Widerspruch!
Uri Avnery relativiert die Nakba!
Arn Strohmeyer
In seiner
letzten Kolumne „Lieber Salman“ relativiert der sonst
zumeist so famose Uri Avnery die Nakba in
unverständlicher und bedenklich Weise. Er schreibt da:
„Der Krieg von 1948 war eine schreckliche menschliche
Tragödie. Beide Seiten glaubten, es sei eine
existentielle Schlacht, dass ihr Leben an einem Faden
hing. Es wird oft vergessen, dass ethnische Säuberung
(den Terminus gab es damals noch nicht) von beiden
Seiten praktiziert wurde. Unsere Seite besetzte große
Gebiete und schuf so ein riesiges Flüchtlingsproblem;
während es der palästinensischen Seite nur gelang, ein
kleines Gebiet zu besetzen, wie die Altstadt von
Jerusalem und den jüdischen Ezion-Siedlungsblock bei
Bethlehem. Aber kein einziger Jude blieb dort.“
Und
weiter: „Der Krieg war, wie später der bosnische Krieg,
ein ethnischer Krieg, in dem beide Seiten versuchten,
ein größtmögliches Stück Land zu erobern – ohne
Bevölkerung. Als Augenzeuge und Teilnehmer kann ich die
Tatsache bezeugen, dass die Ursprünge des
Flüchtlingsproblems extrem kompliziert sind. Während der
ersten sieben Monate des Krieges waren die Angriffe auf
die arabischen Dörfer militärisch absolut notwendig. Zu
dieser Zeit waren wir die schwächere Seite. Nach einer
Anzahl sehr grausamer Schlachten drehte sich das Rad,
und ich glaube, dass eine absichtliche Politik der
Vertreibung von der zionistischen Führung ergriffen
wurde.“
Auch wenn
Avnery selbst in diesem Krieg mitgekämpft hat, seine
Darstellung klingt sehr einseitig. Die Verfasser zweier
Standardwerke dieses Abschnitts der israelischen
Geschichte – die beiden Israelis Ilan Pappe und Simcha
Flappan – schildern die Vorgänge der Jahre 1947/48 in
ihren Werken „Die ethnische Säuberung Palästinas“ und
„Die Geburt Israels“ ganz anders. Da finden sich
nirgendwo Angaben, dass auch die palästinensische Seite
„ethnisch gesäubert“ habe. Das konnte sie auch gar
nicht, weil sie außer ein paar Guerillaverbänden gar
nicht über eine ernstzunehmende Armee verfügte wie die
Zionisten. Die sogenannte „Arabische Befreiungsarmee“ –
eine Truppe von Freiwilligen aus verschiedenen
arabischen Staaten – war für die Hagana kein wirklicher
Gegner.
Die
Zionisten schlugen schon bald nach dem
UNO-Teilungsbeschluss im November 1947 los, um
zusätzliche Gebiete zu erobern und die Bildung eines
palästinensischen Staates mit allen Mitteln zu
verhindern. Die ethnische Säuberung war bestens
vorbereitet und erfolgte nach dem Plan D (Dalet). Darin
hieß es: „Die Operationen lassen sich folgendermaßen
durchführen: entweder durch die Zerstörung von Dörfern
(indem man sie in Brand setzt, sprengt und die Trümmer
vermint) und insbesondere von Wohngebieten, die auf die
Dauer schwer zu kontrollieren sind, oder durch
Durchsuchungs- und Kontrolloperationen nach folgenden
Richtlinien: Umstellen und Durchkämmen der Dörfer. Im
Fall von Widerstand sind die bewaffneten Kräfte
auszuschalten und über die Landesgrenzen zu vertreiben.“
Diese Zitat stammt von Israel Pappe, der sich in seinem
Buch immer wieder fragt, wie jüdische Soldaten drei
Jahre nach dem Ende des Holocaust so gewalttätig gegen
eine wehrlose Zivilbevölkerung vorgehen konnten. Mit
Massakern wie dem von Deir Yassin versuchten die
Zionisten die Palästinenser in Panik zu versetzen und
zur Flucht zu bewegen.
Bis Ende
März 1948 konnten die zionistischen Verbände fast alle
wichtigen palästinensischen Städte erobern. Bis zum 15.
Mai waren schon unzählige Dörfer zerstört und rund 250
000 Palästinenser vertrieben worden. Außerdem hatten die
Zionisten ihr Ziel erreicht und große Gebiete besetzt,
die für den palästinensischen Staat vorgesehen waren –
also noch vor der Gründung des Staates Israel am 18.
Mai. Erst in dieser Situation beschlossen die arabischen
Staaten, eine Armee nach Palästina zu schicken, die aber
so schlecht ausgerüstet war, nicht einmal über ein
gemeinsames Oberkommando und eine Koordination
untereinander verfügte, dass die Zionisten, die viel
besser ausgerüstet und motiviert waren, kein Problem mit
diesem Gegner hatten. Zudem nahm die stärkste arabische
Armee – Jordaniens „Arabische Legion“ – an den Kämpfen
nur am Rande teil, weil der jordanische König Abdallah
ein Geheimabkommen mit den Zionisten geschlossen hatte.
Der Mufti von Jerusalem rief zum „heiligen Krieg“ gegen
die Zionisten auf, aber so gut wie niemand folgte ihm
Die
Israelis fühlten sich in dieser Zeit militärisch so
stark, dass ihr Anführer und erster Ministerpräsident
Ben Gurion schon von weiteren Eroberungen arabischen
Landes träumte. Die Palästinenser verhielten sich in den
kriegerischen Auseinandersetzungen weitgehend passiv.
Der israelische Geheimdienstmann Ezra Danin meldete:
„Die Dorfbewohner lassen keinen Kampfeswillen erkennen.“
Aus einer Sitzung von Ben Gurions Beratergruppe
verlautete, „dass das ländliche Palästina keinerlei
Kampfes- oder Angriffswillen zeigte und wehrlos war.“
Ben Gurion zog daraus die Schlussfolgerung; „dass es am
besten sei, die ländlichen Gebiete weiter durch eine
Serie von Offensiven zu terrorisieren, damit die
gemeldete passive Stimmung anhält.“ Das Alles ist bei
Simcha Flapan und Ilan Pappe gut belegt nachzulesen.
Warum – so muss man Uri Avnery fragen – waren die
Angriffe auf arabische Dörfer „absolut notwendig“? Im
Grunde rechtfertigt er hier die grausame Nakba.
Der sonst
so geschätzte Uri Avnery übertreibt also ganz heftig,
wenn er behauptet, dass auch die Palästinenser eine
ethnische Säuberung durchzuführen versuchten. Dazu waren
sie militärisch gar nicht in der Lage. Außerdem gibt es
schließlich noch einen kleinen Unterschied zwischen dem
Vorgehen beider Seiten: Die Zionisten waren
Eindringlinge, eroberten fremdes Land und vertrieben die
Menschen daraus. Die Palästinenser wehrten sich mit
schwachen Kräften, denn schließlich verteidigten sie
ihre Heimat. Das war ihr gutes Recht.
20.05.2014
Lieber Salman
- Uri Avnery -
VOR JAHREN war ich zu einer UN-Konferenz über die
palästinensischen Flüchtlinge eingeladen. Ich sollte als
Israeli mit der Debatte beginnen, nach dem der
palästinensische Vertreter Salman Abu-Sitta aus einem
Beduinenstamm im Negev als
Palästinenser die Konferenz
eröffnet hatte. >>>