nationalen
Befreiungsbewegungen überall auf der Welt. Es
unterstützte politisch, wirtschaftlich und militärisch
die grausamsten Systeme, die es damals gab: das Regime
des Schah im Iran, die Diktaturen in Mittel- und
Südamerika (darunter Somoza in Nicaragua, Stroessner in
Paraguay und Pinochet in Chile), Mobutu in Zaire und
Marcos auf den Philippinen, um nur einige zu nennen.
Eine ganz besondere Allianz verband Israel aber mit
Südafrika. Auf dieses Bündnis geht Beit-Hallahmi
ausführlich ein, und seine Ausführungen sind, obwohl sie
nur bis in das Jahr 1987 reichen, von höchster
Aktualität.
Beit-Hallahmis Schlüsselerlebnis, sich mit diesem Thema
zu beschäftigen, war der Staatsbesuch des
südafrikanischen Premierministers Johannes (John)
Vorster im April 1967 in Israel. Beit-Hallahmi saß vor
dem Fernsehapparat und sah, wie der höchste politische
Repräsentant des Apartheidstaates in der
Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem einen Kranz
niederlegte. Er nennt das Ereignis „bizarr und surreal“:
„Dass das israelische Außenministerium die Taktlosigkeit
besaß, einen aktenkundigen Nazi-Kollaborateur zu einer
Gedenkstätte für die Opfer des Nazismus zu führen und
ihm dann auch noch einen Vortrag über die Nazis anhören
zu lassen…“
Bei-Hallahmi begriff: „Vorster in der
Holocaust-Gedenkstätte! Was für eine Selbstdarstellung
Israels! Vielleicht zeigte das Land hier sein wahres
Gesicht! Keinem Filmregisseur, der nach einer
exemplarischen antiisraelischen Einstellung suchte,
hätte etwas Besseres einfallen können.“ Für den
Psychologie-Professor aus Haifa war es der Anlass,
Israels Beziehungen zur Dritten Welt zu erforschen – mit
besonderem Blick auf Südafrika. Um das Ergebnis seiner
Recherchen vorwegzunehmen, warum der zionistische Staat
Israel überall auf der Welt auf der Seite der „weißen
Herrenmenschen“ stand und sich in Südafrika mit allen
Mitteln für die Apartheid eingesetzt hat: „Israel
befindet sich in permanenter Frontstellung zu den
arabischen Völkern des Nahen Ostens (und damit zur
Dritten Welt als ganzer), genau wie die zionistische
Bewegung, aus der Israel hervorgegangen ist, sich von
Anfang an in Frontstellung zu den Arabern im allgemeinen
und den Palästinensern im Besonderen befunden hat. In
den Kriegen der Dritten Welt, an denen Israel sich so
aktiv beteiligt, geht es um das Recht ‚eingeborener‘
Bevölkerungen, in ihrer angestammten Heimat zu leben –
so in Südafrika, Namibia, Guatemala. Hier bestehen
natürlich unmittelbare Parallelen zu den Ansprüchen der
arabische Palästinenser auf ihre eigene Heimat,
Ansprüche, die lange Zeit geleugnet und ignoriert
wurden. In Israel reproduziert sich der Kampf zwischen
Erster und Dritter Welt dank eines politischen Systems,
das dafür sorgt, dass die Vorrechte der Juden erhalten
bleiben und dass den Arabern die politische
Gleichberechtigung verwehr bleibt.“
An
andere Stelle schreibt Beit-Hallahmi: „Das Unrecht, das
den Palästinenser angetan wird, liegt so klar auf der
Hand, dass man, um es nicht zur Kenntnis nehmen zu
müssen, das Thema als solches tabuisieren muss. Da aber
jede Diskussion darüber, was Israel in der Dritten Welt
anstellt, zwangsläufig in die Frage nach den Rechten der
Palästinenser münden würde, muss auch die
Dritte-Welt-Problematik tabuisiert werden. Man kann
nicht über Gleichberechtigung, Freiheit und
Selbstbestimmung im Allgemeinen reden, ohne irgendwann
auch das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern
an der Elle dieser hehren Ideale zu messen. Was Wunder,
dass Israel nicht für die Befreiungsbewegungen in der
