Zum
Holocaustgedenktag:
Israel
hat
die
Erinnerung
zu
einer
ethnisch-nationalistischen
Ideologie
gemacht
Die
Palästinenser
als
sekundäre
Opfer
des
Holocaust
werden
vollständig
ausgespart
Arn
Strohmeyer
Vor
genau
einem
Jahr
hat
Bundespräsident
Frank-Walter
Steinmeier
anlässlich
des
75.
Jahrestages
der
Befreiung
des
NS-Vernichtungslagers
Auschwitz
in
der
Gedenkstätte
Yad
Vashem
in
Jerusalem
eine
Rede
gehalten.
Zu
der
Veranstaltung
waren
Regierungschefs
aus
der
ganzen
Welt
gekommen.
Steinmeier
sagte
das
Übliche,
das
deutsche
Politiker
bei
solchen
Gelegenheiten
in
Israel
zu
sagen
pflegen.
Er führte aus, dass es Deutsche waren, die den Holocaust – das
„größte
Verbrechen
der
Menschheitsgeschichte“
–
begangen
hätten,
bei
dem
sechs
Millionen
Juden
und
Jüdinnen
dem
„industriellen
Massenmord“
zum
Opfer
gefallen
seien.
Er
sprach
dann
von
der
„deutschen
Schuld“,
und
wie
dankbar
er
für
die
ausgestreckte
Hand
Israels
zur
Versöhnung
mit
Deutschland
sei.
Der
Geist
der
Versöhnung
habe
Deutschland
und
Israel,
aber
auch
Deutschland,
Europa
und
den
Staaten
der
Welt
einen
neuen
friedlichen
Weg
gewiesen.
Steinmeier sagte dann wörtlich: „Weil ich dankbar bin für das
Wunder
der
Versöhnung,
stehe
ich
vor
Ihnen
und
wünschte
sagen
zu
können:
Unser
Erinnern
hat
uns
gegen
das
Böse
immun
gemacht.
Ja,
wir
Deutsche
erinnern
uns.
Aber
manchmal
scheint
es
mir,
als
verstünden
wir
die
Vergangenheit
besser
als
die
Gegenwart.
Die
bösen
Geister
zeigen
sich
heute
in
neuem
Gewand.
Mehr
noch:
Sie
präsentieren
ihr
antisemitisches,
ihr
völkisches,
ihr
autoritäres
Denken
als
Antwort
für
die
Zukunft,
als
neue
Lösung
für
die
Probleme
unserer
Zeit.
Ich
wünschte
sagen
zu
können:
Wir
Deutsche
haben
für
immer
aus
der
Geschichte
gelernt.“
Als
Beispiel
für
Nicht-Lernen
aus
der
Geschichte
bezeichnete
er
dann
auch
Kritik
an
Israel,
„wenn
unter
dem
Deckmantel
angeblicher
Kritik
an
der
israelischen
Politik
kruder
Antisemitismus
hervorbricht.“
Er sagte dann wörtlich bezogen auf Antisemiten und rechtsradikale
Täter:
„Natürlich.
Unsere
Zeit
ist
nicht
dieselbe
Zeit.
Es
sind
nicht
dieselben
Worte.
Es
sind
nicht
dieselben
Täter.
Aber
es
ist
dasselbe
Böse.
Und
es
bleibt
die
eine
Antwort:
Nie
wieder!
Deshalb
darf
es
keinen
Schlussstrich
unter
das
Erinnern
geben.
Diese
Verantwortung
ist
der
Bundesrepublik
Deutschland
vom
ersten
Tage
an
eingeschrieben.
Aber
sie
prüft
uns
–
hier
und
heute!
Dieses
Deutschland
wird
sich
selbst
nur
dann
gerecht,
wenn
es
seiner
historischen
Verantwortung
gerecht
wird:
Wir
bekämpfen
den
Antisemitismus!
Wir
trotzen
dem
Gift
des
Nationalismus!
Wir
schützen
jüdisches
Leben!
Wir
stehen
an
der
Seite
Israels!
Dieses
Versprechen
erneuere
ich
hier
in
Yad
Vashem
vor
den
Augen
der
Welt.
