Arn
Strohmeyer
Leon de Winter
ist ein sehr bekannter und viel gelesener Autor, aber auch solche
Vertreter der schreibenden Zunft können schlichte, äußerst simple
politische Weltbilder vertreten. Dafür ist der in den Niederlanden
und Kalifornien lebende Schriftsteller, der aus einer jüdischen
Familie stammt, die dem Holocaust in einem Versteck auf einem
Bauernhof entging, ein gutes Beispiel. de Winter hat sich immer
wieder in unzähligen Artikeln und Interviews zum Nahost-Konflikt zu
Wort gemeldet. Seine Sicht der Dinge lässt sich – grob skizziert –
etwa so beschreiben: Israel ist die einzige Demokratie im Nahen
Osten, der einzige Staat zugleich in der Region, der westliche Werte
und „Moral“ vertritt. Ringsherum leben Barbaren, die einer Religion
anhängen, die nur ein Gebot kennt: Judenhass. Diesen Hass gab es von
Anfang an, seit die ersten Juden in Palästina einwanderten, und es
gibt ihn unverändert noch heute, eher sogar in gesteigerter Form.
Israel, das den
Arabern immer wieder vergeblich Friedensangebote unterbreitete,
befindet sich – so de Winter – in einem permanenten Abwehr- und
Verteidigungskrieg gegen diesen, natürlich völlig unbegründeten
Hass: „Die Bedrohung ist konstant, der Untergang lauert hinter jeder
Ecke.“ Westliche, vor allem europäische Medien schüren zudem
unaufhörlich die Legende, dass Israel die Palästinenser unterdrücke,
und ergreifen für diese Partei – weil sie glauben, auf diese Weise
ihre Schuldgefühle wegen des Völkermords an den Juden vermindern zu
können.
Dabei, meint der
Autor, ging es den Palästinensern unter der israelischen Besatzung
bis zu den beiden Intifadas ausgesprochen gut: Ökonomisch hätten sie
einen höheren Lebensstandard gehabt als die meisten Araber in deren
Staaten. Mit den Freiheitsrechten sei es ebenso gewesen: Die
Palästinenser hätten nach den Verträgen von Oslo auch unter der
fortdauernden israelischen Besatzung alle Chancen gehabt, eine
eigene Demokratie aufzubauen. Stattdessen habe der „Räuberhauptmann“
Arafat einen „Banditenstaat“ errichtet. de Winters Fazit: „Die
Besetzung des Westjordanlandes und Gazas war gar keine harte
Besatzung.“ Insofern hat das gewalttätige palästinensische Verhalten
auch gar nichts mit einem Bedürfnis nach Freiheit und
Selbstbestimmung zu tun, denn die anderen Araber sind ja noch viel
unfreier. Nein, die palästinensische Gewalt hat allein etwas „mit
der Kultur, der Religion und den arabischen Verhältnissen zu tun:
mit Scham. Scham, verursacht von einem Gefühl der Erniedrigung durch
ein, notabene, in islamischen Augen zweitrangisge Volk, die Juden.“
Die Palästinenser
führen – so de Winter weiter – auch keinen Befreiungskampf für ihre
Selbstbestimmung, sondern „einen Aufstand gegen eine demokratische
Gesellschaft, für die Israel von der Welt beneidet, aber auch
gehasst wird.“ Kein Wunder also, dass die Palästinenser unter der
israelischen Besatzung auch gar nicht leiden, weil zum Beispiel die
im Westen so oft kritisierten Soldaten an den Checkpoints nur
„gelangweilte und Todesangst empfindende israelische Lausbuben“
sind. Die Schikanen an diesen Grenzposten sind „unbedeutende
Maßnahmen, verglichen mit der Art, wie sich Araber gegenseitig oder
die arabischen Obrigkeiten ihre Untertanen behandeln“
Leon de Winter
macht auch den neuen Hauptfeind Israels aus: die Hamas. Diese
„Terrororganisation“ verfolgt nur ein Ziel: den Judenstaat zu
vernichten. Aber Israel schlug an der Jahreswende 2008/2009 zurück –
und zwar mit einem Bruchteil der Gewalt, die die Hamas gegen Israel
anwenden würde, wenn sie denn die Möglichkeit dazu hätte. Wörtlich
schreibt de Winter über den Gaza-Krieg: „Nun gab Israel den
Bewohnern von Gaza das, was diese sich angeblich mehr als alles
wünschen: eine Gelegenheit, heldenhaft Widerstand zu leisten und
Juden zu töten. Doch statt ihre tiefe Befriedigung über die Chance
zu äußern, schrieen die Palästinenser auf, sie würden mit
unverhältnismäßiger Härte behandelt und den Juden müsse das Schießen
auf Frauen und Kinder verboten werden. Dieselben Leute, die Gewalt
und Krieg forderten, zeigten nun den Medien, wie brutal sie von den
Juden angefasst wurden.“ (Anmerkung des Verfassers: Ist eine
Steigerung des Zynismus angesichts dessen, was im Gaza-Streifen
geschah, überhaupt möglich?)
