Weglassen, vertuschen und manipulieren
Wie die Deutsch-Israelische
Gesellschaft die Nakba-Ausstellung ins Zwielicht rücken
will
Arn
Strohmeyer
20. 2. 2015
In Bremen
schlagen die politischen Wellen wegen der
Nakba-Ausstellung zur Zeit hoch, die am 18. Februar
eröffnet wurde. Die Festreden hielten die
palästinensische Botschafterin Dr. Khouloud Daibes und
Professor Rolf Verleger aus Lübeck. Die
Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) und die Jüdische
Gemeinde hatten zuvor alles unternommen, die Exposition
in der Stadtbibliothek zu verhindern, was aber nicht
gelang. Die Nakba-Veranstaltergruppen mussten aber einen
Kompromiss hinnehmen, damit die Ausstellung überhaupt
gezeigt werden darf: Die DIG darf dort zwei Tafeln mit
ihrer „Gegendarstellung“ aufstellen – ein wohl
einmaliger Vorgang in Deutschland, dass in einer
Ausstellung auch gleich die „Gegenausstellung“ gezeigt
werden muss. Aber damit hat die DIG einen Präzedenzfall
geschaffen, auf den man bei kommenden Gelegenheiten
zurückkommen und gleiches Recht einfordern kann.
Der
Bremer Grünenpolitiker und Vorsitzender der DIG in der
Stadt, Dr. Hermann Kuhn, griff anlässlich der
Ausstellung selbst zur Feder und verfasste ein Papier,
in dem er die „Gegenargumente“ seiner Organisation in
Thesen darlegte. Im Folgenden werden seine Ausführungen
wiedergegeben und die Antworten darauf. (Die Thesen
Hermann Kuhns sind fett gedruckt.)
Diese
Ausstellung [über die Nakba] dient nicht der
Verständigung. Im Gegenteil.
Die
Nakba-Ausstellung legt historische Fakten offen, die in
Deutschland bisher wenig bekannt sind und die vor allem
israelische Historiker erst in den letzten Jahren
erarbeitet haben. Zu nennen sind hier vor allem die
Arbeiten von Simcha Flapan, Benny Morris, Tom Segev, Avi
Shlaim und Ilan Pappe. Ohne ihre Studien hätte man die
Ausstellung gar nicht erstellen können. Wenn Hermann
Kuhn nun sagt, die Ausstellung diene nicht der
Verständigung, dann kann das doch nur heißen, dass die
historische Wahrheit über die Vorgänge der Jahre 1947/48
nicht an das Licht der Öffentlichkeit gehört. Es gibt
aber ganz im Gegenteil einen wichtigen Grund, warum die
Erkenntnis und die Verbreitung der historischen Wahrheit
gerade im Fall der Nakba so notwendig ist: Weil mit den
historischen Mythen und Legenden Israels der Frieden
unmöglich ist.
Der
Israeli Simcha Flapan begründet das so: „Es gilt, die
propagandistischen Denkstrukturen aufzulösen, die so
lange verhindert haben, dass in meinem Land die Kräfte
des Friedens an Boden gewinnen konnten. Die Aufgabe, die
den Intellektuellen und den Freunden beider Völker
[Israelis und Palästinensern] zufällt, besteht nicht
darin, Ad-hoc-Lösungen anzubieten, sondern die Ursachen
des Konflikts in das Licht einer aufklärenden Analyse zu
tauchen, in der Hoffnung, dass man es auf diese Weise
schafft, die Verzerrungen und Lügen, die mittlerweile zu
sakrosankten Mythen geronnen sind, aus der Welt zu
schaffen.“ Und: „Wenn die Klischees und falschen Mythen
ihren Platz im Denken der Jüngeren behaupten, ist die
Katastrophe unausweichlich.“ Sein Kollege Ilan Pappe
stimmt Flapan zu und schreibt: „Es ist unsere Pflicht,
dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit [die Nakba],
das Israel leugnen und die Welt vergessen machen wollte,
aus der Vergessenheit zu holen, und zwar nicht nur als
längst überfällige historiographische Rekonstruktion
oder professionelle Aufgabe. Meiner Ansicht nach ist es
eine moralische Entscheidung, der allererste Schritt,
den wir tun müssen, wenn wir wollen, dass Versöhnung
jemals eine Chance haben und Frieden in den zerrissenen
Ländern Palästina und Israel Fuß fassen sollen.“
In Israel
gibt es zudem die Organisation Zochrot (Wir erinnern
uns), die seit Jahren die Ereignisse der Nakba
erforscht und die Ergebnisse ihrer Arbeit (auch Berichte
von jüdischen und palästinensischen Zeitzeugen)
veröffentlicht und an 1948 zerstörten palästinensischen
Dörfern und Stadtteilen Gedenksteine errichtet. Außerdem
hat sie einen App eingerichtet, den man herunterladen
kann und dann Auskunft über die während der Nakba
zerstörten Orte erhält. Zochrot tut dies
ausdrücklich mit der Absicht, die Verständigung und
Versöhnung mit den Palästinensern zu fördern.