Und
ich
weiß,
ich
bin
nicht
allein.
Hier
in
Yad
Vashem
sagen
wir
heute
gemeinsam:
Nein
zu
Judenhass!
Nein
zu
Menschenhass!“
Der israelische Journalist Gideon Levy von der Tageszeitung
Haaretz
hatte
zu
der
Veranstaltung
am
Holocaust-Gedenktag
einen
Voraus-Artikel
geschrieben.
Er
fand
die
richtigen
Worte.
Levy
betonte,
wie
wichtig
es
sei,
an
die
Vergangenheit
zu
erinnern,
dabei
dürfe
man
aber
die
Augen
nicht
vor
der
Gegenwart
verschließen.
Genau
das
warf
er
aber
den
in
Yad
Vashem
versammelten
Regierungschefs
vor,
also
auch
Steinmeier.
Mit
ihrem
Schweigen,
mit
ihrer
Missachtung
der
gegenwärtigen
Realität
und
dem
bedingungslosen
Bekenntnis
zu
Israel
würden
sie
die
Erinnerung
an
die
Vergangenheit
verraten,
in
deren
Namen
sie
nach
Jerusalem
gekommen
seien.
Wie
könnten
sie
Gäste
Israels
sein,
ohne
die
Verbrechen
dieses
Staates
zu
erwähnen;
des
Holocaust
zu
gedenken
und
gleichzeitig
seine
Lehren
zu
ignorieren;
Jerusalem
zu
besuchen,
ohne
am
Internationalen-Holocaust-Gedenktag
in
das
Ghetto
von
Gaza
zu
reisen
–
könne
man
sich
eine
größere
Heuchelei
vorstellen?
Es
sei
bedauerlich,
dass
die
Regierungschefs
es
überhaupt
nicht
zur
Kenntnis
nähmen,
was
die
Opfer
des
Holocaust
einer
anderen
Nation
zufügten.
Levy kritisierte dann, dass der israelische Regierungschef
Benjamin
Netanjahu
ausgerechnet
zum
Zeitpunkt
des
Holocaust-Gedenktages
Sanktionen
gegen
den
Internationalen
Strafgerichtshof
(IGH)
in
Den
Haag
gefordert
habe,
weil
dieser
die
Verbrechen
Israels
gegen
die
Palästinenser
untersuchen
wolle.
Es
muss
in
diesem
Zusammenhang
erwähnt
werden,
dass
der
IGH
der
Nachfolger
der
Gerichte
ist,
die
zur
Aburteilung
der
Verbrechen
des
Zweiten
Weltkrieges
–
einschließlich
des
Holocaust
–
eingerichtet
wurden.
Levy fuhr dann fort: „An diesem Gedenktag kommen führende Politiker
der
Welt
zu
einem
Premierminister,
der
versucht,
sie
gegen
den
Gerichtshof
in
Den
Haag
aufzuhetzen.
Es
ist
kaum
vorstellbar,
dass
der
Holocaust
noch
schlimmer
genutzt
wird,
es
ist
kaum
vorstellbar,
dass
ein
größerer
Verrat
an
seinem
Andenken
begangen
wird
als
der
Versuch,
das
Gericht
in
Den
Haag
zu
untergraben,
nur
weil
es
seine
Rolle
erfüllen
und
Jerusalems
Politik
untersuchen
will.
Aber
auch
zu
diesem
Thema
werden
die
Gäste
ihr
Schweigen
bewahren.
Einige
von
ihnen
werden
sich
vielleicht
davon
überzeugen
lassen,
dass
das
Problem
in
Den
Haag
und
nicht
in
Jerusalem
liegt.
Sanktionen
gegen
den
Gerichtshof
statt
gegen
den
Besatzungsstaat.
Man
darf
natürlich
nie
den
Holocaust
vergessen.
Man
darf
auch
nicht
die
Tatsache
verschleiern,
dass
er
sich
gegen
das
jüdische
Volk
gerichtet
hat.
Aber
genau
aus
diesem
Grund
darf
man
das
Verhalten
seiner
Opfer
gegenüber
den
sekundären
Opfern
des
Holocaust
der
Juden,
dem
palästinensischen
Volk,
nicht
ignorieren.