Dritten Welt Partei ergreift.“
Und:
„Kaum jemand würde sich darüber wundern, dass weiße
Südafrikaner in der Regel nichts für solche
Befreiungsbewegungen übrighaben. In Israel ist die
politische Diskussion, wie in Südafrika auch, von
vornherein verkrüppelt, weil das Anlegen moralischer
Maßstäbe tabu ist. Wenn in Israel eine solche
Diskussion, und sei es anhand eines so fern liegenden
Themas wie Apartheid, einsetzen würde, liefe das am Ende
immer auf die Gretchenfrage nach der moralischen
Berechtigung des Zionismus hinaus. (...) Gäbe man zu,
dass dort [in der Dritten Welt] Unrecht geschieht, so
würde man sich selbst mit dem Makel der Komplizenschaft
belegen; daher werden die Fragen nach der moralischen
Seite dessen, was man dort tut, erst gar nicht
gestellt.“
Beit-Hallahmi geht dann ausführlich auf Israels enge
Allianz mit dem Apartheidstaat Südafrika ein, und nennt
sie eine Partnerschaft, die auf der Erde ihresgleichen
sucht. Israel habe sich dort mit Haut und Haaren
engagiert, mit höherem Einsatz und Aufwand als irgendwo
sonst. Vor allem habe es sich zu einer unentbehrlichen
Stütze des Apartheidregimes gemacht. Die Geschichte des
Staates Israel kenne keine vergleichbare Liaison von
solcher Intimität und Dauer. Aber nicht alles war der
Öffentlichkeit über diese Beziehung bekannt, wie es der
südafrikanische Außenminister Botha zugegeben hat: „In
den israelisch-südafrikanischen Beziehungen gibt es viel
mehr Verborgenes als Bekanntes.“
Ein
verborgener Punkt in den Beziehungen war es, dass Israel
Südafrika mit seinen Erfahrungen, Methoden und
Techniken, die es bei der Bekämpfung der Palästinenser
gewonnen hat, versorgt hat. Denn beide Staaten hatten ja
nach Ansicht des südafrikanischen Premiers Vorster
dasselbe Problem: „Israel steht nunmehr vor einem
eigenen Apartheidproblem – im Umgang mit seinen
arabischen Einwohnern. Beide Völker sind gewillt, eher
zu kämpfen als ihre Zukunft ganz in die Hände einer sie
umschließenden Mehrheit zu legen.“
Eine
sehr enge Zusammenarbeit gab es deshalb auf
militärischem Gebiet, wobei darüber natürlich wenig
bekannt wurde, weil die israelische Militärzensur
jegliche Berichterstattung zu dem Thema unterband. Und
die Südafrikaner schwiegen natürlich auch. 1963
verabschiedete die UNO ein Waffenembargo gegen
Südafrika. Israel befolgte das Embargo nicht, es
lieferte an die weißen Herren am Kap weiter Waffen aller
Art: Nachrichten- und Spionagetechnik, Ersatzteile und
Munition. Außerdem gab es eine enge Kooperation bei der
Entwicklung neuer Waffensysteme. Israel schickte auch
Offiziere an das Kap, die den weißen Soldaten des
Apartheidregimes beibringen sollten, wie man mit aus
Israel importierten Methoden, die man „zu Hause“ im
Kampf gegen die Palästinenser erprobt hatte, schwarze
Terroristen bekämpft. Gemeint war hier natürlich vor
allem die Befreiungsbewegung ANC.
Da es
beiden Staaten in ihrer Ideologie in erster Linie um das
„Überleben“ ging, gaben die Israelis moralische
Unterstützung im „Überlebenskrieg“, aber auch direkte
praktische militärische Hilfe. So wirkten israelische
Berater an der Planung und Vorbereitung der
südafrikanischen Invasion in Angola mit und waren seit
1975 auch in Namibia aktiv. Ziel war, diese
schwarzafrikanischen Nachbarn zu destabilisieren. Die
Israelis wandten dabei Strategien an, die sie
erfolgreich gegen die PLO und die benachbarten
arabischen Staaten. eingesetzt hatten: Präventivschläge,
Überfälle und Kommandoaktionen. Israel lieferte
Südafrikas Luftwaffe auch Tankflugzeuge, sodass deren
Aktionsbereich beträchtlich erweitert wurde.