Im
Katalog der Ausstellung sind sehr prominente Namen
aufgeführt, die auch der Meinung sind, dass ihre
Darstellungen der Verständigung dienen. Außerdem bürgen
die Prominenten auch für die Wissenschaftlichkeit des
Gezeigten – darunter auch mehrere Juden: Dr. Norbert
Blüm, Prof. Dr. Alfred Grosser, Prof. Dr. Stephane
Hessel (+), Rupert Neudeck, Dr. Paul Oesterreicher,
Prof. Dr. Norman Paech, Prof. Dr. Peter Scholl-Latour,
Hans Graf von Sponeck, Prof. Dr. Ernst Tugendhat,
Konstantin Wecker, Prof. Dr. Jean Ziegler, und viele
andere. Sind das alles Antisemiten?
Wer
Frieden und Verständigung zwischen Israel und den
Arabern will, muss auch das Schicksal der Palästinenser,
das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge und
ihrer Nachkommen kennen und anerkennen. Aber er muss
auch die Ursache und die Verantwortung dafür richtig
benennen. Das tut die Ausstellung nicht.
Genau das
tut die Ausstellung mit so gut wie allen Texten, man
sollte sie nur mal genau studieren. Es ist sogar ihr
Sinn, endlich die wirklichen Ursachen des Konflikts
zwischen Israelis und Palästinensern zu nennen. Bisher
kannte man nur die israelisch-zionistische Darstellung
und die ist gerade durch eine neue Historiker-Generation
in Israel zu großen Teilen widerlegt worden. Ihre
Forschungsergebnisse stimmen weitgehend mit der
palästinensischen Darstellung überein. Nur ein Beispiel:
Das zionistische Narrativ behauptet, die Palästinenser
hätten ihr Land „freiwillig“ verlassen, was durch keinen
einzigen Beleg bewiesen werden konnte. Außerdem sagt
einem schon der gesunde Menschenverstand: Wer verlässt
freiwillig seine Heimat, um im Elend in
Flüchtlingslagern zu leben – in einem Land, in dem man
nicht willkommen ist? Eine absurde Vorstellung. Die
Ursache der Gewalt in diesem Konflikt war von Anfang an
die Tatsache, dass ein Volk in ein von einem anderen
Volk bewohntes Land einwanderte, um dort seinen Staat zu
gründen. Damit war die Gewalt vorprogrammiert. Genau
diesen Prozess der Kolonisierung und seine Folgen zeigt
die Ausstellung.
Die
Ausstellung stellt die Legitimität der Staatsgründung
Israels auf Grundlage des UN-Teilungsbeschlusses von
1947 in Frage.
Das tut
sie keineswegs. Dieser UN-Beschluss ist gültig, das
bestreitet die Ausstellung überhaupt nicht. Sie weist
aber auf die Ungerechtigkeit dieses Beschlusses hin,
dass die Juden, die damals nur ein Drittel der
Bevölkerung Palästinas stellten und zu diesem Zeitpunkt
nur sechs Prozent des Bodens besaßen, 56 Prozent des
Landes bekommen sollten, die Araber, die zwei Drittel
der Bevölkerung stellten, aber nur 42,88 Prozent.