Ohne
den
Holocaust
hätten
sie
[die
Palästinenser]
ihr
Land
nicht
verloren
und
wären
heute
nicht
in
einem
gigantischen
Konzentrationslager
in
Gaza
gefangen
oder
würden
unter
einer
brutalen
militärischen
Besatzung
im
Westjordanland
leben.“
Levy ging dann auf den im Zusammenhang mit dem Holocaust immer
wieder
„bis
zum
Erbrechen“
zitierten
Appell
des
„Nie
wieder!“
ein
und
forderte
die
in
Yad
Vashem
versammelten
politische
Prominenz
auf,
ehrlich
die
Augen
nach
Süden
und
Osten
zu
richten,
nur
wenige
Kilometer
von
Yad
Vashem
entfernt:
„Dort
gibt
es
keinen
Holocaust,
nur
Apartheid.
Keine
Vernichtung,
sondern
eine
systematische
Verrohung
einer
Nation.
Nicht
Auschwitz,
sondern
Gaza.
Wie
kann
man
das
am
Internationalen
Holocaust-Gedenktag
ignorieren?
Es
ist
schwer
zu
glauben,
dass
es
nicht
einmal
einem
Weltführer
in
den
Sinn
gekommen
ist,
der
wegen
der
Zeremonie
nach
Jerusalem
kam,
nach
Gaza
zu
reisen.
Wenn
einer
von
ihnen
den
Mut
dazu
hätte,
würde
er
oder
sie
das
Gedenken
an
den
Holocaust
nicht
weniger
ehren
als
mit
einem
Besuch
in
Yad
Vashem.
Es
gibt
nicht
viele
Orte
auf
der
Welt,
an
denen
die
Worte
‚nie
wieder!‘
so
nachhallen
sollten
wie
in
den
Grenzen
dieses
riesigen
Ghettos,
das
durch
den
Staat
der
Holocaust-Überlebenden
entstanden
ist.
Nicht
nach
Gaza
zu
gehen
und
zu
sehen,
was
dort
geschieht?
Sich
nicht
mit
dem
Schicksal
von
zwei
Millionen
Menschen
zu
identifizieren,
die
seit
14
Jahren
in
einem
Konzentrationslager,
eine
Stunde
von
Jerusalem
entfernt,
eingesperrt
sind?
Wie
ist
das
möglich?
Nicht
in
Gaza
‚nie
wieder!‘
zu
weinen?
Wie
kann
man
das
nicht?“
Levy schloss dann: „Man musste heute nach Israel kommen, um
die
Welt
an
den
Holocaust
zu
erinnern,
aber
auch
an
das
Schweigen.
Gegen
dieses
Schweigen
sollte
man
aufschreien:
‚Nie
wieder!‘
Der
Holocaust
darf
sich
nie
wiederholen,
aber
das
peinliche
Schweigen
dauert
an,
auch
an
diesem
Gedenktag
in
Jerusalem.“
An
diesen
Aussagen
von
Steinmeier
und
Levy
lässt
sich
das
ganze
Dilemma
der
deutschen
Erinnerungspolitik
ablesen.
Denn
sie
ist
völlig
einseitig
auf
Israel
ausgerichtet,
auf
das
partikulare
nationalistische
Gedenkinteresse
dieses
Staates.
Wenn
der
Holocaust
–
ein
Verbrechen
gewaltigen
Ausmaßes
–
ein
Menschheitsverbrechen,
ein
„Zivilisationsbruch“
war,
dann
muss
es
die
gesamte
Menschheit
angehen
und
nicht
nur
Israel.
Das
heißt,
das
Gedenken
muss
universalistischen
Charakter
haben.
Statt
des
israelischen
Credos
„Das
darf
uns
Juden
nicht
mehr
passieren!“
muss
es
heißen
„Das
darf
keinem
Menschen
auf
dieser
Welt
mehr
passieren!“
Diese
Schlussfolgerung
aus
dem
Holocaust
zieht
die
deutsche
Erinnerungspolitik
aber
nicht,
sondern
sie
unterwirft
sich
dem
israelischen
Anspruch,
das
Monopol
über
das
Holocaust-Gedenken
zu
haben.