Israel unterstützte Südafrika auch bei der
Grenzsicherung. Hierbei brachten die Israelis ihre
Erfahrungen und Mittel ein, die sie im Kampf gegen die
Palästinenser entwickelt hatten: Sicherungs- und
Detektionssysteme, um das Einsickern von
„terroristischen“ Guerillakämpfern zu verhindern. Die
Israelis bauten an Südafrikas Grenzen eine
„elektronische Mauer“ und legten einen Teppich aus
elektronischen Sensoren. Zu den Sicherungssystemen
gehörten auch Mikrowellen-Detektoren, Radaranlagen und
Minenfelder.
Natürlich arbeiteten auch die Nachrichten- und
Geheimdienste eng zusammen. Bet-Hallahmi schreibt über
die Kooperation: „Die geheime Sicherheitspolizei SHABAK
[heute: Shin Bet] unterhält in Südafrika eine ständige
Mission. Die dort stationierten israelischen
Spezialisten helfen ihren südafrikanischen Amtskollegen
bei der täglichen Durchsetzung des Apartheidsystems. Die
SHABAK hält sich viel auf ihre Repressionsmaßnahmen
gegen die Palästinenser zugute, auf die Spitzel, die sie
in die palästinensischen Organisationen eingeschleust
hat, auf ihre Erfolge bei der Überwachung, Schikanierung
und Festsetzung verdächtiger Elemente. Die SHABAK-Leute
sind sich sicher, dass sie den Südafrikanern (und nicht
nur ihnen) das eine oder andere über den Umgang mit
‚Eingeborenen‘ erzählen können, und sie haben es
ausgiebig getan. Viele Maßnahmen, die die
südafrikanische Sicherheitspolizei in letzter Zeit
ergriffen hat, tragen unübersehbar den Stempel
israelischer Ratgeber.“
Die
Zusammenarbeit auf atomarem Gebiet war das bestgehütete
Geheimnis der israelisch-südafrikanischen Allianz. Die
Entwicklung nuklearer Waffentechnik war dabei ein
Wesenselement der Überlebensstrategie beider Länder.
Südafrika spielte eine wichtige Rolle für das
südafrikanische Atomprogramm, da es über reiche
Uranvorräte verfügt. Beide Staaten haben zusammen
verschiedene Atombombentests unternommen. Israel
lieferte Südafrika auch Jericho-Raketen, die
Atomsprengköpfe transportieren können. Aus strategischen
Gründen waren beide Staaten weniger an im
Langstreckenbereich einsetzbaren „Bomben“ interessiert,
sondern eher an taktischen Atomwaffen mit kurzer
Reichweite und entwickelten daher eine Granate mit einem
„kleinen“ Atomsprengsatz.
Beit-Hallahmi merkt zu diesem Punkt an: „Es ist möglich,
dass das israelisch-südafrikanische Atomprogramm darüber
hinaus noch andere Errungenschaften hervorgebracht hat,
die die verwegensten Träume oder Alpträume übersteigen.
Angeblich sind im Rahmen dieses Programms bei der Suche
nach Lösungen für die spezifischen Probleme und
Bedingungen beider Länder beim Einsatz von Atomwaffen
bemerkenswerte technologische Durchbrüche erzielt
worden.“ Es versteht sich von selbst, dass es zwischen
beiden Staaten auch intensive Wirtschafts- und
Handelsbeziehungen gab. Interessant ist dabei, dass auch
sich sozialistisch nennende Kibuzzim, die eigentlich den
Ideen der Gleichheit und Freiheit von Ausbeutung
verpflichtet sind, intensive Geschäfte mit Südafrika
pflegten.
Die
Homelands oder Bantustans waren ein integraler
Bestandteil des Apartheidsystems. Diese „Staaten“ wurden
geschaffen, um die Schwarzen auszusperren und zu
Ausländern im eigenen Land zu machen – sie durften sich
selbst verwalten, aber natürlich nur unter totaler
südafrikanischer Kontrolle. Israel hat dieses System
voll unterstützt und pflegte intensive „formelle“
Kontakte zu den Bantustans, ohne sie aber politisch und
völkerrechtlich anzuerkennen. So tätigten Israelis
Investitionen in den Homelands, man konnte dort gute
steuerfreie Gewinne erzielen. Der Herrscher des
Bantustans Ciskey galt als besonders blutrünstiger
Tyrann, was aber die Freundschaft Israels mit ihm nicht
ausschloss. Mit seiner Bereitschaft, mit den Bantustans
eng zusammenzuarbeiten, signalisierte Israel, wie ernst
es die Parteinahme für die Apartheid nahm. Die
Bantustan-Lösung praktiziert Israel ja auch inzwischen
mit den Palästinensern.