Jerusalem sollte eine internationale Zone werden. Die
Juden sollten noch dazu die fruchtbareren Landesteile an
der Küste bekommen.
Die
Ausstellung stellt deshalb mit Recht die Frage, ob die
UNO überhaupt nach dem Völkerrecht berechtigt war, das
Land eines Volkes an ein anderes Volk zu verteilen bzw.
Staaten neu zu schaffen. In Artikel 1 und 2 der
UNO-Charta ist der Grundsatz der Gleichberechtigung und
des Selbstbestimmungsrechts der Völker festgelegt, der
wurde bei dem UN-Teilungsbeschluss aber nicht beachtet,
weil man einfach über die Palästinenser verfügt hat,
ohne sie zum Beispiel in einem Referendum über ihre
Zukunft selbst entscheiden zu lassen. Die Ausstellung
behauptet also nicht, dass die israelische
Staatsgründung illegal war, sie weist aber auf die
völkerrechtliche Problematik hin, die bis heute nicht
eindeutig geklärt ist. Israel verdankt seine Gründung
und seine Existenzberechtigung dem UN-Teilungsbeschluss,
hat es der UNO aber wenig oder überhaupt nicht gedankt,
weil sie alle nachfolgenden UNO-Resolutionen zur Lösung
des Konflikts mit den Palästinensern ignoriert und nicht
umgesetzt hat.
Die
Ausstellung verschweigt, dass sofort nach dem
UN-[Teilungs-]Beschluss die arabischen Angriffe auf die
Juden begannen und dass die arabischen Staaten einen Tag
nach der Unabhängigkeitserklärung dem jungen Staat
Israel den Krieg erklärten mit dem Ziel, ihn
auszulöschen.
und
Die
Ausstellung leugnet, dass die darauf folgenden
militärischen Auseinandersetzungen und die Niederlage
der arabischen Angreifer die Ursache für Flucht und
Vertreibung der Palästinenser gewesen sind.
Es sind
in diesem Zusammenhang einige Dinge auseinanderzuhalten,
vor allem die wirklichen Ursachen und die Folgen der
Ereignisse. Die Ausstellung leugnet keineswegs, dass es
zu militärischen Auseinandersetzungen kam. Es heißt da:
„Unmittelbar nach Verabschiedung der
UN-Teilungsresolution begannen die bewaffneten
Auseinandersetzungen in Palästina.“ Wenn da von
„Angriffen gegen Juden“ die Rede ist, dann denkt man
sofort an die Sprache des europäischen Antisemitismus.
Die Unruhen waren in diesem kolonialen Konflikt aus
Sicht der Palästinenser durchaus verständlich, weil sie
die eindeutigen Verlierer des Teilungsbeschlusses waren
und man diesem Volk den Großteil seines Landes geraubt
hatte. Welches Volk auf dieser Welt hätte das einfach
hingenommen? Die Juden in Palästina hatten schon sehr
früh militärische Verbände aufgebaut, denen die
Palästinenser so gut wie nichts entgegenzusetzen hatten.
Der Zionistenführer David Ben Gurion hat in seinem
Tagebuch schon 1937 geäußert, dass er Teilungsgrenzen
missachten und die jüdische Bevölkerungsmehrheit und
Exklusivität im Land mit Gewalt durchzusetzen werde.
Wörtlich erklärte er, die jüdische Gemeinde müsse „nicht
nur Siedlungen, sondern das Land als Ganzes und unsere
nationale Zukunft verteidigen.“
Die
zionistischen Verbände begannen noch 1947 – also kurz
nach dem Teilungsbeschluss und Monate vor der
Gründung des Staates Israel – mit dem Krieg gegen die
Palästinenser, der dann zur ethnischen Säuberung wurde.