Niemand hat das israelische Gedenken schärfer kritisiert als
der
Israeli
Moshe
Zuckermann.
Sein
Credo
eines
richtigen,
also
authentischen
Erinnerns
lautet:
„Man
erinnert
sich
an die
Opfer
[des
Holocaust
oder
anderer
solcher
Genozide]
nur
dann,
wenn
man
des
Wesens
der
historischen
Situation
gedenkt,
die
wehrlose
Opfer
hat
entstehen
lassen,
um
daraus
zu
folgern,
dass
es
solche
Situationen
niemals
mehr
geben
darf,
und
das
heißt:
dass
Gegengewalt
überflüssig
geworden
ist
wie
Gewalt
selbst.“
Um
diese
Aussage
kreist
Zuckermanns
Denken,
und
er
führt
sie
in
seinen
Schriften
in
immer
neuen
und
erweiterten
Begriffen
aus.
Zuckermann geht davon aus, dass die gegenwärtige Erinnerung
sich
dem
zu
Erinnernden
[den
Opfern
des
Holocaust]
stets
wesenhaft
entfremdet,
das
heißt:
für
fremdbestimmte
Zwecke
instrumentalisiert
wird
und
deshalb
nicht
als
legitim
angesehen
werden
kann.
Ein
solcher
Umgang
mit
der
Vergangenheit
ist
dann
schlicht
unzulässig.
Erinnerung
kann
nur
dann
als
legitim
bezeichnet
werden,
wenn
sie
Opfer
im
Stande
ihres
Opfer-Seins
und
die
Täter
im
Stande
ihres
Täter-Seins
erinnert.
Das
bedeutet
aber,
jene
historischen
Zusammenhänge
zu
ergründen,
welche
Menschen
letztlich
Täter
bzw.
Opfer
hat
werden
lassen.
Erinnern in diesem Sinn muss immer einen emanzipatorischen
Charakter
haben:
Es
muss
die
Strukturen
aufdecken,
die
unter
bestimmten
historischen
Bedingungen
zu
dem
Genozid
geführt
haben.
Und
diese
Strukturen,
davon
ist
Zuckermann
überzeugt,
sind
noch
keineswegs
aus
der
Welt
geräumt,
sodass
eine
Wiederholung
des
staatlich
angeordneten
Massenmordes
jederzeit
möglich
ist.
Bei
dem
adäquaten
Erinnerungsakt
kann
es
sich
also
um
nichts
anderes
handeln
als
um
eine
jene
Strukturen
radikal
bekämpfende,
sie
aus
der
Welt
zu
räumen
bestrebte
politische,
soziale
und
kulturelle
Praxis.
Den Gipfel des „perfiden Shoa-Gedenkens“ sieht Zuckermann gegeben,
wenn
die
israelische
Politik
sogar
die
barbarische
Unterdrückung
der
Palästinenser
und
die
fortwährenden
Menschenrechtsverletzungen
gegenüber
diesem
Volk
mit
dem
Holocaust
legitimiert:
„Sich
selbst
als
Opfer
wähnen,
während
man
sich
historisch
zum
Täter
gewandelt
hat,
ist
letztlich
nichts
weiter
als
moralischer
Verrat
an
den
historischen
Opfern
des
eigenen
Kollektivs,
deren
(beziehungsweise
deren
‚Andenken‘)
man
sich
perverserweise
bedient,
um
die
eigene
gewaltdurchwirkte,
immer
neue
Opfer
erzeugende
Politik
zu
rechtfertigen.“
An anderer Stelle sagt Zuckermann es in Bezug auf die Palästinenser
noch
deutlicher:
„Das
jüdische
Kollektiv
im
Staat
Israel
ist
es,
welches
der
Konfrontation
mit
der
entsetzlichen
Wahrheit
nicht
entkommen
kann,
dass
jede
‚Abnormität‘
im
Gazastreifen,
jedes
Opfer
eines
‚Schusses
in
die
Luft‘
in
der
Westbank,
jeder
Akt
brutaler
Repression,
der
sich
direkt
oder
indirekt
aus
dem
Tatbestand
der
israelischen
Okkupation
ableitet,
es –
das
jüdische
Kollektiv
in
Israel
–
von
der
sittlich-humanen,
ihm
von
den
Holocaust-Opfern
als
verpflichtendes
Erbe
auferlegten
Identität
entfernt,
um
es
in
zunehmende
Maße
an
eine
der
Mörder-Identität
verschwisterte
Mentalität
zu
ketten.“
Ein authentisches, also zweckfreies Erinnern in diesem Sinne
praktizieren
also
weder
Deutschland
noch
Israel.
