Werder Bremen
kämpft jetzt gegen den Abstieg und gegen den Antisemitismus
Im Namen von
Toleranz und Weltoffenheit übernimmt der Bundesliga-Verein die
IHRA-Definition
Arn Strohmeyer -
16.03.
2021
Der
Bundesliga-Fußball- Club Werder Bremen will künftig gegen
Antisemitismus vorgehen. Der Präsident des Vereins, Hubertus
Hess-Grunewald, erklärte jetzt: „Der SV Werder steht seit Jahren
für Vielfalt und Toleranz und zeigt ‚klare Kante‘ gegen jede
Form von Diskriminierung und Rassismus. Dieses Bekenntnis
untermauern wir gemeinsam mit unseren Mitgliedern, Fans und
Mitarbeitern/innen durch zahlreiche Projekte, Workshops und
Aktionsspieltage.“
Der
Werder-Präsident fährt fort: „Daher ist es für uns wichtig, dass
wir uns der IHRA-Definition anschließen und gesellschaftliche
Verantwortung übernehmen, diese Einordnung zu verbreiten und für
eine offenes und tolerantes Miteinander einzustehen.“ Der
Präsident erläutert dann noch das Engagement des Vereins: Ein
gemeinsames Verständnis von Antisemitismus sei eine
Voraussetzung für dessen Bekämpfung. Immer mehr Profi-Klubs
schlössen sich der Definition an, um ihrer gesellschaftlichen
Verantwortung gerecht zu werden und deutlich zu machen, dass
Antisemitismus im Fußball keinen Platz habe. (Zu Einzelheiten
der IHRA-Definition siehe Anhang)
Werder Bremen
spielt hier aber keine Vorreiterrolle. Andere Clubs wie Borussia
Dortmund und der 1. FC Köln haben sich auch schon zur
IHRA-Definition bekannt. Nun besteht kein Zweifel, dass es unter
Fußballfans, die oft zum politisch rechten Rand der Gesellschaft
gehören, Rassismus gibt. Für die Vereine ist das sicher ein
Problem, da in ihnen sehr viele Spieler aus Afrika oder Asien
tätig sind oder einen Migrationshintergrund haben. Da ist
Vorgehen gegen jede Form von Rassismus Pflicht. Das versteht
sich von selbst.
Nur: Was kann
die Präsidenten von Bundesliga-Clubs veranlassen, die
IHRA-Definition für ihre Vereine zu übernehmen? Auf Bremen
bezogen muss man dazu anmerken: Bei Werder ist bisher kein Fall
von Antisemitismus bekannt geworden, zudem sind auch die Bremer
Fans in dieser Hinsicht nicht auffällig geworden. Auch in der
Stadt kann von einem grassierenden Antisemitismus nicht die Rede
sein, sieht man von haltlosen Antisemitismus-Vorwürfen ab, die
die Jüdische Gemeinde und die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG)
gegen Kritiker der israelischen Besatzungspolitik erheben. Aber
das hat mehr mit Versuchen, die Meinungsfreiheit einzuschränken
zu tun als mit wirklichem Antisemitismus.
Genau hier muss
auch die Kritik an der Übernahme der IHRA-Definition durch die
Bundesliga-Vereine einsetzen. Denn diese Definition steht
keineswegs für „Vielfalt und Toleranz“, wie Werders Präsident zu
glauben scheint, sondern eher für das Gegenteil. Nun kann man
von Fußball-Funktionären nicht verlangen, dass sie die ganze
Debatte über Antisemitismus in den letzten Jahren verfolgt
haben. Der Bundestag hat die Definition abgesegnet und das ist
für die Verantwortlichen im deutschen Fußball offenbar Gesetz.
Aber die
Begründung der Vereinsbosse für die Übernahme von IHRA reicht
eben nicht aus, sie ist eher hohles Gerede, da es in der
Bundesliga keine auffälligen und bekannten Fälle von
Antisemitismus gibt. Ihr Kampf gegen Antisemitismus erscheint
deshalb eher wie Don Quichottes Kampf gegen Windmühlenflügel.
Experten wie etwa der Antisemitismus-Forscher Peter Ullrich
haben in Gutachten zudem die beträchtlichen Mängel und Schwächen
dieser Definition bloßgelegt und auch ihre Gefahren aufgezeigt.
Ullrich kritisiert, dass die Definition inkonsistent,
widersprüchlich und ausgesprochen vage formuliert sei. Die
Kerndefinition des Antisemitismus sei zudem reduktionistisch,
denn sie hebe einige antisemitische Phänomene und Analysen
hervor, spare aber andere, wesentliche weitgehend aus.