Am 10. März 1948 autorisierte die Beratergruppe von Ben
Gurion den Plan D (Dalet), anschließend billigte das
Hagana-Kommando [die Hagana ist die Vorläuferin der
heutigen israelischen Armee IDF] den Plan, dann ging er
in Form von militärischen Befehlen an die Truppen vor
Ort. In der von der Geheimdienstabteilung der Hagana
erarbeiteten Blaupause des Plans Dalet heißt es: „Die
Operationen lassen sich folgendermaßen durchführen:
entweder durch Zerstörung von Dörfern (indem man sie in
Brand setzt, sprengt und die Trümmer vermint) und
insbesondere von Wohngebieten, die auf die Dauer schwer
zu kontrollieren sind, oder durch Durchsuchungs- und
Kontrolloperationen nach folgenden Richtlinien:
Umstellen und Durchkämmen der Dörfer. Im Fall von
Widerstand sind die bewaffneten Kräfte auszuschalten und
die Einwohner über die Landesgrenzen zu vertreiben.“
(Zitiert nach Ilan Pappe: Die ethnische Säuberung
Palästinas, S. 120)
Die
jüdischen Verbände eroberten auch noch vor der
Gründung des Staates Israel und dem Einmarsch arabischer
Armeen große Teile des den Zionisten von der UNO
zugeteilten Landes, aber auch Teile der den Arabern
zugesprochenen Regionen – und auch arabische Städte:
Haifa, Safed, Jaffa, Tiberias. Bis zum Gründungstag
Israels am 14. Mai 1948 hatten die Zionisten schon 300
000 Palästinenser vertrieben. Die Niederlage der
arabischen Angreifer fand erst viel später statt, der
Waffenstillstand wurde im ersten Halbjahr 1949
geschlossen. Israel besaß am Ende des Krieges nicht nur
die ihm von der UNO zugeteilten 56 Prozent des Landes,
sondern 78 Prozent. Die Bilanz der Nakba war furchtbar:
Elf Stadtviertel und 531 palästinensische Dörfer wurden
zwangsgeräumt, viele dem Erdboden gleichgemacht, etwa
750 000 Menschen wurden vertrieben, es kam zu
Plünderungen und Massakern, das Eigentum der
Vertriebenen wurde konfisziert.
Die
Feststellung, dass die militärischen
Auseinandersetzungen die Ursache für die Flucht und
Vertreibung der Palästinenser gewesen sei, lässt sich
nicht halten. Die exakt geplante und durchgeführte
ethnische Säuberung Palästinas ist heute bei
renommierten israelischen Historikern wie Simcha Flapan,
Avi Shlaim, Benny Morris, Shlomo Ben Ami und Ilan Pappe
auch gar nicht mehr umstritten. Benny Morris
rechtfertigt heute sogar die Nakba, indem er sagt, man
hätte sie 1948 wirklich vollenden müssen, was ja wohl
heißt, dass man alle Palästinenser hätte vertreiben
müssen.
Die
Ausstellung verschweigt, dass 1948 die Zweistaatenlösung
nicht an Israel gescheitert ist, sondern an den
arabischen Nachbarn, die sie nicht wollten und die sich
nach dem Waffenstillstand das Westjordanland und den
Gazastreifen einverleibt haben.