Die
Gefahr
ist
deshalb
groß,
dass
das
Erinnern
nicht
nur
in
inhaltsleere
Routine
und
hohle
Lippenbekenntnisse
umschlägt,
sondern
dass
es
auch
zur
Ideologie
werden
kann
und
damit
zweckbestimmt
wird.
Beide
Staaten
sind
dieser
Gefahr
in
ihrer
Erinnerungspraxis
erlegen.
Zuckermann
wirft
Israel
vor,
dass
dieser
Staat
vom
Anfang
seines
Bestehens
an
den
Holocaust
für
seine
Zwecke
und
Ziele
instrumentalisiert
hat.
Denn
man
gedenke
dort
gar
nicht
mehr
der
historischen
Opfer
im
Stande
ihres
Opferseins,
sondern
der
Staat
maße
sich
selbst
den
Status
als
„Opfer“
an,
um
daraus
in
jeder
Weise
politisches,
wirtschaftliches
und
diplomatisches
Kapital
zu
schlagen.
Durch
diese
Praxis
werde
der
Begriff
des
Opfer-Täter-Verhältnisses
aufs
Schändlichste
entleert
und
nachgerade
verkehrt.
Das
israelische
Erinnern
ist
also
sehr
kritikwürdig
und
sollte
dem
deutschen
Erinnern
zu
denken
geben.
Denn
Israel
hat
mit
seinem
Gedenken
in
eher
neurotischer
Art
und
Weise
eine
Entschuldungsideologie
für
sein
gewalttätiges
Vorgehen
gegen
die
Palästinenser
und
für
seine
Politik
des
„Uns
ist
alles
erlaubt!“
entwickelt.
Diese
Ideologie
verdrängt
die
Realität
in
Palästina
–
eben
den
siedlerkolonialistischen
Konflikt
mit
den
Palästinensern,
indem
sie
den
Holocaust
auf
die
Palästinenser
projiziert,
die
damit
gar
nichts
zu
tun
hatten,
und
sie
zu
den
„neuen
Nazis“
macht.
Der
deutsch-jüdische
Historiker
Dan
Diner
hat
diesen
Verdrängungsprozess
untersucht
und
beschreibt
ihn
so:
„Das
Grundmuster
in
der
Konfliktwahrnehmung
der
überwiegenden
Mehrheit
der
israelischen
Juden
ist
im
Wesentlichen
Verleugnung
des
Geschehens
–
der
Mittel
und
Maßnahmen
des
Kolonisationsprozesses,
wie
er
gegen
die
arabisch-palästinensische
Bevölkerung
des
Landes
zur
Herbeiführung
eines
jüdisch-nationalen
Staatswesens
durchgesetzt
wurde;
schließlich
Verleugnung
einer
palästinensischen
Existenz
überhaupt.
Ersetzt
wird
diese
verleugnete
Wirklichkeit
in
Palästina
durch
Deutungen,
die
mit
den
schrecklichen
und
wirklichen
Erfahrungen
der
Juden,
ihrer
Verfolgung
bis
hin
zum
Versuch
ihrer
totalen
Vernichtung
in
der
Diaspora
in
Verbindung
stehen.
Sie
wirken
sich
hinsichtlich
der
Wahrnehmung
der
Realität
wie
eine
Plombe
aus:
sie
dichten
ab.“
Die
jüdisch-zionistische
Seite
leugnet
also
die
kolonialen
Ursprünge
und
Verlaufsformen
der
von
ihr
begangenen
Gewalt
in
Palästina
und
deutet
den
Konflikt
als
Fortsetzung
der
Geschichte
außerhalb
Palästinas.