Ullrich fasst
die Risiken und Gefahren der Definition so zusammen: „Die
Schwächen der Definition sind das Einfallstor für ihre
politische Instrumentalisierung, etwa um gegnerische Positionen
im Nahostkonflikt durch den Vorwurf des Antisemitismus zu
diskreditieren. Dies hat relevante grundrechtliche
Implikationen. Die zunehmende Implementierung der Definition als
quasi rechtliche Grundlage von Verwaltungshandeln suggeriert
Orientierung. Stattdesessen ist sie faktisch ein zur Willkür
geradezu einladendes Instrument. Dieses kann genutzt werden, um
Grundrechte, insbesondere die Meinungsfreiheit, in Bezug auf
missliebige israelbezogene Positionen zu beschneiden.“
Auch der
Mitverfasser der Definition, der amerikanische Jurist Kenneth S.
Stein, hält die Definition heute für einen großen Fehler, weil
sie zur Vergiftung der ganzen Antisemitismus-Debatte geführt
habe.
Er argumentiert: Wenn man aus der Definition die Verneinung des
Existenzrechts Israels ableite – Stichwort: Rückkehr der
Flüchtlinge – dann verneine man damit auch das Existenzrecht
eines palästinensischen Staates, was einem antimuslimischen
Rassismus gleichkäme.
Und der
israelische Holocaustforscher Daniel Blatman zeigt die
Entstehung dieser Definition auf. Er
weist vor
allem auf den starken Einfluss Israels in der IHRA-Organisation
hin, denn es sei dort führendes Mitglied und der
Holocaust-Forscher Yehuda Bauer sei ihr erster akademischer
Berater. Blatman nennt die IHRA eine „unnötige und
zerstörerische Organisation“ Man muss aus seinen Ausführungen
schließen, dass es Israels Ziel ist, sich mit dieser Definition
sehr geschickt gegen Kritik an seiner umstrittenen Politik
gegenüber den Palästinensern abzusichern. Denn Blatman hat auch
den herkömmlichen Antisemitismus-Begriff hinterfragt und kommt
zu dem Ergebnis, dass es zwar den alten „klassischen“
Antisemitismus vor allem bei Rechtsradikalen und Neonazis noch
gibt, dass heute aber ein ganz anderer Antisemitismus-Begriff
die Debatte und das politische Klima beherrscht: der
funktionale Antisemitismus. Er versteht darunter einen
Antisemitismus-Begriff, den die israelische Regierung definiert
hat. Antisemitismus ist so gesehen alles, was den Interessen
dieses Staates zuwiderläuft oder auch schadet.
Um auf den
deutschen Fußball zurückzukommen: Er hat kein wirkliches
Antisemitismus-Problem, wenn überhaupt hat er ein
Rassismus-Problem. Insofern hätte man verstanden, wenn die Bosse
der Vereine dieser Form der Unmenschlichkeit, von der der
Antisemitismus ein Teil ist, einen noch schärferen Kampf
angesagt hätten. So bleibt aber nur die Vermutung, die
eigentlich eine Gewissheit ist, dass hier von „gewissen Kreisen“
mächtig Druck ausgeübt worden ist, dass die deutschen
Fußball-Vereine sich ohne Wenn und Aber zu Israel und seiner
Politik bekennen. Denn genau das ist der Kern der
IHRA-Definition und nicht Toleranz und Vielfalt.
Anhang
Die
Definition von Antisemitismus, die die internationale
Organisation IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance)
im Mai 2016 in Bukarest beschlossen hat, lautet: „Antisemitismus
ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden und Jüdinnen, die sich
als Hass gegenüber Juden und Jüdinnen ausdrücken kann. Der
Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische und
nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen
jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.
Um die IHRA
bei ihrer Arbeit zu leiten, können die folgenden Beispiele zu
Veranschaulichung [für Antisemitismus] dienen (Ausschnitt):
·
Erscheinungsformen von Antisemitismus können sich auch gegen den
Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird,
richten. Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an
anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch
betrachtet werden. Antisemitismus umfasst oft die Anschuldigung,
die Juden betrieben eine gegen die Menschheit gerichtete
Verschwörung und seien dafür verantwortlich, dass ‚die Dinge
nicht richtig laufen.‘ Der Antisemitismus manifestiert sich in
Wort, Schrift und Bild sowie in anderen Handlungsformen, er
benutzt unheilvolle Stereotypen und unterstellt negative
Charakterzüge.
·
Das
Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung,
z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei
ein rassistisches Unterfangen.
·
Die Anwendung
doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert,
das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder
gefordert wird.
·
Das Verwenden
von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus
in Verbindung stehen (z.B. der Vorwurf des Christusmordes oder
die Ritualmordlegende), um Israel oder die Israelis zu
beschreiben.
·
Vergleiche
der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der
Nationalsozialisten. |