Auch
diese Feststellung lässt sich sehr leicht mit Arbeiten
israelischer Historiker wiederlegen. So schreibt Simcha
Flapan, dass die Anerkennung des UNO-Teilungsbeschlusses
durch Israel ein taktisches Zugeständnis war, das
keineswegs ernst gemeint war. Denn das Ziel der
Zionisten war und ist auch heute noch ein homogener
jüdischer Staat, der ganz Palästina umfasst. Bester
Beleg dafür ist die heutige Siedlungspolitik, durch die
den Palästinensern immer mehr Land geraubt wird, wodurch
ihre Existenz immer mehr eingeschränkt wird. Das ist
auch eine indirekte Form der Vertreibung. Es gibt viele
Äußerungen von David Ben Gurion aus den 40er und 50er
Jahren, in denen er immer wieder betont, dass ein
kleiner jüdischer Staat nur eine Zwischenstation sei, um
sich von dort aus durch Eroberungen immer weiter
auszudehnen und die Region zu beherrschen. Wörtlich
sagte er: „...dass wir nach dem Aufbau einer Armee im
Anschluss an die Errichtung des Staates die Teilung
aufheben und uns über ganz Palästina ausdehnen.“
Dass die
Palästinenser und die Araber damals gegen die
Zwei-Staaten-Lösung waren, ergab sich aus der
Ungerechtigkeit des UNO-Teilungsbeschlusses. Der
israelische Historiker Ilan Pappe sieht das genauso und
kritisiert, dass die Vereinten Nationen bei der Annahme
des Teilungsplans die ethnische Zusammensetzung der
Landesbevölkerung völlig unberücksichtigt gelassen
hätten. Wenn die UNO die Größe des zukünftigen jüdischen
Staates danach bemessen hätte, welches Gebiet von Juden
besiedelt war, hätten sie nur Anspruch auf zehn Prozent
des Landes gehabt. Aber die Vereinten Nationen hätten
die nationalistischen Ansprüche der Zionisten auf
Palästina akzeptiert und hätten die Juden insgesamt wohl
auch für den Holocaust in Europa entschädigen wollen.(Die
ethnische Säuberung Palästinas, S. 57)
Die
Palästinenser waren aber durchaus – wie Simcha Flapan
schreibt – zu einem Kompromiss bereit, weil sie
verstanden hatten, dass die Teilung unvermeidlich und
unumstößlich war. Er schreibt: „Die Beweise dafür sind
so überwältigend, dass sich die Frage stellt, wie der
Mythos von einem heiligen Krieg der Palästinenser gegen
die Juden überhaupt entstehen und sich so lange halten
konnte. Ein Grund dafür dürfte neben der in dieser
Hinsicht äußerst wirksamen Propaganda darin liegen, dass
die Araber nach ihrer Niederlage 1948/49 nur ungern
zugaben, dass sie zuvor bereit gewesen waren, sich unter
gewissen Voraussetzungen mit der Tatsache der Teilung
abzufinden.“
Die
Behauptung, dass die Araber sich das West-Jordanland
„einverleibt“ hätten, ist auch eine Legende. Die
Zionisten hatten mit König Abdallah von Jordanien ein
Geheimabkommen abgeschlossen, das die spätere
Ministerpräsidentin Golde Meir ausgehandelt hatte. Darin
war vereinbart worden, dass Jordanien nach dem Krieg das
West-Jordanland bekommen sollte und dass die jordanische
Arabische Legion (die stärkste arabische Armee der
Araber) nicht in die Kämpfe gegen Israel eingreifen
sollte. Die Arabische Legion schützte daraufhin nur
Jerusalem, das arabisch war.
Die
Ausstellung verschweigt die „Einverleibung des
Westjordanlandes“ keineswegs, der Sachverhalt steht auf
der Tafel 6.
Die
Ausstellung spricht mit keinem Wort davon, dass in den
Jahren 1948 rund 800 000 Juden aus den arabischen
Ländern fliehen mussten, sodass diese heute „judenrein“
sind.
Abgesehen
davon, dass das Wort „judenrein“ die Sprache der Nazis
ist, die hier gar nichts zu suchen hat, ist diese
Behauptung eine Legende und wird durch ständige
Wiederholung nicht wahrer. Der israelische Historiker
Tom Segev geht in seinem Buch Die ersten Israelis
ausführlich auf diese Behauptung ein. Er benutzt dabei
nicht ein einziges Mal den Begriff „Vertreibung“,
sondern schreibt, dass Israel durch den gewonnenen Krieg
1948/49 viel Land dazu gewonnen hatte, aber zu wenig
Menschen besaß, um es zu bebauen und militärisch
schützen zu können. Aus Europa konnte Israel wegen des
Holocaust kaum noch einen größeren Zustrom von Juden
erwarten. Deshalb beschloss man, orientalische Juden ins
Land zu holen. Ben Gurion stellte fest: „Selbst wenn
Juden ihre [arabischen Wohnorte] nicht verlassen wollen,
müssen sie gezwungen werden, zu kommen.“ Man schickte
Mossad-Agenten dorthin, die mit allen Mitteln
arbeiteten, die Juden nach Israel zu bringen. Genauso
beschreibt der österreichisch-jüdische Historiker John
Bunzl den Sachverhalt in seinem Buch Juden im Orient.