Der
wirkliche
Konflikt
dort
wird
so
seiner
Bedeutung
enthoben.
Er
wird
instrumentalisiert,
um
seine
Sinngebung
aus
dem
Nahen
Osten
nach
Europa
zu
verlagern.
Die
israelische
Gegenwart
wird
auf
diese
Weise
nicht
aus
den
politischen
Realitäten
in
der
nahöstlichen
Region
heraus
gedeutet,
sondern
mittels
Metaphern
aus
der
entsetzlichen
Vergangenheit
in
Europa,
also
vor
allem
dem
Holocaust.
Das
Mega-Verbrechen
an
den
Juden
durch
die
Nazis
bestimmt
ganz
maßgeblich
das
Verständnis
der
Auseinandersetzung
mit
den
Palästinensern
und
hilft
dabei,
die
realen
Ursachen
des
Konflikts
und
seine
Austragungsformen
zu
verleugnen.
Es
fand
also
eine
historische
Umkehrung
statt.
Die
arabische
Bevölkerung,
die
die
Angegriffenen,
die
Verdrängten,
Vertriebenen,
Enteigneten
und
Kolonisierten
waren
und
sind,
wurden
von
der
siedlerkolonialistischen
zionistischen
Seite
in
die
Rolle
der
Angreifer
versetzt.
Die
israelischen
Juden
nahmen
sich
selbst
–
entsprechend
der
langen
Verfolgungsgeschichte
der
jüdischen
Diaspora
in
Europa
–
als
die
Opfer
wahr.
Diese
seelische
Verschiebung
oder
Verkehrung
von
Tätern
und
Opfern
macht
es
möglich,
dass
die
jüdisch-zionistische
Seite
sich
auch
von
jeder
Schuld
für
die
Verbrechen,
die
sie
an
den
Palästinensern
begangen
hat
und
begeht,
freisprechen
kann,
die
eigene
Schuld
wird
schlicht
verleugnet.
Die
Vertreibung
der
Palästinenser
wird
mit
Ereignissen
in
Verbindung
gebracht,
die
ihren
Grund
in
Europa
haben.
So
kann
Israel
auch
die
politische
Moral
in
Frage
stellen,
aus
der
heraus
Kritik
an
seiner
Politik
geübt
wird.
Hier
liegt
bei
den
israelischen
Juden
das
in
der
Psychoanalyse
so
bekannte
Phänomen
der
Wiederkehr
des
Verdrängten
vor:
Geschichts-
und
Gegenwartsverfälschung
hängen
zusammen,
weil
alles,
was
in
der
Vergangenheit
verdrängt
wurde,
in
der
Gegenwart
nicht
gesehen
und
wiederholt
wird.
Diese
Fakten
sind
ein
Beleg
dafür,
dass
die
deutsche
Politik
das
reale
Israel
gar
nicht
zur
Kenntnis
nimmt,
sondern
ein
abstraktes
Idealbild
von
diesem
Staat
hat
–
eine
Projektion,
die
aus
dem
nach
1945
aus
Schuldgefühlen
hervorgegangenem
Philosemitismus
herkommt.
Letztlich
hat
diese
verstellte
Sicht
auch
damit
zu
tun,
dass
die
deutsche
Politik
und
auch
das
deutsche
Erinnern
nicht
zwischen
Judentum,
Zionismus
und
Israel
unterscheidet.
Falsche
Schlussfolgerungen
ergeben
sich
daraus
automatisch.
Diese
falschen
Schlussfolgerungen
prägen
den
deutschen
politischen
Alltag
–
vom
devoten
Verhältnis
zu
Israel
als
Ausgangspunkt:
die
Akzeptanz
der
eher
zweifelhaften
IHRA-Antisemitismus-Definition,
der
BDS-Beschluss
des
Bundestages,
das
Ausscheiden
von
Peter
Schäfer
aus
dem
Jüdischen
Museum
in
Berlin,
der
„Fall“
Mbembe
und
die
Hexenjagt
auf
vermeintliche
Antisemiten.