Ausgleich und
Frieden im Nahen Osten? Hoffen auf die Vermittlung eines Barack
Obama? Für de Winter ist das alles Unsinn, naives humanistisches
Gefasel. Obama mag es gut meinen, aber er sieht die brutalen Fakten
in der internationalen Politik nicht. Nachgeben und Sanftheit führen
nur zu mehr Aggression. Frieden kann es nur geben, wenn die bösen
Araber sich politisch ändern, so demokratisch, liberal und
moralisch wie die Israelis werden, die, eben weil sie so moralisch
sind, sich zurückhalten und nie die Gewalt einsetzen, über die sie
verfügen. de Winter appelliert an die Welt, Israel in seinem „Kampf
gegen das Böse“ beizustehen.
Leon de Winter ist
ein Meister der politischen Einseitigkeit und der
Geschichtsklitterung. Sein nahöstliches Legenden- und
Klischee-Szenario hat der niederländische Autor nun in Romanform
gegossen. Erste Kritiker sprachen von „israelischer Kampfprosa“ und
einem „Manifest der Anti-Aufklärung“. Gleich wenn man de Winters
Buch aufschlägt, weist eine Landkarte darauf hin, was den Leser
erwartet: eine völlig veränderte Lage im Nahen Osten im Jahr 2024.
Israel besteht nur noch aus Tel Aviv und einem bisschen Hinterland –
einem Sandkasten aus Wüste. Den Rest des einstigen Staates haben die
Palästinenser erobert und „islamisiert“.
Nur noch zwei
Millionen Israelis leben hinter hohen High-Tech-Grenzanlagen. An den
wenigen Durchgängen durch die Mauer müssen die Passanten
Wattestäbchen mit Speichel in kleine Schleusen mit DNA-Scannern
stecken, die sofort durch einen Chromosonen-Test erkennen, ob es
sich um einen Juden handelt oder nicht. Über Tel Aviv kreisen
Hubschrauber mit Erkennungsgeräten an Bord, die Alarm schlagen, wenn
sich Palästinenser in die jüdische Gemeinschaft eingeschlichen
haben. Auf der „anderen Seite“ herrscht ein düsteres Bild: nur tief
verschleierte Frauen und Männer mit langen Bärten. Das Leben ist
trostlos dort: „keine Arbeit, keine Zukunft, keine Hybridautos“. Für
Israelis ist es gefährlich dorthin zu gehen. Man muss damit rechnen,
dass diese fanatisierten Moslems einem den „Kopf abreißen“ und „auf
Stangen spießen“. Die Araber sind nur darauf aus, die Juden
„auszurotten“. So sagen es wenigstens de Winters Protagonisten in
dem Roman.
Niemand glaubt bei
diesen Zuständen noch an einen Frieden, deshalb gibt es auch keine
Verhandlungen mehr. Die Israelis haben im Jahr 2024 ein ganz anderes
Problem: Auf unerklärliche Weise verschwinden ständig jüdische
Kinder – und man geht nicht falsch in der Annahme, dass es die
Palästinenser sind, die sie entführen. Im Roman erfährt man das aber
erst auf den letzten Seiten. Und so betreibt de Winters Held Abraham
Mannheim, genannt „Bram“, der eigentlich Historiker für die
Geschichte des Nahen Osten ist, mit einem Freund eine „Bank“
genannte Agentur zur Ermittlung verschwundener Kinder.
Wie es der Lauf
der Handlung will, wird auch Brams eigener vierjähriger Sohn Ben
entführt. Der Vater, der inzwischen Professor an der Universität von
Princeton (USA) ist, wird fast verrückt wegen dieses Verlustes,
seine Ehe scheitert, er reist ruhe- und kopflos durch die Welt, um
das geliebte Kind wieder zu finden. Er begeht sogar einen Mord an
einem Päderasten, den er für den Entführer und Mörder seines Sohnes
hält. Nach Jahren findet er mit Hilfe seiner Agentur und des
israelischen Inland-Geheimdienstes Schabak eine Spur des verlorenen
Sohnes. Nicht der umgebrachte Päderast war der Übeltäter, sondern –
man hatte es lange vermutet – ein islamischer Fundamentalist. Dieser
Dossaji Israilow ist ein genialer und nobelpreisverdächtiger
Naturwissenschaftler, der aus Kasachstan stammt und eine
internationale Karriere gemacht hat, sich dann aber immer mehr den
religiösen Fanatikern anschloss. In Afghanistan wurde er in den
achtziger Jahren Leibarzt des Muhadschedin-Führers Mullah Omar, der
heute die Taliban befehligt. Natürlich, auch die Taliban dürfen
nicht fehlen!
Dieser Mann hatte
Brams Sohn entführt, in einem Waisenhaus in Kasachstan
untergebracht, in dem vornehmlich geraubte jüdische Kinder einer
Gehirnwäsche für die Sache Allahs unterzogen werden, um sie dann –
Gipfel der muslimischen Infamie! – als Selbstmordattentäter gegen
Israel einzusetzen. Denn nur Juden können ja die DNA-Sperren
überwinden. Vorbild sind Israilow dabei die Mamelucken und
Janitscharen, auch geraubte Kinder, die man einst zu fanatisierten
Moslems und Mördern erzog.