Jüdische Gemeinschaft in der islamischen Welt und
orientalische Juden in Israel (Wien1989).
Dort ist auch zu lesen, wie sehr die orientalischen
Juden in diesem Staat gegenüber den ashkenasischen Juden
und deren Führungsschicht [also den Juden vor allem aus
Osteuropa] sozial benachteiligt, ja deklassiert waren.
Ben Gurion verteidigte die Notwendigkeit des Kommens
dieser Menschen, er verglich sie aber mit den Schwarzen,
die als Sklaven nach Amerika gekommen waren. Es handelt
sich bei der Vertreibung der Palästinenser aus ihrer
Heimat und bei der Auswanderung der Juden aus den
arabischen Staaten um zwei völlig verschiedene Vorgänge,
die man nicht gegeneinander aufrechnen darf. Das
offizielle Israel tut das aber, um alle Rückkehr- und
Entschädigungsansprüche von sich zu weisen.
Es ist zu
bedauern, dass die Ausstellung auf diesen Zusammenhang
nicht näher eingegangen ist. Aber jede Ausstellung muss
sich in ihrer Auswahl des Gebotenen beschränken.
Die
Ausstellung schildert nicht, dass diese jüdischen
Flüchtlinge längst integriert sind, die Nachkommen der
palästinensischen Flüchtlinge aber immer noch in den
Lagern gehalten werden, um als Druckmittel gegen Israel
benutzt zu werden.
Die nach
Israel ausgewanderten Juden aus den arabischen Staaten
waren in Israel keineswegs sofort integriert, sondern
bildeten lange Zeit die unterste und am meisten
marginalisierte Gruppe (von den dort lebenden Arabern
abgesehen) der israelischen Gesellschaft. Es sei auch in
diesem Zusammenhang auf die schon erwähnten Bücher von
Tom Segev und John Bunzl hingewiesen, in denen die
Deklassierung dieser Menschen beschrieben wird.
Die
Ausstellung beschreibt ausführlich das Schicksal der
palästinensischen Flüchtlinge in den arabischen Staaten
auf den Tafeln 10 und 11. Ihre Situation dort ist sehr
verschieden. In Jordanien haben sie die
Staatsbürgerschaft bekommen. In Syrien waren sie, ohne
die Staatsbürgerschaft zu erhalten, weitgehend
gleichberechtigt, sie sind jetzt aber in die Wirren des
Bürgerkrieges geraten und leiden große Not. Im Libanon
ist ihre Lage weiter schwierig. Die Integration
scheitert dort an dem Machtspiel zwischen den
herrschenden Gruppen: Muslimen, Christen und Drusen.
Israel hat diese Menschen nicht nur mehrmals vertrieben
– 1947/48 etwa 750 000 und 1967 auch nochmal 300 000
Palästinenser – , sondern hat im Libanon auch immer
wieder die Flüchtlingslager militärisch angegriffen und
dabei unzählige unschuldige Menschen getötet. Der
schlimmste Angriff erfolgte 1982 auf das Lager Sabra und
Schatila, der – ausgeführt von maronitischen Milizen
unter Aufsicht der israelischen Armee – zwischen 2000
und 5000 Menschen das Leben gekostet hat. Genaue Zahlen
weiß man nicht, da die Leichen sofort beiseite geschafft
wurden.
Die
Ausstellung vertritt die Forderung nach dem
Rückkehrrecht der Nachkommen der Flüchtlinge. Die
Umsetzung dieser Forderung würde den jüdischen Staat
radikal in Frage stellen, deswegen wird sie auch
erhoben. Auf dieser Grundlage ist keine Verständigung
möglich, im Gegenteil.
Diese
Behauptung macht die Palästinenser in zynischer Weise
für ihr Schicksal selbst verantwortlich. Israel hat
dieses Problem verursacht, es trägt deshalb auch die
Hauptverantwortung für seine Lösung. Das Völkerrecht
sagt Flüchtlingen grundsätzlich das Rückkehrrecht zu.