Letztere
hat
ein
so
vergiftetes
politisches
Klima
geschaffen,
dass
die
amerikanisch-jüdische
Philosophin
Susan
Neiman
sagen
konnte:
Eine
Hannah
Arendt
und
ein
Albert
Einstein
dürften
in
Deutschland
aus
Angst
vor
dem
Antisemitismus-Vorwurf
nicht
mehr
in
der
Öffentlichkeit
sprechen.
Diese
äußerst
negativen
Erscheinungen
hängen
alle
mit
der
großenteils
missglückten
Aufarbeitung
der
deutschen
Vergangenheit
zusammen,
die
sich
ausschließlich
am
Vorbild
Israel
orientiert.
Die
offizielle
deutsche
Erinnerungspolitik
hat
ein
regelrechtes
Holocaust-Dogma
entwickelt,
das
die
Einzigartigkeit
dieses
Genozids
behauptet
und
zugleich
unter
Tabu
stellt.
Der
Holocaust
darf
nicht
mit
anderen
großen
Verbrechen
verglichen
werden,
obwohl
Vergleichen
nicht
Gleichsetzen
heißt.
Zum
Dogma
gehört
auch,
dass
Kritik
an
der
israelischen
Politik
antisemitisch
ist,
womit
ja
letzten
Endes
das
inhumane
Vorgehen
Israels
gegen
die
Palästinenser
gerechtfertigt
wird.
Die
Reaktionen
auf
den
„Fall“
des
afrikanischen
Philosophen
Achille
Mbembe,
dem
man
Relativierung
des
Holocaust
vorwarf,
weil
er
den
Mord
an
den
europäischen
Juden
von
einem
neokolonialen
Standpunkt
aus
und
damit
in
einem
größeren
Zusammenhang
aus
betrachtet
und
Parallelen
zwischen
der
Apartheid
in
Südafrika
und
den
Zuständen
in
Israel/Palästina
gesehen
hatte,
belegte,
wie
engstirnig
und
brüchig
dieses
deutsche
Dogma
ist.
Hier
stieß
die
partikulare
und
provinzielle
deutsche
Israel-Ideologie
mit
dem
universalistischen
Denken
eines
großen
Humanisten
zusammen.
Der
beamtete
deutsche
Wächter
über
den
Antisemitismus,
der
Antisemitismusbeauftragte
Dr.
Felix
Klein,
rechtfertigte
sich
mit
dem
Satz:
„Etwas
aus
deutscher
Sicht
Falsches
wird
nicht
dadurch
richtig,
dass
es
von
außen
kommt“.
Mit
anderen
Worten:
Klein
setzt
die
deutsche
Sicht
auf
den
Holocaust
als
absoluten
Maßstab
an,
der
die
ganze
Welt
verpflichten
soll.
Die
Publizistin
Charlotte
Wiedemann
stellte
angesichts
einer
solchen
Hybris
die
einzig
richtige
Frage:
„Warum
fällt
es
so
schwer
zu
dulden,
dass
Menschen,
die
nicht
unsere
Tätergeschichte
haben,
einen
anderen
Blick
auf
Israel
haben?“,
und
fügte
hinzu:
„Heute
steht
das
Erinnern
an
einer
Gabelung
zwischen
einem
verengten
Denken,
das
alles
auf
den
Fixpunkt
Israel
setzt,
und
einer
neuen
Weise,
die
Shoa
in
Beziehung
zu
setzen
zu
anderen
epochalen
Verlusten
an
Humanität.“
Der
Rechtsprofessor
Ralf
Michaels
verteidigte
den
afrikanischen
Philosophen
und
seine
Position.
Er
argumentiert,
Mbembe
habe
nichts
anderes
gemacht,
als
den
Holocaust
in
eine
umfassende
Verantwortung
einzuordnen.
Denn
so
leicht
entlasse
uns
die
postkoloniale
Theorie
nicht
aus
der
Verantwortung
für
unsere
Vergangenheit,
und
so
leicht
sollten
wir
es
uns
mit
ihrer
Ablehnung
auch
nicht
machen.
