Die kopernikanische Wende
Nach der Zionismus-Definition von Justizministerin
Ayelet Shakel kann niemand mehr behaupten, dass
Israel eine liberale Demokratie und ein Rechtsstaat
ist
Arn Strohmeyer
Israels Justizministerin Ayelet Shaked hat die Katze
im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Sack gelassen.
Auf einer Konferenz in Tel Aviv bekannte sie jetzt
wörtlich: „Der Zionismus darf sich nicht, und ich
sage hier, er wird sich nicht weiterhin dem System
der individuellen Rechte unterwerfen, das in einer
universellen Weise interpretiert wird, die sie von
der Geschichte der Knesset und der Geschichte der
Gesetzgebung trennt, die wir alle kennen.“ Die
Regierung Netanjahu forciert also das Projekt, dass
Israel ein ausschließlich „jüdischer Staat“ ist und
nur die Juden das Recht auf Selbstbestimmung
wahrnehmen können, was alle anderen Minderheiten im
Land (also die 20 Prozent Palästinenser, die
israelische Staatsbürger sind) ausschließt.
Ayelet Shaked war schon früher durch ein zynisches
und zur Gewalt aufforderndes Zitat des israelischen
Journalisten Eliad Elitzur aufgefallen, das sie sich
auf ihrer Internetseite zu eigen gemacht hatte: dass
man die Mütter der [palästinensischen] Märtyrer
töten und ihren Söhnen nachfolgen lassen solle, weil
sie sonst weitere kleine Schlangen großziehen
würden. Dies ist das Bekenntnis zu einer wahrhaft
mörderischen Moral.
Der
israelische Journalist Gideon Levy von der
Tageszeitung „Haaretz“ nannte sie nach ihrem
neuesten Bekenntnis „Israels Wahrheitsministerin“,
weil sie laut und klar ausgesprochen hat, was seit
langem bekannt ist, aber so direkt und deutlich noch
kaum ein Israeli formuliert hat. Jetzt weiß man: Für
das israelische Polit-Establishment ist die Debatte
über Menschen- und zivile Rechte nicht nur
antizionistisch, sondern auch antisemitisch!
Ganz neu ist dieses Argument aber nicht. Die
israelische Soziologin Eva Illouz schreibt in ihrem
Buch „Israel“: die Auffassung sei in ihrem Land weit
verbreitet, „dass ein universalistischer
Staatsbürgerstatus den jüdischen Charakter des
Landes bedrohe, der die Ausgrenzung und
Diskriminierung der Araber impliziert.“ Und der
Professor für zionistische Studien an der
Universität Jerusalem Josef Gorny hat schon früher
bekannt: „Der Zionismus muss gegen den Strom agieren
und gegen den Willen der Mehrheit bzw. gegen den
Gang der Geschichte seine Ziele erreichen. Er
unterliegt daher anderen Maßstäben als der formalen
Moralität.“
Mit
anderen Worten: Die Gesetze der Moral, die sich im
Lauf der zivilisatorischen Entwicklung
herausgebildet haben und ein so großer Fortschritt
sind (dazu gehören auch das Völkerrecht und die
Menschenrechte) gelten für den Zionismus nicht! An
solchen Äußerungen lässt sich gut ablesen, dass
Zionismus und Judentum nicht identisch sind, denn
das letztere hat einen großen Beitrag zum
universalen Recht und damit zum Humanismus
geleistet.
Bundeskanzlerin Angela Merkel müsste eigentlich
angesichts des Bekenntnisses von Ayelet Shaked die
Schamesröte ins Gesicht steigen, denn sie bekannte
2008 in ihrer Rede in der Knesset insgesamt achtmal,
dass Deutschland und Israel dieselben Werte teilten.
Eben das mache ihre enge Partnerschaft aus. Aber die
deutsche Politik wird aus den Äußerungen von Ayelet
Shaked keine Konsequenzen ziehen, obwohl sie genau
weiß, wie brutal der israelische
Siedlerkolonialismus die Palästinenser unterdrückt.
Aber man macht beide Augen zu und schweigt.
Anders allerdings ist jetzt die Situation für alle,
die die israelische Politik kritisieren und sich für
Gleichheit und Gerechtigkeit für die Palästinenser
einsetzen – an den Maßstäben von Menschenrechten und
Völkerrecht gemessen versteht sich. Für sie war das
Bekenntnis von Ayelet Shaked sozusagen die
kopernikanische Wende. Man kann jetzt der
Verteidigern Israels ganz anders gegenübertreten.
Bisher war man oft in einer eher defensiven
Position, weil die Israel-Verteidiger alle Untaten
dieses Staates bestritten und sofort mit dem
Antisemitismus-Hammer zuschlugen. Jetzt kann man
ihnen aber schwarz auf weiß belegen, dass das
zionistische Israel Menschrechte und Völkerrecht
zutiefst verachtet und obendrein noch stolz darauf
ist, damit nichts zu tun zu haben. Die Verteidiger
Israels stellen sich damit eindeutig außerhalb des
internationalen Rechts, und ihr
Antisemitismus-Vorwurf stützt sich auf eben diese
Verachtung der Menschenrechte. Man muss Ayelet
Shaked für diese Klarstellung wirklich sehr dankbar
sein.
Aber es gibt in Israel außerhalb des politischen
Establishments und der weitgehend radikal
zionistisch denkenden Bevölkerung noch sehr human
gesinnte Menschen wie die oben zitierte Soziologin
Eva Illouz, deren ganze Hoffnung für die Zukunft
darauf gerichtet ist, „dass Israel und das Judentum
das Erbe aufgeklärter Juden fortführt, indem sie den
Universalismus zu Israels moralischen Horizont
machen.“ Aber das wäre dann ein ganz anderer Staat,
der mit dem heutigen nicht mehr viel gemeinsam
hätte. 12.09.2017 |