Kein
Friedensstern über Bethlehem
Die Weihnachtsgeschichte ist
unhistorisch, und das heutige Israel versucht,
seine eigene Geschichte zu vertuschen
Arn Strohmeyer - 20.12.2019
Über Palästina schrieb Sigmund Freud, der allen
Religionen und auch dem Zionismus als
nationalistischer Ideologie kritisch
gegenüberstand, 1932: „Palästina hat nie etwas
anderes hervorgebracht als religiösen, heiligen
Wahnsinn und überhebliche Versuche, die äußere
Erscheinungswelt mit den Mitteln der inneren
Welt sehnsuchtsvollen Denkens zu überwinden.“
Wie recht der Begründer der Psychoanalyse hat!
Palästina scheint ein besonderer Boden zu sein –
drei Weltreligionen sind dort entstanden, und
die politische Ideologie des Zionismus konnte
sich hier entfalten. Um das Judentum und den
Islam soll es hier aber nicht gehen, sondern um
Christentum und Zionismus. An ihrem Beispiel
soll demonstriert werden, wie Religionen und
Ideologien Geschichte fälschen – damals und
heute. (Was aber nicht heißen soll, dass nicht
auch in anderen politischen und kulturellen
Institutionen Geschichte gefälscht wurde und
wird.)
Heute stimmen progressive Theologen darin
überein, dass man über die Jahrhunderte –
jeweils nach den Bedürfnissen der Zeit – in die
jüdische Gestalt des Jesus von Nazareth
unendlich viel hineinprojiziert hat, was wenig
oder nichts mit dem historischen Jesus zu tun
hat. Anders gesagt. Der österliche Jesus ist
nicht der geschichtliche Jesus. Dank der
historisch-kritischen Methode, die die
Aufklärung entwickelt hat, weiß man heute, dass
die meisten Worte und Berichte über Taten Jesu
nachträgliche Zuschreibungen der Urgemeinde und
späterer Generationen sind, Fiktionen also.
Das trifft auch auf die Weihnachtsgeschichte zu.
Es gibt gleich zwei Fassungen über die Geburt
Jesu: Matthäus 1,1 und 2,23 und Lukas 2,1 – 40,
die historisch nicht vereinbar sind. So geben
die beiden Evangelisten auch verschiedene
Datierungen der Geburt Jesu an: Bei Mt. findet
sie zu Lebzeiten Herodes des Großen statt, der
4.v.Chr. gestorben ist. Nach Lk. wurde Jesus
kurz nach einer vom Kaiser Augustus angeordneten
Steuerschätzung, als Quirinius Statthalter von
Syrien war (ab 6.n.Chr), geboren.
Mt. zufolge wohnten die Eltern Jesu in Bethlehem
und erst nach der Rückkehr aus Ägypten siedelten
sie nach Nazareth um. Nach Lk. zogen die Eltern
aber vor der Geburt Jesu von Nazareth nach
Bethlehem um. Lk. weiß nichts von den Magiern
aus dem Morgenland, dem Stern über Bethlehem,
der Flucht nach Ägypten und einem Kindermord des
Herodes. Mt. weiß nichts von einer Verkündigung
an die Hirten.
Dem protestantischen Theologen Gerd Lüdemann
zufolge sind das alles fromme Legenden. Sie
haben aber einen hohen emotionalen und
erbaulichen Gehalt und sind wohl gerade deshalb
so populär. Nach der Historizität fragt da
niemand. Für historische Wahrheit hatten die
Christen der Urgemeinde keinen Sinn und deshalb
haben sie „heilige Lügen“ hervorgebracht, die
viele Menschen heute noch glauben und die zum
Teil in den Kirchen noch Dogmencharakter haben.
Im modernen Israel hält man auch wenig von
historischer Wahrheit, die Darstellung der
eigenen Geschichte hat sich nach den Vorgaben
der Staatsideologie Zionismus zu richten. Auch
wenn kein direkter Zusammenhang zwischen den
beiden Ideologien Christentum und Zionismus
besteht, ist das Faktum – im Zusammenhang mit
der Aussage Freuds über Palästina – doch sehr
interessant. Israel hat eine spezielle
Militäreinheit (Malmab mit Namen) gegründet, die
die Aufgabe hat, alle den zionistischen Staat
belastenden historischen Zeugnisse und Dokumente
aus den öffentlich zugänglichen Archiven zu
entfernen.
Damit sind vor allem Dokumente gemeint, die die
Nakba 1948 betreffen, also das gewaltsame
Vorgehen der Zionisten gegen die Palästinenser,
um sie aus dem Land zu vertreiben und sich ihren
Boden anzueignen. Rund 800 000 Menschen wurden
damals vertrieben, über 500 Dörfer und elf
arabische Stadtteile wurden zerstört, es gab
furchtbare Massaker und Plünderungen (Siehe das
Buch des israelischen Historikers Ilan Pappe:
Die ethnische Säuberung Palästinas).
Ziel der Arbeit der Malmab-Einheit in den
Archiven ist es, „die Glaubwürdigkeit der
Studien über die Geschichte des
Flüchtlingsproblems zu untergraben“, so der
ehemalige Leiter des Teams in einem Interview
mit der israelischen Tageszeitung Haaretz. Das
Vorhaben wird aber nur zum Teil gelingen, weil
die „neuen Historiker“ wie Ilan Pappe, Tom Segev
und Avi Shlaim wohl geahnt haben, was offizielle
Stelle da vorhaben, und deshalb schon lange vor
Beginn der Arbeit von Malmab die wichtigsten
Dokumente durch Kopieren und Scannen
sichergestellt haben.
Zwischen beiden hier geschilderten Vorgängen
besteht die Gemeinsamkeit, dass versucht wird,
Geschichte zu fälschen. Das Motiv dabei ist
politischer Natur, man verfolgt ganz bestimmte
politische Interessen, die mit der Gewinnung
bzw. der Erhaltung von Macht zu tun haben. Was
bleibt – und das gilt für das zum großen Teil
auf Legenden beruhende Christentum und auch für
die Vertuschung der eigenen Geschichte in Israel
- ist ein steter Appell, sich an der
historischen Wahrheit zu orientieren, weil nur
mit ihr Frieden möglich ist.
Der Theologe Gerd Lüdemann weist auf die
Notwendigkeit hin, auch und gerade in Bezug auf
die Religion über den eigentlichen Ursprung der
abendländischen Kultur aufzuklären. Er bezieht
auch die Politik in seinen Appell mit ein und
schreibt: „Denn die in der Vernunft gegründete
Aufklärung samt ihrer Kritik an
Offenbarungsansprüchen und Erkenntnisprivilegien
jeglicher Art bleibt ein fester Bestandteil der
modernen Welt. Allein Aufklärung ermöglicht
einen konstruktiven Dialog zwischen den
Angehörigen verschiedener Nationalitäten und
Kulturen, und sie allein wäre in der Lage, in
dem kommenden Jahrtausend Frieden zwischen den
Menschen unterschiedlichster Ideologien und
Religionen anzubahnen.“
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