Arn Strohmeyer
Die UNO-Vollversammlung wird in dieser
Woche mit allergrößter Wahrscheinlichkeit Palästina mit
Beobachterstatus in die UNO aufnehmen. Das ist noch
lange nicht die Lösung des Nahost-Problems, aber es ist
ein großer Schritt nach vorn - verglichen mit den
fruchtlosen Verhandlungen der letzten Jahrzehnte, die
Israel immer nur dazu dienten, Zeit zu gewinnen, um
„Fakten zu schaffen“, d.h. seine Siedlungspolitik
fortzusetzen und damit einen Palästinenser-Staat
unmöglich zu machen. Ein Palästina mit Beobachter-Status
wird mehr politische Handlungsfreiheit haben, allein das
rechtfertigt diesen Schritt. Wie groß dieser Spielraum
sein wird, kann man an dem Aufwand ermessen, den Israel
im Vorfeld der UNO-Entscheidung unternommen hat, um
genau diesen Freiraum zu verhindern. Wenn es anders
wäre, hätten die Israelis sich kaum solche Mühe gegeben,
die UNO-Entscheidung doch noch zu kippen. Aber sie wird
kommen und sie wird bedeuten: Palästina kann in Zukunft
viel mehr für sich selbst sprechen in der Welt - und es
wird gehört werden!
Historisch gesehen ist die Aufnahme
Palästinas in den UNO-Beobachterstatus nichts als ein
kleiner Akt der Gerechtigkeit. Denn Israel verdankt
seine Existenz nicht weniger als einer Entscheidung eben
dieser Weltgemeinschaft. Als die sich UNO am 29.
November 1947 für die Schaffung des Staates Israel (und
eines palästinensischen Staates, der dann nicht zustande
kam) entschied, fällte sie eine höchst ungerechte und
umstrittene Entscheidung. Denn die Zionisten, die nur
5,6 Prozent des Landes besaßen und nur ein Drittel der
Bevölkerung stellten, bekamen 56 Prozent des Landes
zugesprochen, 42 Prozent sollten die Palästinenser
bekommen, der Rest war für die unternationale Zone
Jerusalem-Bethlehem vorgesehen.
Das den Palästinensern zugeteilte Land
war obendrein der unfruchtbarste Teil Palästinas, was
den agrarisch ausgerichteten Ureinwohnern von vornherein
die Lebensgrundlage entzogen hätte. Dass die Araber
diesen Beschluss der UNO als höchst ungerecht empfanden
und nicht akzeptierten, lässt sich heute noch gut
nachvollziehen. Zudem streiten die Völkerrechtler immer
noch um die Frage: War die UNO überhaupt berechtigt, für
ein Volk auf Kosten eines anderen einen Staat ins Leben
zu rufen? Denn den Palästinensern hatte man die
Anwendung des höchsten Prinzips des Völkerrechts - das
Recht auf Selbstbestimmung - schlicht verweigert.
Israel hat sein Entstehen durch die UNO
dieser Organisation wenig gedankt. Nur unter der
Bedingung, das Flüchtlingsproblem zu lösen (Resolution
194) wurde es in die Vereinten Nationen aufgenommen.
Israels sagte zu - und hat diese Zusage bis heute nicht
eingelöst, genauso wenig wie die Aufforderung der
Resolution 242 vom Jahr 1967, die besetzten Gebiete zu
räumen. Israel wurde seit seiner Gründung von der UNO
mehr als 800 mal verurteilt - wegen Angriffen auf die
Nachbarstaaten, wegen seiner brutalen Besatzungspolitik
oder Verletzung der Menschenrechte. Nur Amerikas
ständiges Veto im Sicherheitsrat hat Israel vor weiteren
Abstrafungen bewahrt. Israel und das Völkerrecht - das
passt nicht zusammen.
Dass die USA im Sicherheitsrat ihr Veto
gegen eine Aufnahme Palästinas in die Weltgemeinschaft
einlegen wollen, zeigt welch moralischen Tiefpunkt die
US-Außenpolitik erreicht hat. Mit großen Hoffnungen in
Bezug auf den Nahen Osten hatte Obama seine
Präsidentschaft begonnen. In seiner Kairoer Rede hatte
er versprochen, auf die islamische Welt zugehen zu
wollen. Vor einem Jahr noch hatte er von einem
palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967
gesprochen. Das war dem Kongress und der jüdischen Lobby
denn doch zu viel. Obama musste klein beigeben, nicht
einmal den Stopp des Siedlungsbaus - die Voraussatzung
für Friedensverhandlungen - konnte er durchsetzen. Ariel
Sharons Wort, dass Amerika von Tel Aviv bzw. Jerusalem
aus regiert werde, hat sich wieder einmal bewahrheitet.
Dass die deutsche Bundesregierung gegen
den palästinensischen Antrag stimmen wird, ist mehr als
ein politischer Fehler, es ist ein moralisches Desaster.
Nicht nur, dass auch die Regierung von Angela Merkel in
letzter Zeit ständig die Schaffung eines
palästinensischen Staates gefordert hat und dass sie nun
die eigenen Forderungen konterkariert, sich also brav
den USA und Israel unterordnet, dieser Entscheidung
fehlt auch jedes historische Verantwortungsgefühl. Der
Holocaust - die von Deutschen den Juden zugefügte
Katastrophe - war die direkte Ursache für die
palästinensische Katastrophe, die Nakba. Ohne das eine
hätte es das andere nicht gegeben. Deutschland trägt
also direkte Mitverantwortung für das nun schon
Jahrzehnte andauernde Leiden der Palästinenser. Mit
Israel hat Deutschland schon früh Beziehungen
aufgenommen und hat an diesen Staat große Summen an
Wiedergutmachungsgeldern gezahlt, den Kampf der
Palästinenser um ihre Selbstbestimmung hat es völlig
ignoriert, bestenfalls mit unverbindlichen rhetorischen
Erklärungen begleitet. Wenn Deutschland nun den
palästinensischen Antrag in der UNO nicht unterstützt,
macht es vor seiner eigenen Geschichte die Augen zu und
erweist dem Frieden im Nahen Osten einen Bärendienst.