Brams Sohn Ben –
inzwischen ein junger Mann geworden – arbeitet in einem türkischen
Lebensmittelladen in Amsterdam, als stille Selbstmörderreserve
sozusagen, die jederzeit zu ihrer Märtyrer-Mission abberufen werden
kann. Der Vater entdeckt ihn dort, beide erkennen sich. Aber in
diesem Augenblick greift schon der Mossad in einer vorher
abgesprochenen Aktion zu, kidnappt den Sohn und bringt ihn nach
Israel zum Verhör. Der Vater ist dennoch glücklich über den Ablauf
der Ereignisse, denn nun kann er hoffen, dass Ben doch noch von dem
ihm aufgezwungenen Glauben lässt und zu ihm zurückkehrt...
Mit diesem Ausgang
will de Winter den Titel seines Romans rechtfertigen: das „Recht auf
Rückkehr“ in die jüdische Gemeinschaf nach Israel, das jedem Juden
zusteht und habe er sich auch unter noch so teuflischen Einflüssen
von seinen Ursprüngen entfernt. Der Autor braucht 550 lange Seiten,
um das zu erklären. Aber auf dem Weg dahin gibt er seinen handelnden
Personen viele Gelegenheiten, ihren Hass auf Araber im allgemeinen
und auf Palästinenser im besonderen freien Lauf zu lassen, denn
radikale Muslime sind sie für ihn alle.
Brams Vater, ein
Nobelpreisträger für Biochemie, ist ein unverbesserlicher Hardliner:
Frieden? „Unsinn“, sagt er zu seinem Sohn. „Man schließt keinen
Frieden mit seinen Feinden. Man zerschmettert sie. Das macht man mit
seinen Feinden. Wo holst Du den hirnverbrannten Gedanken her, man
könne mit Arabern Frieden schließen? Frieden mit Arabern ist nichts
als eine Galgenfrist.“ Und als der Sohn nachfragt, was man denn
politisch tun solle, ist die Antwort des Nobelpreisträgers: „Zehn
Busse mit Arabern in die Schlucht schieben.“ Und er bedauert
zutiefst, dass die Israelis sie 1948 nicht endgültig vertrieben
hätten. „Diese Leute werden uns noch eines Tages die Köpfe
abhacken“, ist er überzeugt.
Und warum hatten
die Palästinenser Israel besiegt und es auf einen schmalen
Wüstenstreifen hinter Tel Aviv zusammen gedrängt? de Winter hat auch
dafür eine Antwort: „Die palästinensischen Araber hatten die Juden
mit ihren Gebärmüttern besiegt. Die mächtigen Waffen der Juden waren
machtlos gegen die palästinensischen Spermien, die sich fruchtbarer
Eizellen bemächtigten. Auch die Eizellen kleiner Jüdinnen konnten
Muslime hervorbringen – hin und wieder verschwand ein Mädchen im
Meer...“
Leon de Winter
verteidigt sein Buch. Es soll ein Text sein, in dem es um Verlust,
Trauer, Abschied und Hoffnung geht. Wirklich? Aber diese eigentlich
universellen ur-menschlichen Gefühle gibt es offensichtlich nur auf
der einen Seite der Mauer. Die Menschen auf anderen Seite
dehumanisiert er mit seinen hasserfüllten Klischees. Alle Moslems
sind für ihn offenbar nur abgefeimte Entführer, Terroristen und
Mörder, die die Juden „ausrotten“ wollen. Das Wort fällt mehrere
Male. Wenn man de Winter wohl gesonnen ist, könnte man die Gründe
für solche Hasstiraden in der ewigen Angst der Juden vor Bedrohung
sehen, die durch den Holocaust noch gesteigert und zur Paranoia
wurde.
Aber hat ein
weltweit geachteter Autor wie de Winter nicht die Pflicht und die
Verantwortung, die aus der Psychologie her bekannte Übertragung
Araber (Palästinenser) = Nazis = Mörder zu erkennen und der
Versuchung, dieses Klischee weiter zu verbreiten und zu
popularisieren, im Namen einer besseren Zukunft der Juden im Nahen
Osten und anderswo zu widerstehen? Leon de Winter hat das in seinem
Roman nicht getan. Für ihn besteht die Welt nur aus den Guten
diesseits und den Bösen jenseits der Mauer. Annäherung, Ausgleich
und Versöhnung kann es nicht geben. Sein gruseliger Roman kann so
nur neuen Hass säen. Man stelle sich vor, ein Nicht-Jude hätte ein
solches oder ähnliches Buch über Juden geschrieben, der empörte
Aufschrei wäre weltweit zu Recht zu hören. Warum gilt ein solcher
intellektueller und humaner Maßstab umgekehrt nicht auch für Leon
den Winter?