Arn Strohmeyer
Nun
hat es auch es auch Jakob Augstein erwischt. Das
Simon-Wiesental-Zentrum hat ihn in die Ranking-Liste der
bedeutendsten lebenden „Antisemiten“ aufgenommen. Wenn die
Sache nicht so ernst wäre, könnte man sie eigentlich nur als
lächerlich und absurd abtun. Aber sie ist bitterernst. Vor
allem deshalb, weil der wirklich nötige Kampf gegen diese
Form des Rassismus hinter diesen Scheinvorwürfen zum reinen
Wettbewerb um die schlimmste Verleumdung gerät, was das
Vorgehen gegen den real existierenden Antisemitismus zur
Wirkungslosigkeit verurteilt. Denn wenn jede Kritik an
Israels Politik „antisemitisch“ ist, dann wird dieser
Vorwurf inflationär und verliert seine überzeugende Kraft.
Offenbar nehmen die Urheber der Verleumdungen
das gern in Kauf, weil es ihnen in Wirklichkeit um ganz
etwas anderes geht als um die Bekämpfung des Antisemitismus.
Sie wollen jede Kritik an Israels Politik im Keim ersticken.
Unter Berufung auf den Holocaust soll diesem Staat – gegen
Menschenrechte und Völkerrecht – nach seinem eigenen
Selbstverständnis weiter alles erlaubt sein. Er darf tun und
lassen, was er will, er braucht niemandem Rechenschaft
abzulegen. Dabei übersehen die Urheber der Verleumdungen
aber eins: Wenn Kritik an Israels Politik in Deutschland
(und anderswo) ein absolutes Tabu sein soll, dann wird diese
Kritik hinter vorgehaltener Hand geübt – nach dem Motto:
„Die Juden dürfen alles, man darf nur nicht darüber reden.“
So fördern die Tabuisierer den Antisemitismus noch, anstatt
ihm durch Transparenz und eine offene Diskussion Einhalt zu
gebieten.
Die Diskussion über Israels Politik muss auch
aus einem anderen Grund möglich sein: Wenn Israel wirklich
die „einzige Demokratie im Nahen Osten“ ist (wie es uns ja
ständig vorgehalten wird), dann ist es eine
Selbstverständlichkeit, auch über diese Politik kritisch zu
debattieren – zumal dies eine Politik ist, die so mit dem
internationalen Recht auf Kriegsfuß steht. Es geht dabei
immerhin um das Schicksal von Millionen Juden und 4,5
Millionen Palästinensern, Menschen, die uns nicht
gleichgültig sein dürfen.
Aufgeschlossene Israelis und Juden in der
übrigen Welt fordern uns – die Deutschen, aber auch die EU –
immer wieder auf, Kritik an Israels Vorgehen gegenüber den
Palästinensern zu üben, ja sogar Druck auf die Regierung in
Jerusalem auszuüben, weil Israel nur so aus seiner selbst
verschuldeten politischen Stagnation herauskommen kann, denn
ein Ausweg aus der Sackgasse ist nirgendwo in Sicht. Und es
ist inzwischen eine Binsenweisheit geworden: Nur wenn Israel
zu einem gerechten Frieden mit den Palästinensern kommt, hat
es selbst als Staat eine Zukunft.
Dieselben Israelis weisen uns auch immer
wieder daraufhin, dass jede Diskussion über Israel, Juden
und das Nahost-Problem einen falschen Zungenschlag bekommt,
wenn man – aus Angst vor dem Tabubruch – nicht zwischen
Israel, Judentum und Zionismus unterscheidet – und so auch
nicht in der Negation: zwischen Kritik an Israel,
Antisemitismus und Antizionismus. Hält man diese Begriff
nicht fein säuberlich auseinander, muss man notwendigerweise
zu falschen Schlussfolgerungen über den Nahost-Konflikt
kommen. In Deutschland überbietet sich die Debatte um diesen
Problemkreis mit Philosemitismus, ohne dabei zu merken, wie
nahe diese kritiklose „Judenliebe“ mit dem Antisemitismus
verwandt ist. Beide Ismen räumen Juden eine Sonderstellung
ein, die eine positiv, die andere negativ . Der
Philosemitismus nimmt Juden nicht in ihrem je individuellen
Wesen (ob gut oder schlecht) wahr, sondern nur als
abstraktes Kollektiv, um sie so als Projektion eines
unverarbeiteten Ressentiments zu benutzen.
Der Antisemitismus-Vorwurf ist heute kein
Mittel mehr, über eine schlimme Form des Rassismus
aufzuklären, sondern er ist zur ideologischen Waffe
verkommen, bestimmte Interessen zu vertreten (oder zu
verschleiern) und offene Debatten abzuwürgen, indem man
kritisches Hinterfragen an den Pranger stellt. Dass sich das
Simon-Wiesental-Zentrum zur Ranking-Agentur für
„Antisemitismus“ in der Welt macht, ist bedauernswert, denn
sein Begründer hat sich große Verdienste im Aufspüren von
Nazi-Verbrechern erworben. Eine Aufgabe, die eigentlich die
deutsche Justiz hätte leisten müssen, die aber zumeist ihre
schützenden Hände über diese Leute gehalten hat. Das
Wiesental-Zentrum sollte sich mit Aufklärung dem Kampf gegen
den wirklichen Antisemitismus widmen, aber nicht Beihilfe
zur Verleumdung kritischer Geister leisten. Das ist sonst
ein massiver Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit!
Und fördert Israel nicht durch seine Politik
den Antisemitismus in der Welt? Der israelische Historiker
Moshe Zuckermann hat kürzlich geschrieben: „Die
staatsoffizielle Politik Israels ist verrottet wie kaum je
zuvor. In bestimmten Kreisen und Instanzen im Ausland pflegt
man die Kritik an ihr als ‚antisemitisch‘ zu apostrophieren.
Die bittere Wahrheit ist jedoch, dass Israels Politik noch
nie so viel Nahrung für latenten und manifesten
Antisemitismus in der Welt geboten hat wie in den letzten
Jahren. Diese Politik produziert nicht zuletzt das, was dann
von der herrschenden politischen Klasse des Landes als
ideologische Rechtfertigung des kritisierten eigenen Tuns
gegenüber der ‚antisemitischen Welt‘ instrumentalisierend
verwertet werden kann.“ (Aus dem Buch „Wider den Zeitgeist“,
Berlin 2012, S. 101)
Ob wir uns mit Israel auch kritisch
auseinandersetzen können, daran misst sich der Grad der
politischen Reife, die Deutschland nach seiner monströsen
Vergangenheit erlangt hat. Deutschland muss Israel nicht
nach der Pfeife tanzen und es muss ihm auch keine U-Boote
liefern, die atomar bestückbar und deshalb gefährliche
Angriffswaffen sind. Das muss man laut aussprechen dürfen,
ohne dass es Antisemitismus ist! Deshalb Solidarität mit
Jakob Augstein!