Wenn
unsere
deutsche
Identität
es
uns
unmöglich
mache,
den
Dialog
mit
der
postkolonialen
Theorie
zu
führen,
müssten
wir
uns
fragen,
ob
wir
die
Lehre
aus
dem
Holocaust
wirklich
gezogen
hätten.
Michaels
fügt
dann
hinzu:
„Deutsche
Diskutanten
verlangen
von
anderen,
die
‚Errungenschaft‘
einer
spezifisch
deutschen
‚Erinnerungskultur‘
nicht
nur
anzuerkennen,
sondern
zur
Grundlage
ihres
eigenen
Denkens
und
Sprechens
zu
machen.
Da
wir
Deutschen
für
den
Holocaust
verantwortlich
sind,
nehmen
wir
uns
das
moralische
Recht,
anderen
vorzuschreiben,
was
sie
dazu
zu
sagen
haben.
‚Eine
Verabsolutierung
der
eigenen
Erfahrung
führt
immer
zur
Relativierung
der
Erfahrung
der
anderen‘,
schreibt
ein
Kritiker
Mbembes
und
erkennt
offenbar
nicht,
dass
das
weniger
auf
Mbembe
und
mehr
auf
ihn
selbst
zutrifft.“
Ein
fruchtbarer
Dialog
mit
denen,
die
von
einem
anderen
Horizont
aus
argumentieren,
ist
so
nicht
möglich.
Den
Vertretern
und
Verteidigern
dieses
deutschen
partikularen
Holocaust-Narrativs
sind
vermutlich
die
Schwächen
und
die
Grenzen
ihrer
Argumentation
bewusst
und
erklären
deshalb
ihr
Holocaust-Narrativ
einfach
als
universalistisch
gültig,
um
sich
gegen
Kritik
abzusichern.
Was
es
aber
gar
nicht
sein
kann,
weil
es
durch
seine
enge
Anlehnung
an
Israel
zum
Beispiel
die
Palästinenser
als
sekundäre
Opfer
des
Holocaust
gar
nicht
mit
einbezieht.
Der
Palästinenser
Edward
Said
hat
dieses
Dilemma
schon
vor
Jahren
registriert
und
dazu
angemerkt:
„Aber
für
die
heutigen
Europäer
und
Amerikaner,
die
Israel
wegen
des
Unrechts
unterstützen,
das
den
Juden
angetan
wurde,
ziemt
es
sich
nicht
weniger,
sich
klar
zu
machen,
dass
sie
mit
dieser
Unterstützung
Israels
gleichzeitig
die
Vertreibung
und
Enteignung
des
palästinensischen
Volkes
unterstützt
haben
und
auch
immer
noch
unterstützen.“
Deutschland
trägt
mit
seiner
symbiotischen
Politik
gegenüber
Israel
und
mit
der
Akzeptanz
und
Übernahme
des
zionistischen
Geschichts-
und
Erinnerungsbildes
maßgeblich
dazu
bei,
die
inhumane
Politik
dieses
Staates
zu
unterstützen,
was
ja
letzten
Endes,
wie
Gideon
Levy
und
Moshe
Zuckermann
sagen,
ein
Verrat
an
den
Opfern
des
Holocaust
ist.
Solange
Israel
den
Holocaust
nur
für
seine
eigennützigen
Zwecke
instrumentalisiert
(daraus
eine
nationalistische
Ideologie
gemacht
hat),
und
nicht
bereit
ist,
seine
Geschichte
mit
den
Palästinensern
aufzuarbeiten,
wird
sich
wegen
der
engen
ideologischen
Abhängigkeit
Deutschlands
von
Israel
das
offizielle
deutsche
Erinnern
nicht
bewegen.
Es
wird
partikularistisch
einseitig
bleiben.
Aber
das
ist
keine
Lösung.
Wie
die
Israelin
Eva
Illouz
geschrieben
hat:
„Der
Universalismus
muss
für
die
Zukunft
der
moralische
Horizont
sein,“
das
heißt
aber
für
Deutschland,
das
enge
partikulare
Denken
zu
überwinden
und
wieder
an
das
große
Erbe
der
deutschen
Juden
anzuknüpfen,
die
für
Aufklärung
und
Universalismus
standen.