Keine Chance mehr für die
Vernunft?
Ein Krieg Israels gegen den Iran
käme die Welt teuer zu stehen
Arn
Strohmeyer
In
Israel werden bereits die Bunker
aufbereitet und die Gasmasken
ausgegeben. Die
Kriegsvorbereitungen haben
offenbar das letzte Stadium
erreicht. Die Regierung von
Benjamin Netanjahu setzt ganz
auf Krieg. Aber nicht eine
Bedrohung aus dem Iran steht
unmittelbar bevor, die die
Verteidigungsmaßnahmen der
Israelis rechtfertigen würde.
Nein, das kleine Israel will den
Iran attackieren, weil die
Regierung in Jerusalem mutmaßt,
dass die Iraner eines Tages in
der Lage sein könnten,
Atombomben zu bauen. Das ist
nicht nur eine absurde, sondern
auch völlig rechtlose Situation.
Selbst die Geheimdienst Israels
und der USA versichern, dass es
keine Hinweise gebe, dass der
Iran mit dem Bau einer Atombombe
bereits begonnen habe. Was
westliche Kommentatoren dem Iran
vorwerfen, eine völlig
irrationale und unberechenbare
Politik zu machen, trifft viel
mehr auf Israel selbst zu.
Die Absichten und
Entscheidungen Netanjahus und
seines Verteidigungsministers
Ehud Barak sind mit rationalen
Kriterien nicht zu
rechtfertigen. Um ein Beispiel
aus dem Alltag zu anzuführen:
Kann man einfach seinen
ungeliebten Nachbarn erschießen,
weil man befürchtet, der könnte
sich irgendwann eine Pistole
kaufen und würde einen dann
bedrohen und umbringen? Das ist
die Logik der israelischen
Regierung. Einen Krieg gegen den
Iran anzuzetteln, wäre ein
völlig unverantwortlicher Akt.
Aus drei überaus schwerwiegenden
Gründen:
• Ein solcher
militärischer Überfall wäre ein
klarer Verstoß gegen das
internationale Recht, ein
völkerrechtswidriger
Angriffskrieg, der nach der
UN-Charta verboten ist. Israel
kann sich nicht damit
rechtfertigen, einen
Präventivkrieg zu führen, denn
der Iran hegt keine
Angriffsabsichten gegen den
jüdischen Staat - der bisweilen
wirren Rhetorik seines
Präsidenten zum Trotz. Umgekehrt
bekundet die israelische
Regierung ihre Angriffsabsichten
täglich, ja gibt sogar bekannt,
dass der Krieg 30 Tage dauern
und das Land etwa 500 Tote
kosten wird. Selbst wenn der
Iran Atombomben bauen sollte,
wäre das für Israel keine
Rechtfertigung zum Angriff. Denn
der jüdische Staat verfügt
selbst über solche Bomben und es
ist verständlich, dass der Iran
sich bedroht fühlt. Von dem
Recht auf Sicherheit dieses
Landes spricht im Westen aber
niemand. Die vorhandenen
Atomwaffen in der Region
abzurüsten und keine neuen zu
bauen, wäre der bessere Weg und
würde Sicherheit für alle Seiten
schaffen. Israel hat keinerlei
Recht, den Weltpolizisten zu
spielen.
• Der Nahe Osten
befindet sich in einer höchst
explosiven Lage. Die Länder, die
Revolutionen oder Umstürze
hinter sich haben - wie Libyen,
Tunesien und Ägypten - , haben
sich noch keineswegs
stabilisiert, im Irak herrschen
trotz demokratischer Ansätze
eher Anarchie und Chaos. Und
Syrien brennt lichterloh. Der
Krieg hat mit den militärischen
Aktionen des Assad-Regimes und
den wachsenden
Flüchtlingsströmen längst die
Nachbarstaaten erreicht und
beginnt, diese zu
destabilisieren.
• Die Finanz- und
Schuldenkrise in Europa hat
inzwischen die Weltkonjunktur in
Mitleidenschaft gezogen. Eine
globale Rezession größeren
Ausmaßes kann nicht mehr
ausgeschlossen werden. Der Euro
ist noch lange nicht gerettet,
der große Crash ist immer noch
möglich. Mit anderen Worten:
Die ökonomische Lage der Welt
ist äußerst instabil, wenn nicht
explosiv.
In einer solchen
Situation einen Krieg gegen den
Iran zu beginnen, zeugt nicht
nur von totaler politischer
Blindheit, sie wäre der Gipfel
der Verantwortungslosigkeit.
Kriege verlaufen zudem nie so,
wie sie am grünen Tisch geplant
werden und sinnvolle Ergebnisse
zeitigen sie auch nicht. Die
Lage danach ist immer schlimmer
als vorher. Die 30-Tage-Rechnung
der Israelis ist pure Illusion
und dient wohl nur zur
Ruhigstellung des eigenen
Volkes. Man muss kein Prophet
sein, um vorauszusagen, dass
dieser Krieg sehr schnell außer
Kontrolle geraten und eine ganz
unvorhergesehene Eskalation
nehmen wird, die die ganze
Region in Flammen setzen kann.
Da die USA auf Seiten Israels
eingreifen würden, könnten die
anderen Großmächte - Russland
und China - nicht
stillschweigend zuschauen. Eine
gefährliche globale
Konfrontation wäre nicht
ausgeschlossen. Es gibt
Analytiker, die schon das Wort
„Weltkrieg“ anführen.
Der Nahe und
Mittlere Osten ist ja nicht
irgendeine Weltgegend, er ist
für die Weltwirtschaft wegen
seines Öls von allergrößter
Bedeutung. Schießen die Iraner
die Ölfelder in den
Nachbarstaaten in Brand oder
sperren mit Minen die für Tanker
so wichtige Straße von Hormus im
Persischen Golf, dann käme zu
den derzeitigen globalen
Wirtschaftsproblemen ein
weiterer schwerer Schlag hinzu.
Die Folgen wären unabsehbar. Die
Welt stünde ökonomisch am
Abgrund.
Es wäre die
unbedingte Pflicht des Westens,
auch und gerade der Deutschen,
Israel in die Schranken zu
weisen und mit massivem Druck,
der bis zur Androhung mit
Sanktionen gehen müsste, von
diesem gefährlichen Spiel mit
dem Weltfrieden abzuhalten. Aber
nichts dergleichen geschieht.
Das für die Welt so gefährliche
Szenario wird nicht einmal
öffentlich diskutiert. Ein
Schriftsteller und
Nobelpreisträger, der es in
einem Gedicht anzusprechen
wagte, wurde in den Medien
verhöhnt und verlacht. Das
Szenario ist nicht nur für die
ganze Welt bedrohlich, Israel
selbst riskiert mit diesem Krieg
seine Existenz. Selbst wenn es
ihn überstehen sollte, kann man
sich nicht vorstellen, wie es
nach einem solchen Krieg in den
nächsten Jahrzehnten mit seinen
muslimischen Nachbarn noch
Frieden schließen kann. Aber
ohne Frieden - als
hochgerüsteter, völlig
isolierter Kreuzritterstaat im
Nahen Osten - hat Israel auch
keine Chance zu überleben. Hat
die Vernunft im Herbst 2012
keine Chance mehr?