Martialisches Erinnern
Kampfjets der Bundeswehr und Israels betreiben gemeinsam
„Holocaust-Gedenken“ am Himmel über Deutschland
Arn Strohmeyer - 14.08.2020
In jedem Jahr am Holocaustgedenktag (27. Januar) donnern
israelische Kampfjets über das frühere Vernichtungslager
Auschwitz, während israelische Schulkinder unten zwischen den
Baracken Fahnen mit dem Davidstern schwenken und Treuschwüre für
ihren Staat ablegen. Was dort im ehemaligen KZ alljährlich
stattfindet – ein emotionsgeladenes und symbolträchtiges Ritual
– hat der israelische Historiker und Holocaustforscher Saul
Friedländer als „Vereinigung von Kitsch und Tod“ bezeichnet. Und
sein israelischer Kollege Tom Segev ergänzt: „Diese
Veranstaltungen verströmen statt Offenheit und Menschenliebe
Isolationismus bis hin zur Fremdenfeindlichkeit.“
Ein solches martialisches Militär-Schauspiel wird nun auch im
Himmel über Deutschland stattfinden. Kampfjets der Bundeswehr
und Israels werden über Fürstenfeldbruck im Gedenken an die
Opfer des Olympiamassakers 1972 und über das ehemalige
Konzentrationslager Dachau donnern, während unten am Boden
Kränze niedergelegt und auch israelische Fahnen geschwenkt
werden. Das Ganze soll – so der deutsche Luftwaffenkommandeur
Ingo Gerhartz – ein bewegendes Zeichen unserer Freundschaft und
ein Beitrag zum Kampf gegen den Antisemitismus sein.
Diese Worte und das geplante militärische Schauspiel am Himmel
belegen die ganze Fragwürdigkeit des deutsch-israelischen
Verhältnisses. Man kann grundsätzlich aus guten Gründen gegen
solche militärischen Demonstrationen sein, die dem Frieden eher
abträglich sind, in diesem Fall kommt aber etwas Besonderes
hinzu: Wie kann es ein gemeinsame Auftreten der Bundeswehr mit
der Armee eines Staates geben, der seit Jahrzehnten ein brutales
Besatzungsregime über vier Millionen Palästinenser in den
besetzten Gebieten aufrechterhält und die Palästinenser im
Kernstaat als Menschen zweiter oder dritter Klasse in schlimmer
Weise diskriminiert? Anders gesagt: Mit dem Staat Israel gibt es
keine gemeinsamen Werte, die einen Auftritt beider Armeen
rechtfertigen können, denn Israel ist ein Staat der Okkupation
und Repression – und seine Armee ist das ausführende Organ
dieser völkerrechts- und menschenrechtswidrigen Politik.
Der israelische Sozialwissenschaftler und Philosoph Moshe
Zuckermann hat diesen Sachverhalt schon vor Jahren deutlich
gemacht und auch eine Beziehung zum Holocaust hergestellt: „Das
jüdische Kollektiv im Staat Israel ist es, welches der
Konfrontation mit der entsetzlichen Wahrheit nicht entkommen
kann, dass jede ‚Abnormität‘ im Gazastreifen, jedes Opfer eines
‚Schusses in die Luft‘ in der Westbank, jeder Akt brutaler
Repression, der sich direkt oder indirekt aus dem Tatbestand der
israelischen Okkupation ableitet, es – das jüdische Kollektiv in
Israel – von der sittlich-humanen, ihm von den Holocaust-Opfern
als verpflichtendes Erbe auferlegten Identität entfernt, um es
in zunehmenden Maße an eine der Mörder-Identität verschwisterten
Mentalität zu ketten. Es irrt, wer den Spruch ‚Meine Vernunft
ist in Auschwitz verbrannt‘ zur Rechtfertigung einer jeden Untat
des israelischen Staates heranzieht: Nicht seine Vernunft,
sondern seine Sittlichkeit ist dort verbrannt.“
Diese Sätze Zuckermanns werfen grundsätzliche Frage nach dem dem
Holocaust angemessenen Erinnern auf. Es ist kein Geheimnis, dass
Israel dieses Mega-Verbrechen für seine politischen,
wirtschaftlichen und militärischen Ziele instrumentalisiert, was eine
Verflachung, Banalisierung und Ideologisierung des Gedenkens an
dieses Verbrechen und seine Opfer zur Folge hat. Das
ritualisierte Andenken geht heute so weit, dass es auch die
neuen Opfer, die Israels Politik permanent produziert,
rechtfertigen muss. Die israelischen Kampfjets, die jetzt am
deutschen Himmel „Gedenken“ zelebrieren, haben vermutlich
gestern oder vorgestern noch ihre mörderische Last über dem
eingeschlossenen Gazastreifen abgeworfen. Werden sich demnächst
deutsche Kampfjets – natürlich auch im Namen des Holocaust – an
diesem tödlichen Spiel über dem Himmel von Gaza beteiligen?
Die Lehre von Auschwitz kann nur eine universalistische sein:
Nie wieder Krieg, nie wieder Lager, nie wieder Repression,
Besatzung und Diskriminierung. Eine Politik des Gedenkens in
diesem Sinne braucht keine martialischen militärischen Beweise
von Kraft und Stärke am Himmel oder auf dem Boden. Die Opfer des
Massenmords würden – wenn sie sich denn äußern könnten – mit
Ekel und Abscheu von solchem Gehabe auf Distanz gehen.