Wenn einer die Wahrheit sagt, gibt es
Tumulte in der Knesset
Arn Strohmeyer
Was
hat der EU-Parlamentspräsident eigentlich in der Knesset
gesagt, was nicht der Realität entspricht? Nichts.
Selbst die Nachrichtenagenturen berichteten
übereinstimmend, Schulz habe eine „israelfreundliche“
Rede gehalten. In der Tat: Er hatte nur ein paar Fakten
aufgezählt, die lange bekannt sind: Dass Israel den
Palästinensern durch Mauern, Zäune und Checkpoints jede
Bewegungsfreiheit nimmt; dass es den Menschen im
Gaza-Streifen durch Israels Blockade besonders schlecht
geht; dass Israel das Monopol auf Wasser hat, selbst
verschwenderisch damit umgeht, den Palästinensern aber
nur einen geringen Teil davon überlässt, den sie –
obwohl die Wasserressourcen in ihrem eigenen Land liegen
– auch noch überteuert bezahlen müssen und dass Israels
illegal und völkerrechtswidrig gebaute Siedlungen das
größte Hindernis für den Frieden sind. Bei diesem Thema
drückte Schulz sich sogar noch sehr moderat aus: die
Siedlungen seien zwar illegal, aber eine Realität und
dafür müsse man eben eine Lösung finden.
Genau das
war und ist die Intention Israels beim Bau dieser Dörfer
und Städte: Fakten schaffen auf einem Boden, der diesem
Staat nicht gehört, die Siedlungen dann für unumgänglich
und irreversibel erklären. Die eigenen Grenzen werden
dabei immer weiter ausgedehnt, was immer neue
Sicherheitsprobleme schafft, die nur durch neuen
Landraub gelöst werden können usw. usw. Wer das
kritisiert, ist eben ein Antisemit oder Schlimmeres.
Die
Reaktion der rechten Parlamentarier, die zumeist der
Regierung angehören, war bezeichnend: nicht in einem
Punkt gab es eine sachliche Erwiderung oder Widerlegung
der Argumente von Schulz, sondern nur wüste, ausladende
Beschuldigungen, antideutsche Ressentiments. und in
diesem Zusammenhang völlig unpassende Berufungen auf den
Holocaust, der wieder einmal dafür herhalten musste,
Israels verhängnisvolle Politik zu rechtfertigen. Wenn
dieser Staat – wie so oft beschworen – die „einzige
Demokratie im Nahen“ ist (wogegen sich gute Argumente
anführen lassen), warum ist dann eine sachliche
Diskussion, wie unter Demokraten üblich, nicht möglich?
Mit seiner Forderung, gegenseitige Kritik müsse in
Demokratien doch eigentlich normal sein, stand der arme
EU-Präsident da wie der einsame Rufer in der Wüste.
Was kann
man aus diesem Eklat gegen Schulz folgern? Viele der
maßgeblichen Politiker in Israel haben offenbar jeden
Bezug zur Realität verloren, sie leben in einer
ideologischen Wagenburg, in der sie sie sich selbst –
abgeschottet von der Außenwelt – ihre Gesetze des
Handelns geben. Sie agieren nach dem Motto: Alle sind
gegen uns – wir gegen den Rest der Welt! Die Isolation
ist total. Humanität, Menschenrechte, Völkerrecht und
UNO-Resolutionen – alles Teufelswerk von Antisemiten.
Man darf daran erinnern, dass gegenwärtig sogenannte
„Friedensverhandlungen“ unter amerikanischer Leitung
stattfinden. Die Ausfälle der israelischen Politiker
gegen Schulz beweisen – besonders die hasserfüllten
Tiraden, wenn der EU-Parlamentspräsident auf die Nöte
der Palästinenser zu sprechen kam – dieser Staat ist
nicht friedensbereit und nicht friedensfähig. Sie wollen
den Frieden ganz einfach nicht, sie können mit dem
Status quo sehr gut leben. Die Bemühungen von
US-Außenminister John Kerry sind vergeudete Zeit. Die
Situation der Palästinenser ist eine ganz andere: Ihnen
steht das Wasser bis zum Hals, ein gerechte Frieden wäre
ihre einzige Chance. Aber den werden sie mit dieser
israelischen Regierung nicht bekommen und eine andere
ist nicht in Sicht.
Und die
EU? Sie hat sich bisher in ihrer Nahost-Politik als
zahnloser Tiger erwiesen. Und wenn Schulz in Jerusalem
sagte, dass er nichts von einer Kennzeichnungspflicht
für Produkte aus den besetzten Gebieten hält, lässt das
ahnen , dass von diesem Europa in dieser Hinsicht nichts
zu erwarten ist. Dabei wären massiver Druck bis hin zur
Androhung von Boykotten und Sanktionen die einzigen
Mittel, die Israel zum Stopp seiner auch für das eigene
Überleben so gefährlichen Politik bewegen könnten. Aber
die EU wird trotz Schulz‘ mutigem Auftritt in Jerusalem
der zahnlose Tiger bleiben, was die Israelis zur
endlosen Fortsetzung ihres völkerrechtswidrigen
Vorgehens ermuntert. Die Perspektiven für den Nahen
Osten sind ziemlich hoffnungslos.