Mehrere UNO-Resolutionen haben Israel aufgefordert, das
Rückkehrrecht umzusetzen, aber ohne Erfolg. Es ist zudem
inhuman und ungerecht, jedem Juden, egal woher er kommt,
sofort die israelische Staatsbürgerschaft zu verleihen,
den palästinensischen Flüchtlingen aber die Rückkehr in
ihre Heimat zu verweigern.
Die
Palästinenser sind auch in diesem Fall kompromissbereit.
Im Jahr 2003 hat die Arabische Liga, in der alle
arabischen Staaten (plus die Palästinenser)
zusammengefasst sind, einen Friedensplan vorgelegt. Das
Angebot gilt heute noch und ist in den letzten Jahren
wiederholt vorgebracht worden. Darin boten die Araber
Israel für die Realisierung der Zwei-Staaten-Lösung (ein
palästinensischer Staat im Westjordanland und im
Gazastreifen – das sind nur noch 22 Prozent des
ursprünglichen Palästina!) die Anerkennung Israels an.
Die Flüchtlingsfrage sollte in Verhandlungen gelöst
werden, wobei keineswegs die Rückkehr aller Flüchtlings
verlangt wurde, sondern einige sollten zurückkehren
können, andere in den palästinensischen Staat ziehen,
für den Rest sollten Entschädigungen vereinbart werden.
Israel hat diesen Friedensplan vollständig ignoriert.
Der
israelische Historiker Simcha Flapan schreibt über die
die Flüchtlingsfrage Folgendes: „Die palästinensischen
Flüchtlinge wurden zum Symbol für die Enteignung,
Vertreibung, und die trostlose Lage des
palästinensischen Volkes. Das Flüchtlingsproblem hat die
Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten
bis heute vergiftet. Hätte Israel das Recht der
Geflohenen auf Rückkehr anerkannt, wäre dies für die
arabischen Staaten das einzige Rezept gewesen, das ihnen
gestattet hätte, [1948] ohne Gesichtsverlust ihre
demütigende militärische Niederlage einzugestehen, auf
jede weitere militärische Option gegen Israel zu
verzichten und sich mit der Realität eines jüdischen
Staates inmitten der arabischen Welt abzufinden. Weit
davon entfernt, Israel zu stabilisieren, wie die
zionistischen Führer so sehr gehofft hatten, sorgte die
Existenz einer Nation von Flüchtlingen für eine ständige
Eskalation der Spannungen im Nahen Osten. (...) Es
mussten viele Jahre vergehen, bevor deutlich wurde, dass
das Problem der palästinensischen Flüchtlinge nicht bloß
ein ‚humanitäres‘, sondern ein nationales Problem war,
dessen Lösung der einzige Schlüssel zu einer dauerhaften
Beilegung des israelisch-arabischen Konflikts ist.“ Mit
anderen Worten: Die Verantwortung für die Lösung des
Konflikts mit den Palästinensern liegt bei Israel, es
kann sich dieser Verantwortung nicht entziehen.
Das ist
auch die Schlussfolgerung, die die Ausstellung auf ihren
Tafeln vermittelt.
Die
Deutsch-Israelische Gesellschaft bedauert, dass eine
solche Ausstellung in der Stadtbibliothek gezeigt wird.
Sie wird in Bremen mit Begleitprogramm von der Gruppe
organisiert, die 2011 vor Supermärkten zum Boykott
israelischer Waren aufgerufen hat. SPD, CDU, Grüne und
FDP haben damals diesen Boykottaufruf gemeinsam scharf
verteilt: Die Initiatoren haben sich heute nicht davon
distanziert. Das allein hätte Grund genug sein sollen,
sich an diesem Programm nicht zu beteiligen.