Interessant ist, dass die meisten Israelis (auch die
Politiker) trotz dieser engen Allianz beider Staaten
ihre Sympathie für die Apartheid nicht gern offen
zugaben. Sollte sich da doch so etwas wie ein schlechtes
Gewissen gerührt haben? Zugleich empfanden sie das
Bündnis mit Südafrika als völlig „normal“, was sich auch
darin ausdrückte, dass es einen intensiven Austausch von
Experten aller Art mit Südafrika gab. Auch bei
israelischen Touristen war das Land äußerst beliebt. Es
überwogen eben die Gemeinsamkeiten: „Israel hat den
Südafrikanern gezeigt, wie ein kleines, von Feinden
umringtes Land sich mit Hilfe überlegener Technik
erfolgreich behaupten und eine Befreiungsbewegung im
eigenen Land niederhalten kann“, sagte Premier Vorster.
Beit-Hallahmi stellt am Ende seiner Betrachtungen auch
die Frage, aus welchen Gründen Israel eine so
skrupellose Außenpolitik betreibt. Er beantwortet die
Frage mit einer eindeutigen Aussage zur Ideologie dieses
Staates: „Der Zionismus ist zu keiner Zeit eine
humanistische Philosophie gewesen.“ Sein
programmatisches Konzept, einen souveränen jüdischen
Staat in Palästina zu gründen, habe von Anfang an die
Vergewaltigung der eingeborenen Bevölkerung [der
Palästinenser] beinhaltet. Die Konfrontation Israels mit
der Dritten Welt habe also nicht in Mittelamerika oder
Südafrika begonnen, sondern mit dem Bau der ersten
zionistischen Siedlungen auf palästinensischem Boden.
Dieser Siedlerkolonialismus mit der gleichzeitigen
Bekämpfung der seit Jahrhunderten dort lebenden
indigenen Bevölkerung habe Israel als außenpolitisches
Konzept dann auf die Dritte Welt übertragen: „Wie hätten
die Israelis aus ihrer kolonialistischen Haut schlüpfen
und sich in der Welt draußen anders verhalten können als
‚zu Hause‘?“ fragt Beit-Hallahmi.
An
der siedlerkolonialistischen Ideologie Israels hat sich
bis zum heutigen Tag nichts geändert. Der jüdische Staat
ist der letzte auf der Welt, der diese anachronistische
Weltanschauung noch vertritt und sie auch praktisch
durchführt. Die meisten undemokratischen oder
diktatorischen Verbündeten in der Dritten Welt, für
deren Überleben sich der zionistische Staat mit allen
Mitteln engagiert hat, sind von der Bühne der
Weltpolitik verschwunden: der Apartheidstaat Südafrika,
der Iran des Schah, Marcos auf den Philippinen, Mobutu
in Zaire, Stroessner in Paraguay und Pinochet in Chile
und andere.
Israels außenpolitisches Konzept, das mit dem Export von
Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung nichts zu tun
hatte, war also nicht gerade ein Erfolgsmodell. Auch
wenn rechtspopulistische Strömungen Israel zurzeit die
Stange halten, mit seinem im eigenen Machtbereich
praktizierten Apartheidsystem, steht der zionistische
Staat ziemlich einsam und isoliert da. Das
Apartheidmodell ist gegen den Strom der Geschichte
gerichtet und hat keine Überlebenschance, wie das System
Südafrikas bewiesen hat. Es bleibt die Erkenntnis:
Israel ist heute nicht von außen bedroht, sondern durch
sein anachronisches Apartheidsystem nur von innen.
18.04.2019
Benjamin Beit-Hallahmi: Schmutzige Allianzen. Die
geheimen Geschäfte Israels, München 1989 (Das Buch ist
in den Intenet-Antiquariaten noch zu haben.)