In der
Tat waren einige der Mitglieder von Nahost-Gruppen, die
jetzt die Ausstellung veranstalten, an der
Boykott-Aktion vor einem Bremer Supermarkt (es waren
nicht mehrere) beteiligt und haben dort gefordert, dass
keine Waren und Produkte aus den völkerrechtswidrig
besetzten palästinensischen Gebieten in die EU geliefert
werden sollen. Der Versuch, die Teilnehmer dieser Aktion
diffamierend, wenn nicht denunzierend ins Zwielicht des
Antisemitismus zu rücken, misslingt aber völlig. Der
Schuss geht sozusagen nach hinten los. Die Teilnehmer
der Boykottaktion befürworteten und befürworten auch
heute noch solche zeitlich begrenzten Aktionen gegen
Israel, um auf diesen Staat politischen Druck auszuüben,
endlich die völkerrechtswidrige Besatzung mit all ihren
furchtbaren Begleiterscheinungen für die davon
Betroffenen zu beenden und einer Lösung des Konflikts
mit den Palästinensern zuzustimmen. Mit der Nazi-Parole
„Kauft nicht bei Juden!“ hat ein solches Eintreten für
das Einhalten des Völkerrechts und der Menschenrechte
gar nichts zu tun. Das ist reine Denunziation.
Die
Boykott-Aktionen (BDS: Boykott, De-Investment,
Sanktionen), an der auch die Bremer Aktivisten
teilgenommen haben, hat inzwischen weltweite Ausmaße
angenommen. Auch jüdische und israelische Organisationen
und Persönlichkeiten befürworten sie, aber auch Kirchen
(z.B. Pax Christi), Gewerkschaften und akademische
Vereinigungen. Der südafrikanische Bischof und
Friedensnobelpreisträger Bischof Desmond Tutu ruft immer
wieder zu solchen Boykott-Aktionen gegen Israel auf,
weil sie sich bei der Bekämpfung der Apartheit in
Südafrika als so erfolgreich erwiesen haben. Große
Konzerne – so der der niederländische Rentenfonds PGGM,
die Bill und Melinda Gates Foundation sowie die
presbyterianische Kirche der USA – haben inzwischen
Millionenbeträge von israelischen Banken und
Beteiligungen an Firmen, die Israel unterstützen,
abgezogen. Große westliche Firmen lehnen Angebote ab,
Projekte in den besetzten Gebieten durchzuführen. In
einem Offenen Brief haben 2011 europäische ehemalige
hochrangige Politiker – darunter Helmut Schmidt und
Richard von Weizsäcker – den Stopp von israelischen
Einfuhren aus den besetzten Gebieten in die EU und
Sanktionen gegen diesen Staat wegen des
völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus dort gefordert. Die
Bremer Aktivisten waren also bei ihrer Aktion in bester
Gesellschaft.
Bilanz:
Die DIG und die ihr nahestehenden Organisationen weigern
sich schlicht, die politische und historische Realität
Israels zur Kenntnis zu nehmen, was schon an
Realitätsverweigerung grenzt. Und das Paradoxe daran
ist, dass vor allem israelische Historiker diese Fakten
und neue Sicht auf die eigene Geschichte erarbeitet
haben. Diese Israel-Verteidiger halten an längst
widerlegten Legenden und Mythen fest. Als getreue
Gefolgsleute Israels und seiner zionistischen
Staats-Ideologie tun sie alles, um Israel als
politisches und historisches „Unschuldslamm“ (Moshe
Zuckermann) darzustellen. Es darf kein dunkler Fleck auf
die Geschichte Israels fallen. Um das zu erreichen, muss
man aber weglassen, vertuschen und manipulieren. Um ihre
Ziele zu erreichen, ist ihnen jedes Mittel recht – auch
Diffamierung und Denunziation des politischen Gegners.
Sie tun alles, um jede andere Sicht der Dinge gar nicht
erst in die Öffentlichkeit kommen zu lassen. Das
kritische und zum Frieden bereite IsraeI, das es ja auch
gibt, blenden sie völlig aus. Aber so entfernt man sich
immer weiter von der Realität und dem Staat Israel und
seiner Zukunft tut man damit keinen Gefallen. Außerdem
muss man nach der Einstellung dieser Leute zu den
Menschenrechten und dem Völkerrecht fragen, damit haben
sie offenbar genau so wenig im Sinn wie ihre politischen
Vorbilder in der israelischen Regierung.
20.02.2015